Trend: Accessoires aus Holz:Design-Brett vorm Kopf

Accessoires aus Holz

Uhren, Brillen, Handyhüllen: Holz ist Trend.

(Foto: hersteller)

Die Design-Welt hat einen neuen Lieblingswerkstoff: Brillen, Uhren, ja selbst Fahrräder werden jetzt aus Holz gefertigt. Mit Nachhaltigkeit hat das wenig zu tun.

Von Jan Stremmel

Am Anfang waren die Brillen eher eine lustige Spielerei. Wie die Holzkettchen, die sich Jan Priepke gerade durch die Hände gleiten lässt. Die Halsketten mit den aus Sperrholz gesägten bunten Anhängern verkaufte Priepke vor ein paar Jahren in Münchner Surfshops und Sneakerläden. Ziemlich erfolgreich. Eines Sommers ließ er probeweise Sonnenbrillen aus Holz herstellen. Klobige Dinger, eher Witzverkleidung fürs Reggae-Festival als ernsthafter Sonnenschutz. "Aber dann kamen immer mehr Leute und wollten ihre echten Brillengläser in die Holzgestelle bauen." Das war vor drei Jahren. Da wurde aus dem Witz eine Idee.

Jan Priepke, ein drahtiger Mann Anfang 40, steht im Showroom seiner Firma in München-Ottobrunn, er selbst trägt keine Brille, aber an den Wänden hängen Hunderte. Von links nach rechts vollzieht sich an der Wand eine kleine Evolution: Von grellbunten Plastikbrillen, wie Teenager sie vor ein paar Jahren auf Raves trugen, über die ersten Sonnenbrillen aus Holz, die Rahmen noch fast so dick wie Skateboards.

An der rechten Wand verteilt hängen schließlich, dünn und fein geschnitten, die Brillengestelle der aktuellen Saison. Aus Schwarz- und Kalkeiche, Walnuss und Ebenholz. Ausgesägt und handgeschliffen aus bis zu zwanzig verleimten Holzschichten von je einem zehntel Millimeter. "Die Technik hat unser Hersteller erst im letzten Jahr entwickelt", sagt Priepke. Die Evolution der Holzbrille folgt den technischen Möglichkeiten auf dem Fuß. Und die Kunden, so viel weiß Priepke, warten schon auf die nächste Generation. Holz braucht Hightech.

Vor drei Jahren hat Priepke mit einem Kollegen die Marke Wood Fellas gegründet. Er will keine Verkaufszahlen verraten, nur so viel: Von Jahr zu Jahr verdoppeln sie sich. Was erst mal wenig aussagt. Aber auch die Gesellschaft für Konsumforschung bestätigt: Naturmaterialien wie Holz oder Schiefer liegen bei Brillenfassungen seit einigen Jahren im Trend.

Holz hat eine ähnliche Funktion wie Bio

Zurzeit ist etwa eine von hundert verkauften Brillen aus Holz, die Modelle sind mit durchschnittlich mehr als 200 Euro relativ teuer. Aber der Anteil wächst enorm. Allein in Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren Dutzende Firmen gegründet, die diesen Trend bedienen - nicht nur mit Brillen aus Holz, sondern auch mit Smartphone-Hüllen, Handtaschen, Gürtelschnallen, Blumenvasen, Ohrringen oder Plateauschuhen.

Dinge, die jahrzehntelang aus Kunststoff oder Metall waren, fertigt man neuerdings aus Echtholz. Vor Kurzem kündigte sogar Ray Ban eine Neuauflage seines "Clubmasters" an, eines der klassischsten Brillengestelle überhaupt, in Kirsch, Ahorn und Walnuss. Die Design-Welt hat einen neuen Lieblingswerkstoff, so viel steht im Sommer 2016 fest. Auf der Suche nach einem Grund dafür lernt man viel über die Sehnsüchte und Ängste unserer Zeit.

Der Designer als Naturfreund

"Wir mögen Kunststoff nicht mehr", sagt Paolo Tumminelli. Er ist Professor für Designkonzepte und beobachtet die Rückkehr des Holzes in fast allen Bereichen, "nicht nur in der Mode, auch in der Architektur, im Möbel- und Autodesign". Wobei das Wort "Rückkehr" im Grunde eine Untertreibung ist, denn Holz findet man heute nicht nur dort, wo es früher schon mal war (etwa im Armaturenbrett von teuren Autos), sondern sogar dort, wo es aus technischen Gründen noch nie verwendet wurde - zum Beispiel als Rahmen von Mountainbikes oder Gehäuse von Armbanduhren. Für den Professor alles kein Wunder.

Wer sich die lustvoll ausformulierten Gründungsgeschichten durchliest, mit denen die neuen Holzdesigner für sich werben, bemerkt schnell Parallelen: "Wir stammen aus einer Generation, die als Kinder noch Baumhäuser baute. Der Geruch von frischem Regen auf Holz lag in unseren Nasen." So erzählt es etwa der Brillenhersteller Stadtholz.

Nicht viel anders klingt das bei Kerbholz, Hertkorn oder Wood Fellas, bei Lumberjack Bicycles oder Bamboo-Ride. Das Narrativ ist immer: Ein paar junge Leute, gut ausgebildet und doch nicht ganz zufrieden, entdecken ihre Leidenschaft zur Natur, entwickeln eine neue Herstellungstechnik und ersetzen Metall oder Kunststoff durch den nachwachsenden Rohstoff aus dem Wald. Das Tiroler Brillen-Start-up Rolf Spectacles - das Team posiert online in hundert Jahre alter Skikleidung - hat sogar eine komplett metallfreie Brille entwickelt, inklusive Gelenk aus Holz.

"Klar", sagt Professor Tumminelli, "immer mehr Menschen leben in Megacitys, meilenweit vom nächsten Baum entfernt. Dinge aus Holz stillen ein Bedürfnis nach Natürlichkeit. Genau wie Bioläden." Wobei sich dieser Wunsch zufällig auch noch mit einem anderen Großtrend unserer Zeit überlappt: der Sehnsucht nach guten, alten Dingen. "Alles muss heute Patina haben, nach Vintage aussehen", sagt Tumminelli. "Das fing mit den Stonewashed-Jeans an und geht inzwischen von der vernarbten Lederjacke bis zum Esstisch aus tausendjähriger Eiche: Wir wünschen uns zunehmend Dinge mit einer Geschichte."

Von wegen nachhaltig - das Holz kommt aus den Tropen

So entpuppt sich ausgerechnet das Material, das über Jahrzehnte als simpel und rustikal galt, als idealer Träger der Werte und Wünsche einer neuen Luxusgesellschaft. Weil es die allseits gewünschte Patina und Einzigartigkeit schon mitbringt. Dabei, das muss der Designprofessor natürlich auch mal anmerken, sei Holz funktional gesehen oft ein klarer Rückschritt: "Gegenüber Kunststoff hat es nur selten Vorteile", sagt Tumminelli. "Die Verarbeitung ist aufwendiger, es ist empfindlicher und wiegt oft mehr als Kunststoff."

Sogar die Ökobilanz des Rohstoffs, der von jedem Hersteller ausgiebig als "nachhaltig" und "nachwachsend" gelobt wird, ist keineswegs immer besser. Während nämlich viele neue Kunststoffe durchaus biologisch abbaubar sind, stammen viele der gefragtesten Modehölzer nicht aus heimischen Klimazonen, sondern aus den Tropen, von wo sie nicht gerade klimaneutral in die europäischen Holzfabriken geliefert werden.

Aber natürlich geht es beim Design nie nur ums Praktische und nie nur ums Ökologische. "Es geht um Individualität", sagt Jan Priepke, der Gründer von Wood Fellas. "Jedes Stück Holz ist anders, jede Brille hat ihre eigene Geschichte." Wozu dann auch die Namen passen, die er und sein Team ihren Kreationen geben: "Maximilian", nach dem bayerischen König, oder "Stiglmaier", nach dem Münchner Bildhauer. Der entdeckte vor 200 Jahren die fast vergessene Technik des Erzgusses wieder - und verbreitete sie in ganz Europa. Wie passend. Nur Brille trug er keine.

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