Von wegen "blöde Kuh"! Der I-Kuh eines Rindviehs lässt sich zwar nach menschlichen Maßstäben nicht messen. Doch Studien haben gezeigt, dass Kühe fast so schlau sind wie Hunde. Die Tiere betätigen den Hebel einer Tränke, wenn sie Durst haben, und wenn eine Kuh am Elektrozaun einen Schlag kriegt, meiden die anderen Mitglieder der Herde den Zaun - sie lernen also durch Beobachten voneinander, ein Zeichen für Intelligenz.
Aber ist die Kuh wirklich eine "Poetin der Natur", wie Alexander Kluge im Gespräch mit Anselm Kiefer mal gesagt hat? Auf jeden Fall, findet Werner Lampert. Der österreichische Bio-Unternehmer und Buchautor spricht von Kühen in den höchsten Tönen, er bezeichnet sie als seine "Gefährten". Lampert ist in einem Weiler in Vorarlberg aufgewachsen, schon als Jugendlicher lernte er die Tiere als gute Zuhörer kennen: "Von meinem ersten Verliebtsein erzählte ich Kühen, auch von meinem ersten Liebeskummer." Er sang Lieder für sie und las ihnen Gedichte von Hölderlin vor: "Sie standen Tag für Tag im Halbkreis um mich herum und hörten mir zu."
Werner Lampert ist gelernter Kirchenrestaurator, er studierte Altorientalistik und gilt als Bio-Pionier. Er baute in den 1980er-Jahren in Österreich einen Großhandel für Bio-Produkte auf, beriet Supermarktketten bei der Einführung von Bio-Marken und verwaltet einen Bio-Bauernhof im Burgenland. Irgendwann fragte ihn jemand: Du hast schon so viel erreicht, was willst du eigentlich noch machen? Lamperts spontane Antwort: "Ein Kuhbuch! Das ist mein Herzenswunsch." Nun liegt seine Hommage an die Kuh vor, ein 480 Seiten starker Prachtband, fast dreieinhalb Kilo schwer.
Als perfektionistischer Kuhrator präsentiert Lampert 116 Rinderrassen auf glamourösen Hochglanzfotos, von den Ennstaler Bergschecken über die Negra Andaluza bis zur Texas Longhorn, er charakterisiert ihr Wesen und preist deren Nutzen für ihre Halter. Alle Kühe wurden für das Buch extra fotografiert, nur eine Rasse nicht, die am Tschadsee lebt, dort war es wegen der Terrorgruppe Boko Haram zu gefährlich. Vor allem aber würdigt Lampert die fundamentale Rolle, welche Rinder bei der Entstehung der Zivilisation gespielt haben. Menschen leben seit 10 000 bis 12 000 Jahren mit Rindern zusammen, und wahrscheinlich wäre die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung ohne die Tiere anders verlaufen. Rinder verhalfen dem Menschen zu Sesshaftigkeit, Reichtum, Sicherheit und Fortschritt. Ohne die Suche nach Weidegründen wären die ersten Kuhhirten vielleicht nie in den ostafrikanischen Savannen aufgebrochen, und ihre Nachkommen hätten nicht alle Kontinente besiedelt. In den Naturreligionen waren Kühe oft Brücken zu den Göttern, sie waren Opfertiere und symbolisierten Fruchtbarkeit, im Hinduismus gelten sie als heilig.
In der westlichen Welt ist heute das Gegenteil der Fall: Die Kuh wird vor allem als Nutztier angesehen. Das Verhältnis von Menschen und Rindern war lange symbiotisch, die Industriegesellschaft hat es komplett materialisiert. Die Kuh ist zum Lieferanten von Milch und Fleisch geworden. Lampert sagt: "Kühe haben das Vermögen, Menschen zu Gemeinschaftsbildung zu erziehen", sie können "Menschen ernähren, kleiden, und das Allergrößte, was sie uns geben, ist ihr Dung. Damit sorgen sie für Fruchtbarkeit, sie machen aus etwas vollkommen Wertlosem etwas Nutzbares."
Die Frage, ob Kühe eine Seele haben, stellt sich für Lampert nicht, "das ist eine Tatsache". Eine Kuh habe Gefühle, pflege Beziehungen und könne sogar Tränen vergießen, berichtet er. Man weiß nicht, ob die Kühe, denen Werner Lampert Hölderin-Gedichte vorlas, tatsächlich zu "Poetinnen der Natur" wurden. Aber als Leser seines Buches möchte man sofort auf eine Weide gehen und sich vor einer Kuh niederknien, so wie Leonard Cohen. Er erzählte in einem Interview, wie er auf einem Feld vor einer Gruppe Kühe kniete, um ihnen zu huldigen: "Und wissen Sie was? Sie waren so glücklich."
Werner Lampert : Die Kuh. Eine Hommage. Verlag teNeues, 49,90 Euro.