Tattoo:Arschgeweih ade

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Ein Relikt der Neunzigerjahre: das Steiß-Tattoo. (Foto: Mauritius)

Zu Besuch bei einer Münchner Hautärztin, die Geschmacksverirrungen, Jugendsünden und anderes unerwünschtes Körperdekor tilgt.

Von Veronika Wulf

Es gibt viele Gründe für ein Tattoo: Dieses selbstgemalte Motiv, das sonst keiner hat. Diesen besonderen Moment, besonderen Ort, besonderen Partner, den man festhalten will. Die Rebellion gegen die Eltern oder einfach: Partylaune. Bei dem Obdachlosen aus der spanischen Küstenstadt Benidorm, der nur als Tomek bekannt ist, waren es ganz andere Gründe: Geldnot und Verzweiflung. 100 Euro sollen feierwütige Briten dem 34-Jährigen gegeben haben, damit er sich den Namen eines gewissen Jamie Blake, dessen Junggesellenabschied sie feierten, auf die Stirn stechen ließ. Tomeks Geschichte ging um die Welt. Und Menschen mit Herz sammelten mehr als 4000 Euro, damit er sich die Demütigung aus dem Gesicht entfernen lassen kann.

"Wäre er hier, würde ich ihm das umsonst machen", sagt die Dermatologin Miriam Rehbein, die sich mit ihrer Münchner Hautklinik auf Schönheitsbehandlungen spezialisiert hat. "Das ist wirklich menschenunwürdig." Rehbein ist nicht nur für ein Tattoo-Verbot für Alkoholisierte und unter 20-Jährige, sondern auch für eine Pflichtberatung, wie sie die CDU-Politikerin Gitta Connemann kürzlich vorschlug.

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Stellt man sich ein typisches Tattoostudio vor - viel schwarzes Leder und Bilder von Schwertern, Rosen und Ankern an den Wänden -, dann kann Rehbeins Schönheitsklinik als ihr glattes Gegenteil durchgehen: Fischgrätparkett, Samtsessel, alles glänzt weiß und clean. Alle Mitarbeiterinnen, die man an diesem Dienstagnachmittag trifft, sind blond, schlank und schön. Dazu zählt auch Rehbein, die unter dem Arztkittel ein rotes Minikleid trägt, dazu passenden Lippenstift und Nagellack. Auf der Haut der 35-Jährigen sucht man vergeblich nach Falten oder Tattoos. Beides gehört nicht zu ihrem Schönheitsideal. "Mit einem Totenkopf auf dem Hals wird man einfach nicht Kanzler", sagt sie.

Hunderte Menschen sind bereits mit Reue in ihre Praxis rein- und mit Erleichterung wieder rausgegangen, etliche Jugendsünden und Geschmacksverirrungen hat Rehbein getilgt. Ein 16-Jähriger ließ sich auf jeden Finger einen schwarzen Balken stechen - eine Mutprobe unter Kumpels. "Am nächsten Tag stand er mitsamt hysterischer Mutter und Großmutter vor mir", erzählt Rehbein. Einer ihrer Studienkollegen, der inzwischen Chirurg geworden war, realisierte, dass die Aussage "Wir geben unser Bestes, aber wir können nichts garantieren" vor einer OP unglaubwürdig klingt, wenn ein dicker Totenkopf vom Handgelenk des Arztes glotzt. Oft entfernt Rehbein auch Namentattoos, weil der Schatz inzwischen ein anderer ist.

"Aber meistens sind es Tribals, hässliche Tribals", also jene zackig geschwungenen Muster, die in den Neunzigerjahren so angesagt waren und die am Steißbein getragen als Arschgeweih in die Annalen der Tattoogeschichte eingegangen sind. Mit der Sonne kommen jetzt auch wieder all die verwaschenen Delfine auf schlabbrigen Schultern und die bierbauchverzerrten Adler hervor. Ob Papi am Pool oder Hipster beim Hot Yoga - die Körperkunst ist längst nicht mehr nur was für Rocker, Häftlinge und Prolls.

Leider werden die Gründe für das Tätowieren oft zu Gründen dagegen. Manchmal bereut man den Besuch im Studio schon am nächsten Tag, manchmal dauert die Einsicht etwas länger. Bei Martina W. waren es zwei Jahre. Mit 24 ließ sie sich den Schriftzug "Love = Love" auf den Unterarm stechen. Bedeutung? "Keine. Ich fand's einfach nett." Jetzt findet sie es nicht mehr nett und sitzt auf Rehbergs Behandlungsstuhl. Seit sie als Recruiterin in einem Großkonzern arbeitet, denke sie über jedes Tattoo noch einmal anders nach.

Beim Thema Tätowierungen stehen sich Hautpuristen und Tintenfans unversöhnlich gegenüber. Die einen scheinen zu vergessen, dass ihre Haut keine Wohnzimmerwand ist, die man nach Belieben umdekorieren kann, die anderen blenden aus, dass ein faltiger Körper auch ohne Tattoos nicht sehr ansehnlich ist. "Man kann nicht alles entfernen", sagt Rehbein, während sie eine getönte Schutzbrille aufsetzt. Häufig blieben leichte Pigmentveränderungen.

Ein Schnalzen, dann reicht es nach verbranntem Fleisch

Mit einem Lasergerät schießt sie Lichtpunkte auf Martina W.s Arm und zieht innerhalb weniger Sekunden den "Love = Love"-Schriftzug nach. Ein Schnalzen ist zu hören, es riecht nach verbranntem Fleisch, die Haut verfärbt sich sofort weißlich. Wegen einer Betäubung spürt die zierliche 26-Jährige fast nichts. Erst werden sich Verbrennungsblasen auf ihrer Haut bilden, dann eine Kruste, die nach etwa vier Wochen abfällt. Anschließend wird wieder gelasert, bis alle Tintenpigmente zerstört sind. Rehbein rechnet mit insgesamt vier Sitzungen, jede kostet 80 Euro, also 320 Euro insgesamt. Das Stechen hat 120 Euro gekostet. Bei aufwendigeren Tattoos kann es schnell mehr als 1000 Euro kosten, bis man sie komplett los ist.

Je dunkler die Farbe und je oberflächlicher und dünner sie in die Haut injiziert wurde, desto besser lässt sie sich weglasern. "Gelb- und Rottöne sind ganz schwierig, weil sie dem Hautpigment zu ähnlich sind", sagt Rehbein. Aus dem gleichen Grund lassen sich Tattoos bei Dunkelhäutigen kaum entfernen. Die Gefahr, dass helle Pigmentstörungen zurückbleiben, ist hoch.

Die Liebe ist inzwischen verkrustet, Martina W. presst ein Kühlpad darauf. Als Nächstes will sie eine Libelle auf ihrem Arm und ein großes Rosen-Anker-Motiv auf ihrem Oberschenkel entfernen lassen. Wird sie doch noch zur Hautpuristin? "Nein", sagt W., auf deren gebräunter Haut acht weitere Tattoos prangen. "Das hier zum Beispiel" - sie zeigt auf einen Schriftzug im Nacken - "gefällt mir immer noch. Das sehe ich auch nicht so oft." Dort steht: "Be unique".

© SZ vom 11.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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