Süddeutsche Zeitung

Gummistiefel:Lass es regnen

Modedesigner haben den Sneaker veredelt, die Badelatsche, den Wanderschuh - jetzt ist der Gummistiefel dran.

Von Claudia Fromme

Die Bedingungen sind günstig, der Regen lässt Flüsse wieder über die Ufer treten. Nun schlägt die Stunde eines wichtigen Werkzeugs der Politik: des Gummistiefels. Kanzler Gerhard Schröder stapfte 2002 entschlossen in schlichten schwarzen Tretern durchs Hochwasser in Grimma - und setzte sich im Wahlkampf gegen den weniger trittsicheren Edmund Stoiber durch. Melanie Trump unterschätzte die Symbolkraft des "Ich bin einer von euch"-Accessoires, trug stattdessen Stilettos im überfluteten Houston - und löste einen Shitstorm aus. Nicola Sturgeon wollte alles richtig machen - und machte alles falsch. Im Wahlkampf trug die schottische Regierungschefin im Flutgebiet Edelboots von Hunter.

Mit Gummistiefeln kann man also sehr richtig-, aber auch total danebenliegen, das gilt in der Politik wie in der Mode. Gerade entdecken Designer den rubber boot neu für sich. Bei 200 Euro geht es langsam los, bei 1000 Euro endet die Preisspanne. Der vorläufige Höhepunkt: Nicolas Ghesquière präsentierte soeben für Louis Vuitton eine komplette Damenregenschuhlinie. Die heißt selbstverständlich "Rain" und bietet im futuristischen Stil Ghesquières halbhohe Gummiboots in Pink, Schwarz oder Weiß mit Reißverschluss und einem acht Zentimeter hohen Absatz in Form der Louis-Vuitton-Blüte. Sie erinnern an die Sechziger mit ihren lackglänzenden Entwürfen von Pierre Cardin, André Courrèges und Mary Quant. Wem das zu lieblich ist, wählt aus dem Pariser Atelier die wasserfeste Version des Archlight Sneakerboots mit brachialer Wellensohle. Die Achtziger lassen auch beim Bikerboot mit Nietengurt grüßen.

Seit Model Kate Moss beim Musikfestival im britischen Glastonbury 2005 mit Boots von Hunter zu Hotpants und zum glitzernden Minikleid auftauchte, hat der Gummistiefel eine sensationelle Imagepolitur hinter sich. Lange Zeit war das was für die Leute vom Dorf oder allenfalls noch für den Landadel, der gelegentlich im Morast feststeckte. Heute gibt es kaum eine Celebrity, die sich nicht damit ablichten lässt. Die It-Frau Alexa Chung trug 2015 in Glastonbury als Huldigung an Kate Moss ein güldenes Minikleid zu matschverzierten Hunter-Stiefeln. Wobei der Boden an dem Tag staubtrocken war. Man braucht also inzwischen keinen Regen mehr, um Gummistiefel zu tragen. Sie sind entkoppelt von ihrer Funktion, was die Modebranche freut: Wer nur einmal im Leben ein solches Modell kauft und es nur bei Dauerregen trägt, mit dem ist kein Umsatz zu machen.

Gummistiefel zeigen, dass das Private wieder politisch ist

Für diese Saison sind alle gut gerüstet, auch bei Hunter. Hier hat Stella McCartney neue Gummistiefel designt, was nicht so erstaunlich ist, schließlich ist ihr Mann Alasdhair Willis bei der schottischen Traditionsfirma Kreativdirektor. Der Chelsea Boot in Grau und Grün mit Reliefsohle besteht aus nachhaltigem Naturkautschuk und dehnbarem Yulex. Statt des Logos steht vorne auf dem Stiefel in gleicher Schrift "Stella". Auf dem Laufsteg in Paris kombinierte die britische Designerin dazu Tuniken aus Viskose und Strick-Hoodies. Es gibt den Stiefel für Damen und Herren, er ist zertifiziert vegan und wird als der "womöglich nachhaltigste Gummistiefel" beworben. Klar soll er ein Zeichen setzen, heißt es bei der Show. Das Private ist also wieder politisch.

Weitere Wettwerber der Gummimode, eher ohne Botschaft: Chloé mit PVC-Absatzboots in Oliv, Schwarz und Weiß, die mit Zipper und Einstiegslasche mit Logoprint aussehen wie Winterstiefeletten aus Lackleder. Emporio Armani hat Gummistiefel in edler Glanzoptik im Angebot; sie sehen aus wie Reitstiefel mit Nietenbesatz. Burberry bietet einen Stiefel aus Naturkautschuk mit Wachsschicht an, der durch eine Karobordüre am Schaft zu Overknees wird. Bei Givenchy gibt es Gummischnürboots in Kanariengelb mit schwarzer Sohle, die aussehen wie halbhohe Doc Martens. Ähnlich wirkt auch das glänzende Modell von Dior, mit kariertem Innenstrumpf und aufgedruckter Biene hinten, die Hedi Slimane mal für die Herrenkollektion von Dior erfunden hatte. Die Herrenversion zeigt sich dezenter, matter und ohne Biene.

Dass der Gummistiefel dran war, verwundert nicht, pimpt die Luxusindustrie doch seit geraumer Zeit Alltagsschuhwerk auf. Turnschuhe wurden zu edlen Sneakern, sie sind eine der Cashcows der Branche. Badeschlappen wurden im vergangenen Sommer veredelt, parallel zum Gummistiefel ist gerade der Wanderstiefel das große Ding, mit Schnüren, Haken und Lammfellfutter. Nächste Woche kann man hierzulande beides tragen. Es soll schneien und regnen.

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SZ vom 29.02.2020/mpu
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