Temporary Shopping:Kurzweilig

Pop-up-Stores sind cool, jung und immer woanders. Sie werden von Online-Händlern wie von Markenriesen gleichermaßen genutzt. Das Phänomen ist so erfolgreich, dass es schon fast wieder vorbei ist.

Von Jan Kedves

In einer bekannten Werbung für Kartoffelchips heißt es "Once you pop, you can't stop". Der Slogan ließe sich gut auf Pop-up-Stores übertragen. Andauernd schießt irgendwo einer von ihnen aus dem Boden, oder: poppt auf. In Buchhandlungen, deren Eigentümer gerade Urlaub macht, in Stahlcontainern, die irgendwo auf einer Grünfläche abgestellt sind, oder in den Redaktionsräumen von hippen Style-Magazinen, die dort sonst auch Kunst zeigen. Hauptsache, der temporäre Shop taucht an Orten und in Ecken auf, die man interessant und total überraschend findet. Nichts scheint heute langweiliger zu sein, als zum Shoppen in ein normales Geschäft mit regulären Öffnungszeiten und langfristigem Mietvertrag zu gehen.

Dass der Pop-up-Store nur für ein paar Monate, Wochen, Tage da ist, bedeutet, dass er danach wieder schließt. Und später vielleicht woanders wieder aufmacht, das weiß man aber nie so genau. Es soll ein bisschen mysteriös bleiben. Den Appetit auf Pop-up-Stores scheint das jedenfalls eher noch zu wecken.

Comme des Garçons eröffnete in Berlin einen Laden in der Karl-Marx-Buchhandlung

Wer das verstehen will und vielleicht auch selbst schon mal ein bisschen mitgerannt ist beim großen Pop-up-Rundlauf, der kann sagen: Das Konzept wird auf Dauer zwar nicht aufregender, aber vielleicht einleuchtender. Es ist nämlich so: Der Ort, an dem heute in der Mode ein komplettes Warensortiment verfügbar gehalten wird, im Sinne von: eine gesamte Kollektion in allen Größen und Farben - ein solcher Ort ist immer seltener der Flagship-Store in der Einkaufsstraße im Zentrum, sondern der Online-Shop im Netz. Die Kundschaft findet es praktisch, keinen Fuß mehr vor die Tür setzen zu müssen, der Lieferservice bringt alles an die Haustür und nimmt auch alles wieder mit, wenn nichts davon passt oder gefällt. Aus Markensicht stellt sich die Frage, wie man die Leute überhaupt noch zum Shoppen nach draußen bewegen kann. Antwort: indem man Läden zum Event stilisiert. Ein Event ist laut Duden ein "Geschehen, das den normalen alltäglichen Ablauf als etwas Bemerkenswertes unterbricht". Also das Gegenteil eines normalen Modegeschäfts.

Los ging es mit dem Pop-up-Rundlauf etwa zur Halbzeit der Nullerjahre, in Deutschland zumindest. In Berlin erinnert man sich noch gut an den Hype um den Pop-up-Parcours, den die japanische Designermarke Comme des Garçons damals durch die Stadt legte. Als Erstes gab es 2004 den temporären Comme-des-Garçons-Laden in der ehemaligen Brecht-Buchhandlung in Mitte. Danach einen zweiten in der Karl-Marx-Buchhandlung in Friedrichshain.

Man könnte sagen, dass Comme des Garçons damals zu den frühen Profiteuren der ersten deutschen Buchhandlungskrise gehörte. Aufwendige Ein- oder Umbauten sparte man sich, das ostige Ambiente der Ladenflächen sollte unverändert zur Geltung kommen. Dass die temporär genutzten Flächen geschichtsträchtige Namen trugen, schadete auch nicht. Werbung gab es keine. Social Media gab es noch nicht. Trotzdem sprach sich das Ganze sehr schnell herum und glich dann einer Fashion-Schnitzeljagd.

Comme des Garçons nannte die Läden damals nicht Pop-up-Stores, sondern "Guerilla-Stores" - in Anlehnung an das Guerilla-Marketing, dessen Ziel es ist, mit militärischer Präzision neue, überraschende PR-Offensiven zu planen und auf einen Schlag zum Erfolg zu führen. Guerilla-Marketing war in den Neunzigerjahren stilprägend und zielt darauf ab, mit möglichst geringen Mitteln eine möglichst große PR-Wirkung zu erzielen. Mund-zu-Mund-Propaganda ist ein wichtiger Teil dieser Strategie, weil sie nichts kostet. Und häufig sind sich diejenigen, die sich gerade angeregt über diesen oder jenen neuen Pop-up-Store austauschen, gar nicht im Klaren darüber, dass sie Akteure in einer Werbeaktion werden.

Kanye West nennt seine Shops "Temporary Stores". Das klingt eleganter, nicht so aufgeregt

Sobald man sich dessen allerdings bewusst ist, kann es nerven. In Berlin jedenfalls kippte die Stimmung zwei Jahre später teilweise schon: Der Sender MTV eröffnete 2006 in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg einen Pop-up-Store, in dem es etwa limitierte Levi's- und Adidas-Produkte zu kaufen gab. Manche witterten Mietverdrängungs-Opportunismus und Gentrifizierung. Einige Pop-up-Gegner sortierten über Nacht die Klebebuchstaben am Schaufenster kreativ um: "MTV Pups Po" stand dort am nächsten Morgen. Freilich wurde jeglicher Hinweis auf diese echte Guerilla-Aktion dann prompt entfernt.

Heute ist das Pop-up-Konzept wirklich überall, man könnte auch sagen: Es hat sich auf paradoxe Weise verstetigt. Comme des Garçons, der Pop-up-Pionier, hat sich in Berlin in einem permanenten kleinen Shop in Mitte niedergelassen. Der bewahrt sich immerhin noch einen Rest vom Charakter des Außergewöhnlichen, weil er in der Linienstraße liegt, fernab jeglicher anderer High-Fashion-Läden. Dafür sind die angesagten Kunstgalerien der Stadt in der Nähe. Hier läuft die Kundschaft am Wochenende sowieso herum.

Andere Marken betrachten Pop-up-Stores inzwischen als geeignetes Werkzeug, um Marktforschung zu betreiben und Informationen über Kundinnen und Kunden zu sammeln. "Ähnlich wie im Silicon Valley, wo man einen Prototyp oder die Beta-Version einer Software veröffentlicht, um Nutzer-Feedback zu studieren, betrachtet man im Handel die Pop-up-Stores als Möglichkeit, Ideen auszuprobieren und aus ihnen zu lernen", hieß es im Juni in einem Artikel auf der Branchen-Plattform Business of Fashion. Sprich: Marken, die ihre Mode bislang nur im Netz verkaufen, können mit einem Pop-up-Store testen, ob sich ein permanenter Shop lohnen würde. Das Personal kommt ins Gespräch mit der Kundschaft, dabei lassen sich Informationen sammeln, die sich online nicht einfach abfragen ließen. Die Miet-, Personal- und Reinigungskosten bleiben überschaubar und werden vom Werbebudget gedeckt.

Oder andersherum: Marken, die schon lange große Läden betreiben, wollen ausprobieren, ob kleinere Läden nicht besser wären. Mercedes-Benz etwa: Der Sales-Manager im Pop-up-Store, der im Mai und Juni in der Düsseldorfer Innenstadt geöffnet hatte, erzählt von der Sorge der Autobauer, dass sich - ähnlich wie in der Mode - auch der Autokauf in den nächsten Jahren immer mehr ins Internet verlagern könnte. Das große Autohaus im Industriegebiet am Rand der Stadt hätte sich dann überlebt. Wäre der zentral gelegene Pop-up-Store die Lösung? In diesem hier ist gerade mal Platz für zwei Autos, die Ausstattungsvarianten erlebt man per Virtual-Reality-Brille, bald soll es sogar möglich sein, eine virtuelle Probefahrt zu unternehmen. Dafür befindet man sich im Kö-Bogen von Star-Architekt Daniel Libeskind, einem modisch asymmetrischen Renommierbau. Autokauf mit Architektur-Bonus. Aber besser schnell entscheiden, denn der Shop schließt ja bald wieder!

Die französische Luxusmarke Hermès hat sich derweil kürzlich von ihren Pop-up-Aktionen wieder verabschiedet. Eine Weile lang warb sie mit Pop-up-Stores, in denen man sich in einer sogenannten "Hermèsmatic"-Maschine die typischen Schals der Marke im Tauchfärb-Verfahren individualisieren lassen konnte. Gut möglich, dass Hermès nur die Bezeichnung "Pop-up-Store" zu vulgär geworden ist, denn die wird inzwischen inflationär verwendet, etwa von Aldi, H&M und dem Baumarkt Toom. Selbst der Rapper und Modedesigner Kanye West nennt seine Shops nicht Pop-up-Stores und auch nicht Guerilla-Stores, sondern: "Temporary Stores". Das klingt gleich eleganter und unaufgeregter und nicht so sehr nach Hysterie und Klopperei.

Wobei die ziemlich groß war, als West vor zwei Jahren die Pullover und Shirts seiner "Pablo"-Kollektion zwei Tage lang in den Räumen des Berliner Style-Magazins 032c verkaufte und dies gerade mal zwei Tage vorher via Twitter ankündigte. Lange Schlangen davor. Künstliche Verknappung drinnen. Man durfte die Teile nicht anprobieren, sondern bekam sie an der Kasse gleich aus dem Lager überreicht. Wem sie nicht passten, der wird sie nachher, vermutlich sogar mit einigem Profit, im Netz wieder verkauft haben. Das hat ja immer auf.

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