Trend Wintergrillen:Fleisch auf Eis

Trend Wintergrillen: Rote Backen gibt es auch beim Wintergrillen - allerdings eher von der Kälte, als vom Feuer.

Rote Backen gibt es auch beim Wintergrillen - allerdings eher von der Kälte, als vom Feuer.

(Foto: imago stock&people)

In Chicago werden sogar bei Eisstürmen Steaks auf den Rost gelegt. Hierzulande klingt Wintergrillen für die meisten so fremd wie Sommerbiathlon. Noch. Denn das eisige Feuervergnügen avanciert zum Trend. Ein Abend an der Grillakademie und ein Besuch beim Marktführer für Ganzjahres-Grills.

Von Harald Hordych

Indirekt! Indirekt, rufen die Männer. Aber es gibt keinen indirekten Freistoß. Das hier ist nicht Fußball. Das hier ist noch viel ernster: Grillen.

Indirekt. Indirekt, rufen die Männer an diesem kalten Winterabend im wunderschön restaurierten Kloster Engelthal, ein paar Kilometer von Ingelheim am Rhein entfernt. Sie haben bei der Weber Grillakademie den Kurs "Wintergrillen" gebucht. Und jetzt wissen sie, wie man grillt, wenn das Arbeitsgerät rund wie eine Kugel ist und einen Deckel hat und von Weber ist.

Weber sei der Weltmarktführer im hochpreisigen Segment, heißt es bei der Deutschland-Zentrale. Und bei Weber wird indirekt gegrillt. Vor allem jetzt im Winter. Warum? Vor allem, weil die Firma möchte, dass jetzt Grillsaison ist.

Jeder Hersteller will, dass die Verkaufssaison seiner Produkte vom 1. Januar bis zum 31. Dezember andauert, nicht von Ostern bis Oktober. Lästige Jahreszeiten! Angrillen? Abgrillen? Weber will das ganze Jahr. Und diese 20 Männer sind bereit: Grillen bei Schnee und Eis. Grillen im eisigen Nebel. Extremsportessen.

Wein statt Bier

"Wir sind hier, um zu grillen. Und nicht, um zu kochen", sagt ein Mann, seine Freunde, kräftige Kerle zwischen 30 und 40, kurze Haare, Jeans, Sweatshirt, lachen kernig. So ist Grillen.

Aber ganz so einfach ist es gar nicht. Wir sind ja beim Wintergrillen. Zum Beispiel fällt auf, dass hier alle Wein trinken und nur einer Bier. Und dass auf der Speisekarte Gerichte stehen, die man auf Restaurantkarten vermutet, aber nicht auf dem Ingelheim-Speisezettel: Sellerie-Rahmsuppe im Grill geräuchert, Chorizo-Bohnen vom Grill und Wildschweinrücken auf Pumpernickel mit Preiselbeerbutter. Es gibt noch mehr Gänge, denn es wird ein langer Grillabend.

Auch dass das Schnippeln, Schneiden und Schälen auf einer fünf Meter langen, 800 Kilogramm schweren Arbeitsplatte aus Edelstahl, mit besten Messern und hochwertigen Arbeitsgeräten vonstattengeht, widerspricht dem landläufigen Image vom Grillen. Von wegen Plastikgabeln und Pappteller. Irgendwas stimmt hier nicht.

Und was machen wir jetzt mit den angebratenen Steaks?, fragt Grillmeister Bart Mus, 53, Belgier, gelernter Koch, in die kalte Nacht vor dem extra für diese Kurse mit viel Glas und hellem Holz errichteten Akademie-Pavillon.

Indirekt. Indirekt, rufen die Männer.

Grillen wurde im Sommer populär, wann auch sonst?

Wintergrillen ist zwar kein ganz neuer Trend mehr. Aber noch immer klingt es für die meisten so fremd wie Sommerbiathlon. Grillen, das wurde in Deutschland im Sommer populär, wann auch sonst? Schwitzende Männer im Unterhemd saugten eiskaltes Bier aus der Flasche, während sie mit der anderen Hand Würstchen und Schweinesteaks drehten. Diese Männer ließen einiges anbrennen.

Ins Feuer starren, mit gefährlichem Spiritus hantieren und von Rauchschwaden eingekesselt werden wie Räucherfleisch - mehr Mann geht nicht beim Kochen. Aber auch die Gewissheit, dass der Mann nicht allein ist und ihm auf dem Campingplatz, im Vorgarten, am Flussufer die Bewunderung der hungrigen Menschen zuteil wird, die auf ihr Fleisch warten, macht den Auftritt des Grillmeisters attraktiv und das Grillen zum Gemeinschaftserlebnis. Alle sind beteiligt. Als Macher oder als Zuschauer.

Aber das ist nicht Wintergrillen, und das ist auch nicht unbedingt das ganzjährige Lifestyle-Grillen, wie die Firma Weber es verstanden und gefördert wissen will.

Grillen ist zum Statussymbol geworden

Brand-Managerin Julia Seyffart sitzt im mit der Signalfarbe Dunkelblutrot dekorierten Weber-Verwaltungsbau in Ingelheim. Zahlen veröffentlicht das amerikanische Familienunternehmen nicht, nur so viel: Der Umsatz wächst stetig, immer neue Absatzmärkte werden erschlossen, jetzt sind Nordafrika und Osteuropa an der Reihe. Und mit dem Markt wächst die Zahl der Produkte. Wie findig eine Firma sein kann, Bedürfnisse zu erfinden, von denen man gar nicht wusste, dass man sie hat, führt Weber beeindruckend vor.

Ein gutes Beispiel ist der neue Master-Touch GBS, ein Kugelgrill, wie es mittlerweile viele gibt, aber der Clou ist das Zubehörsystem. In der Mitte des Grillrosts ist eine runde Aussparung, dort hinein können sieben verschiedene Einsätze gesetzt werden. Ein Pizzastein, ein koreanischer Grilleinsatz für feine Fleischstreifen, ein Geflügelhaltereinsatz. Das ist überhaupt kein Grillen mehr, oder doch: Das ist Grillen mit geschlossenem Deckel und klug verteilter Kohle. Dann wird der Grill zum mobilen Backofen auf Rädern; Fleisch, Gemüse, Fisch gart in heißer Luft.

Warum soll so ein Backofen nur im Sommer genutzt werden, wenn man doch auch im Winter den Deckel zumachen kann? Leichte Verzweiflung löst bei Frau Seyffart die immer wiederkehrende Frage aus, ob man den Grill auch draußen stehen lassen kann.

2011 haben 40.000 Menschen Kurse belegt

Die Einsätze beim Grill "für den Einstieg" (Katalogpreis 279 Euro) Master Touch GBS heißen übrigens Gourmet. Aha. Dahin geht die Reise: Sie führt zu Männern, die zwar am Kochen vor allem das Grillen interessiert und die Beef! lesen, sich aber große Häuser, große Gärten und den Besuch guter Restaurants leisten. Grillen ist zum Statussymbol geworden, ein Weber Summit S-470 Edelstahlgasgrill steht mit 3190 Euro in der Preisliste. Da weiß der Nachbar sofort Bescheid.

2011 haben an den zwölf Weber-Grillakademien in Deutschland (2013 werden es 14 sein) insgesamt 40.000 Menschen Kurse belegt. Aber nur in Ingelheim ist das Equipment und der Grillmeister original Weber. Ansonsten bieten lokale Kochschulen die Kurse in Lizenz an.

Auf der überdachten Terrasse im Kloster Engelthal stehen die Grills in einer Reihe wie Coupés beim Autohändler: die Genesis S-Serie, ein Summit S-670 Edelstahl, mehrere Master Touch GBS oder One-touch Premium. Und daneben stehen Männer und reden, wie Männer sonst nur über Autos reden: Der Genesis ist für meine Zwecke ausreichend! - Aber der Summit ist viel geräumiger. Einfach komfortabler. - Ganz unter uns: Mit sechs getrennten Edelstahlbrennern bist du flexibler!

Die Männer im Kurs Wintergrillen sind Techniker, Ingenieure, Vertriebsexperten, Kfz-Mechaniker. Eine Frau ist auch dabei. Sie begleitet ihren Mann. Alle anderen Männer waren noch nie bei anderen Kochkursen, es sei denn, sie waren bei Feiern dazu eingeladen. Hier sind alle freiwillig. Einer zum neunten Mal. "Weil's so viel Spaß macht. Und weil man immer was lernt." Beim Essen - es gibt fünf verschiedene Fleischgänge - diskutieren sie, welches Räucherholz das beste ist.

In Chicago wird sogar bei Eisstürmen gegrillt

Für Marketing-Experten wie Julia Seyffart ist die Firmengeschichte ideal, um den "Menschen da draußen im Markt" den Grill als Weihnachtsgeschenk anzupreisen. Tatsächlich erfand Firmengründer George Stephen den Kugelgrill im winterkalten Chicago, weil sein gemauerter Grill die Hitze nicht ausreichend halten konnte. Also schnitt der Schweißer eine Metallboje in der Mitte durch, füllte die eine Hälfte mit Kohle und nahm die andere als Deckel. Wenn Kolumbus gegrillt hätte, wäre das sein Ei gewesen. Das Weber-Ei. Tatsächlich beteuern Menschen, die in Chicago waren, glaubhaft, dass dort auch bei Eisstürmen gegrillt wird.

In Deutschland sind wir noch nicht so weit. Es geht noch so zu wie bei Mike Stark, der im Auftrag der Weber-Stephen Deutschland GmbH unter anderem die Entwicklung neuer Grillkohle initiiert. Mike Stark sagt: "Im Winter geh ich raus, leg das Fleisch drauf, mach den Deckel zu und geh dann schnell wieder rein, zu den Gästen ins Warme."

Am Fleischgeschmack ändert dieses grillflüchtige Verhalten nichts. Die Männer von Ingelheim haben bei allen fünf Fleischgängen ihre Teller ratzeputz leer gegessen. Auch wenn einige vernehmbar geseufzt haben, am Ende waren alle satt - und rund wie ein Kugelgrill. Der Winter kann kommen.

Wintergrillen
Das Wissen der Meister
  • Searing

Englisch für scharf anbraten, verbrennen. Der klassische Grill-Moment: Das Fleisch zischt, weil es direkt über der glühenden Kohle liegt. Dadurch entsteht innerhalb kurzer Zeit eine karamellisierte Kruste. Wer gerne Western sieht, leistet sich ein gusseisernes Searing-Raster: Steaks made in USA.

  • Indirektes Grillen

Der Moment, den Grillmeister früher gern als Eingeständnis der Schwäche ansahen: Und wenn man noch so blitzschnell wendet, das Fleisch muss aus dem Feuer! Dafür gibt es Zonen auf dem Grill, unter denen keine Grillkohle liegt. Dann wird der Deckel zugemacht. Das Fleisch gart wie im Backofen. Stundenlang. Und nichts brennt an.

  • Anzünden

Die Bilder sind Legion: Auf ihren Knien pustende, mit Zeitungen wedelnde, mit Luftpumpen den Grill anblasende Männer. Klares Ziel: Die Kohle erst zum Brennen, dann zum Glühen bringen. Mit sogenannten Kaminen sind diese Zeiten vorbei. Ein löchriger Metallzylinder mit Griff wird mit der Holzkohle gefüllt. Dann über brennende Grillanzünder gestellt. Wichtig ist Geduld. Erst wenn auch die oberste Kohleschicht ergraut, ausschütten, verteilen, fertig. Expertenrat: bloß kein Brennspiritus. Alles schmeckt danach.

  • Würstchen

Im Gegensatz zu Steaks werden Würstchen nicht scharf angebraten. Genau andersrum: Erst indirekt aufwärmen, dann am Ende kurz aufs direkte Feuer. Beliebter Fehler: Die scharf angebratenen Würstchen mit einer Gabel aufstechen, wenn sich das Wasser darin sammelt: Mit dem Wasser fließt das Fett raus, und der Geschmack gleich mit.

  • Ohne Deckel

Sie wollen indirekt grillen, aber Ihr Grill hat keinen Deckel? Kleiner Trick: Nach dem Searing leere Aluminiumgrillschale umdrehen, mit dem Boden nach oben auf den Rost stellen und dann das Fleisch drauflegen. So erreicht die Glut das Steak nicht mehr direkt.

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