Tanz-Voyeur:Neuer Tunnelblick

VR-Brille für Stil

Mittendrin, aber nicht dabei: Virtuelle Party-Realität wäre ein Traum für Couch-Potatos, die sich von daheim in die Clubs schalten könnten. Collage: SZ, Foto: imago

Dank Virtual Reality mal eben in allen angesagten Clubs der Welt tanzen können? In Berlin tüftelt man an dieser modernen Art des Ausgehens.

Von Dennis Braatz

Was hätte die Virtual-Reality-Brille in unserem Privatleben nicht schon alles revolutionieren sollen: Erst das Heimtraining, weil man sich mit ihr vom Laufband auf einen Waldweg beamen kann. Dann das Homeshopping, weil sie einen per Knopfdruck in große Kaufhäuser wie Macy's katapultiert. Zuletzt war das Pornogucken dran, weil sich mit der Brille jetzt auch Sexfilme aus der Perspektive der Darsteller anschauen lassen. Jedes Mal war die Rede von einem komplett neuen Gefühl und nie da gewesenen Erlebnis. Jedes Mal ist es irgendwie gefloppt: zu wackelig, zu teuer, eben doch nicht real genug.

Der Idee, dass man via Brille demnächst tanzen gehen soll, rechnet man deshalb auch erst mal wenig Erfolgschancen aus: In Berlin feierte vor ein paar Wochen "VR Dancefloors" Weltpremiere. Dahinter stecken zwei Firmen, die es wirklich ernst meinen. Zum einen ist das Boiler Room. Die Plattform hat es sich zur Aufgabe gemacht, DJ-Sets live ins Internet zu übertragen, damit an dem, was in einem einzigen Club passiert, ein möglichst breites Publikum teilhaben kann. DJ Blaise Bellville begann 2010 in einem Londoner Heizungskeller, indem er eine Webcam mit Klebeband an der Wand befestigte. Inzwischen ist er der CEO eines Unternehmens, das über 3,5 Milliarden Minuten Musik und Videos aus Metropolen wie New York oder Mexiko City übertragen hat und auf dessen Mitschnitte heute bis zu 400 000 User auf einmal zugreifen. Boiler Room ist die digitale Instanz der Clubkultur. Als zweites Unternehmen ist Google mit dabei. Der Technikgigant liefert die Hardware mit seinem VR-Headset Daydream, in das man ein passenden Smartphone einlegt, und mit der Android-App "Inception", über die man sich das Tanzvideo ansehen kann.

"Uns verbindet, dass wir Zugänge demokratisieren, Google den für die Technik und wir den für die Musik," erklärt Steven Appleyard, der sich bei Boiler Room um den Ausbau des Geschäfts kümmert. Weil man sich dort schon immer neueste Technik zu eigen gemacht hätte, um Menschen ins Musikgeschehen zu holen, sei Virtual Reality jetzt ein völlig logischer Schritt. Dass sich hier jemand Marktanteile sichern will, bevor es andere tun, ist aber natürlich auch klar. Das neue Clubgefühl und Ferntanz-Erlebnis könnte ja richtig einschlagen - dafür hat man sich eine Menge Mühe gegeben.

"Als Konkurrenz für einen echten Clubbesuch ist unsere Version im Grunde nicht gedacht."

Am Anfang stand ein Video, das in Berlin im bekannten Arena-Club gedreht wurde, "weil die Leute in Berlin freier und ausgelassener feiern als anderswo", meint Appleyard. Die Clubszene der Stadt gilt nach wie vor als eine der besten der Welt. Wer bei der inszenierten Ideal-Party dabei sein wollte, konnte sich über Facebook mit einem Foto von sich in seinem besten Party-Outfit bewerben. Am Ende wurden 150 Statisten ausgewählt, die einen Tag lang in unzähligen Takes zu einem Set des Spandauer Techno-Trios Fjaak tanzten. Gefilmt wurde mit einer Handvoll 360-Grad-Kameras, um mehr als nur den Blick auf die Tanzfläche zu ermöglichen. Bis das 15-minütige Video fertig war, brauchte es einen Monat lang Nachbearbeitung.

Wer das VR-Clubbing nun ausprobieren will, muss nicht nur die Brille, sondern wegen der Musik auch noch Kopfhörer aufsetzen, hat also zunächst ganz schön viel Gestöpsel, bis alles passt. Das Gewicht auf dem Kopf ist aber fast vergessen, sobald die ersten tanzenden Menschen vor einem auftauchen. Zum Takt der wummernden Bässe wippen sie auf einer Stelle auf und ab. Sie schwitzen leicht, sehen müde, aber glücklich aus. Im Hintergrund schimmern Beton- und Backsteinwände durch die Dunkelheit. Man kann seinen Blick mit der Brille in alle Richtungen schweifen lassen, auch nach oben und unten. Das Sichtfeld passt sich der Kopfbewegung an. Auf dem Fußboden stehen ein paar leere Flaschen. Plötzlich kommt jemand und räumt sie weg. Das ist der Moment, in dem man nicht mehr nur zuschauen, sondern mittanzen will. Geht aber nicht: Auf Interaktion ist das System noch nicht ausgelegt. Klar, man kann trocken mitwippen, aber dann weicht die Illusion eines Clubabends schnell der Ernüchterung.

Zwar taucht man als Zuschauer in eine ziemlich perfekte digitale Kulisse ein, bleibt dabei aber allein. Der Virtual-Reality-Club löst kein Wirgefühl aus. Er lässt sich nicht mit Freunden teilen, über das Gesehene und Gehörte kann man sich erst später austauschen. "Obwohl sich Menschen häufig treffen, um Virtual Reality gemeinsam auszuprobieren", sagt Appleyard. "Als Konkurrenz für den echten Clubbesuch ist unsere Version aber im Grunde auch nicht gedacht." Es geht Boiler Room allein um den Einblick, den Menschen damit jetzt bekommen können. Etwa, weil sie an irgendwelchen Orten leben, die viel zu weit entfernt vom nächsten Club sind oder wo gewisse DJs gar nicht erst hinkommen. Oder weil sie sich vorher nie in so einen Club getraut hätten (oder am Türsteher vorbei gekommen wären). Es ist geplant, in Zukunft noch mehr Videos aus weiteren Städten zum Durchzappen anzubieten.

Darüber hinaus soll diese Form der Virtual Reality schon bald als Live-Erlebnis möglich sein. Das könnte der Technik im Rahmen von Großevents tatsächlich zum Durchbruch verhelfen: Olympische Spiele, Fußballweltmeisterschaften und Konzerte - jeder könnte solchen Ereignissen von zu Hause aus beiwohnen. Auch der virtuelle Clubbesuch würde natürlich davon profitieren. Sich vom Dorf in Oberbayern aus beim Lieblings-DJ in Tokio einschalten, mal eben nachschauen, was die Leute in London gerade so tragen - wäre alles kein Problem mehr. Bis es so weit ist, tanzen sich Boiler Room und Google in Berlin schon mal warm.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: