Swarovski-Manufaktur:Im Reich des Bling

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Seit 1995 gibt es in Wattens die "Kristallwelten", einen riesigen, künstlerisch angehauchten Ausstellungspark. (Foto: Nick Knight)

Im kleinen Ort Wattens in Tirol schleift Swarovski Kristalle für den Laufsteg und für Hollywood. Bislang war die Produktion Geheimsache, nun gibt es ungewohnte Einblicke.

Von Laura Weissmüller

Vielleicht muss man von der Paranoia des Firmengründers erzählen, um zu verstehen, was da gerade in Wattens passiert. Daniel Swarovski war 1895 von Böhmen in den kleinen Ort bei Innsbruck ausgewandert. Die Konkurrenz der Glasschleifer war in der alten Heimat enorm gewesen, hier dagegen konnte Swarovski eine Monopolstellung aufbauen. Sein wichtigstes Werkzeug dabei: Die von ihm entwickelten Maschinen, die das Glas so schliffen, dass es funkelte wie teurer Diamant. Dementsprechend streng hütete er das Geheimnis, wie sie funktionierten. Swarovski soll sogar mit dem Fernglas auf die umliegenden Tiroler Berge gestiegen sein, um zu kontrollieren, dass nur ja kein Fabrikfenster Fremden Einblicke gewährte. Firmenparanoia vom Feinsten sozusagen.

"Wir kommen aus einer sehr verschlossenen Kultur", sagt denn auch Markus Langes-Swarovski, Ururenkel des Gründers und einer der fünf Geschäftsführer des Unternehmens, das heute ein Weltkonzern ist, mit 32 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2017. Den 44-Jährigen hält es kaum auf seinem Stuhl im vollverglasten Besprechungszimmer. Der Grund dafür dürfte nebenan liegen: die neue Manufaktur. An diesem Tag wird sie eröffnet. Hunderte Journalisten sind aus aller Welt angereist, abends erscheint die Mode- und Designprominenz. Der extravagante Couturier Peter Dundas ist da, der belgische Designer Olivier Theyskens, der Shootingstar der Modeszene, Arthur Arbesser, der Architekt Ron Arad.

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Selbst aus China und Indien sind sie gekommen. Die Billigkonkurrenten mögen da ihre Fabriken haben und dem Unternehmen Einsatzeinbrüche bescheren, aber das Original residiert nach wie vor in Wattens. Es gab schon Bollywoodfilme, die den Kristallwelten, wie der firmeneigene Ausstellungspark heißt, ein cineastisches Denkmal gesetzt haben. Die Kristallwelten sind so etwas wie eine gigantisch große, künstlerisch angehauchte Glitzerbude neben dem Werksareal und nach Schloss Schönbrunn in Wien die in Österreich am meisten besuchte Sehenswürdigkeit überhaupt.

Die Kristalle glitzern auf Handyhüllen, Sneakers und Pferdezaumzeug, doch der besondere Ruf gründet sich darin, dass Swarovski seit jeher Stars funkeln lässt. Marlene Dietrich trug die Kristalle 1932 in "Blonde Venus" als erster Star in einem Film, Marilyn Monroe trug ein Kleid mit Glassteinen aus Tirol bei ihrem berühmten Geburtstagsständchen für JFK, Madonna, Lady Gaga und Rihanna schätzen ebenfalls den Bling aus der Manufaktur in Wattens.

Manufaktur klingt dabei fast etwas altmodisch für den futuristischen Typus an Gebäude, der hier entstand. Denn was wirkt wie eine Mischung aus Kunstinstallation von Damien Hirst - der mit dem Diamantenschädel und Haien in Formaldehyd - und James-Bond-Location - strahlend weiß und klinisch rein -, ist tatsächlich ein fabrikhallengroßes Labor. Hier sollen Kunden, vor allem Designer und Modefirmen, zusammen mit den Unternehmen eigene Steine entwickeln. Hat es früher Wochen gedauert, bis nach der ersten Ideenskizze ein Prototyp existierte, soll das nun in 48 Stunden möglich sein.

"Einzelartig", sagt Nadja Swarovski dazu und strahlt dabei fast noch mehr als die unterschiedliche Kristalle in dem größten Showroom der Manufaktur, die sich mal auf Hollywoodroben, mal in einer Tiara des Wiener Opernballs ausbreiten, den das Unternehmen seit den Fünfzigern mit Krönchen ausstattet. "Unsere Konkurrenten machen die Massenproduktion, wir können mehr." Nadja ist wie Langes-Swarovski Ururenkelin des Gründers, Geschäftsführerin und tritt wie ihr Cousin dafür ein, dass das Haus sich öffnet. Sie sagt "einzelartig", und das "l" ist ihrer texanischen Mutter geschuldet, gut gelaunt mischt Nadja Swarovski Deutsch und Englisch, ansonsten unterläuft ihr nicht der kleinste Fehler. Sie hat lange genug gekämpft, um als Frau zur Führungsspitze des Konzerns zu gehören. Jahrelang habe ihr Vater, ein Ingenieur, nicht verstanden, was sie als Kunsthistorikerin tat. Damals arbeitete sie in New York für den Großgaleristen Larry Gagosian.

Nadja Swarovski ist eine von fünf Geschäftsführerinnen des Unternehmens. (Foto: Nick Knight)

Die Kunstwelt war für die geradezu einschüchternd stählerne 48-Jährige die Blaupause für das, was sie jetzt umsetzt: "Ich fand es schade, dass nur der Kunsthändler Kontakt zu dem Künstler hat. Da geht viel Energie verloren." Als sie in das Familienunternehmen einstieg, suchte sie prompt die Kooperationen mit Designern, die sie spannend fand. Mit dem britischen Designer Alexander McQueen zum Beispiel, der damals noch als Enfant terrible der Mode galt. Wie der in Wattens ankam? "Die wollten nicht mit ihm zusammenarbeiten, weil er ein Rocker war", sagt Swarovski und lacht. Obwohl ihr Ururgroßvater von Anfang an für die Modeindustrie gearbeitet hat und die Roben etwa von Dior zum Funkeln brachte, ging über die Jahrzehnte die Lust am Risiko offenbar verloren.

Nadja Swarovski fing an, zu entstauben, neue Linien zu entwickeln, Kooperationen mit jungen Designern einzugehen. So gut wie alles, was heute auf dem Laufsteg glitzert, stammt von ihrer Firma. Und Swarovksi fertigt Unikate an. Für Dior entwickelte das Unternehmen einen einzigartigen regenbogenfarbenen Stein. Jean Paul Gaultier war der Schliff aus Tirol zu perfekt, und so fertigte das Unternehmen 2005 für seine Haute Couture besondere Unikate für Accessoires und Schmuck, die den schönen Namen "Kaputt" tragen.

Man muss schnell sein, wenn es darum geht, Trends aufzuspüren. Und so umfasst mittlerweile das "Kommunikationsteam" von Nadja Swarovski 150 Leute, viele Trendscouts sind darunter, die weltweit ihre Ideen einbringen. "We have people on the ground, catching the vibes", sagt die Wahllondonerin. In Paris, Mailand, New York und London genauso wie in China, wo chinesische Schmuckdesigner für das Unternehmen eigene Schmucklinien entwerfen - mehr in Rot, Gelb und Gold und etwas zierlicher als für den europäischen Markt.

Was heute auf Laufstegen glitzert, stammt meist aus Tirol. Auch Alexander McQueen arbeitete mit den Kristallen. (Foto: Claire Robertson)

Wer mit Nadja Swarovski spricht, könnte glatt vergessen, dass es sich um das Unternehmen handelt, das viele als das "mit den Kristalltierchen" abgespeichert haben. Swarovski gilt vielen immer noch als kitschiger Bling-Bling-Lieferant, der Yachten genauso mit Glitzertapeten ausstattet wie Luxusautos mit funkelnden Schaltknüppeln. Es sei "ein Riesendilemma", dass Kunden nicht verstehen, wie kreativ und innovativ Swarovski sei, gibt die Geschäftsführerin zu. Auch darum wohl die Manufaktur.

Spektakulär ist dort der Einblick in die Herstellung von Kristallen. Denn wer von der Galerie mit den Showrooms die große Freitreppe aus hellem Holz heruntersteigt, kommt Daniel Swarovskis Geheimnis erstaunlich nahe. Männer und Frauen in silber-beigefarbenen Kitteln bedienen dort zimmergroße weiße Maschinen, in denen das Glas in Säure gebadet, mit Diamanten geschliffen oder gelasert wird. Wie genau das funktioniert, lässt sich vom Laien nicht so recht verstehen, was weniger am starken Tiroler Dialekt der Arbeiter liegen dürfte als an den komplexen, allesamt digitalisierten Abläufen. Trotzdem, die Nähe ist da.

"Ein Paradigmenwechsel", sagt Patrick Lüth mit Blick auf die Maschinen. Der österreichische Architekt vom norwegischen Büro Snøhetta war für das Projekt in Wattens verantwortlich. Lüth sieht das Gebäude als Bühne, das unterschiedliche Menschen zusammenbringen soll, um die Kreativität zu erhöhen. Die Wahl des Architekturbüros wirkt programmatisch. Handelt es sich bei Snøhetta doch um einen Verfechter der offenen transparenten Bürolandschaften, die zufällige Begegnungen provozieren. Berühmt gemacht hat das Büro aber ihre Oper in Oslo, ein geradezu tollkühnes Statement für den öffentlichen Raum, denn die Architekten entwarfen das Dach so, dass es rund um die Uhr zugänglich ist.

Swarovski gilt vielen immer noch als kitschiger Bling-Bling-Lieferant, der Yachten genauso mit Glitzertapeten ausstattet wie Luxusautos mit funkelnden Schaltknüppeln. (Foto: Werner Elmer)

Tatsächlich war auch die Manufaktur eine Art Zufallsprodukt. Vor knapp drei Jahren überlegte Swarovski zusammen mit Wattens, wie sich das Unternehmen zur Gemeinde verhält. Eine wichtige Frage, denn große Teile des Ortes sind nicht frei zugänglich, über die Jahrzehnte ist das Werksareal immer weiter gewachsen. 8000 Einwohner hat Wattens, 4800 Mitarbeiter hat Swarovski dort. Mitten im Zentrum huldigt eine Bronzestatue dem Firmengründer, im Gästebuch dankt der Bürgermeister in Schönschrift der Familie für ihr "Bekenntnis zu unserer Heimatgemeinde".

Doch der Unmut wächst, in der Vergangenheit war auch Swarovski nicht vor Kündigungen gefeit, was dem Ansehen in Wattens nicht zuträglich war. "Wir wollen Teile des Werks als öffentlichen Raum verstehen", erklärt Markus Langes-Swarovski die langfristigen Pläne, die man auch als Charmeoffensive verstehen kann. Die Manufaktur ist ein erster Schritt.

Der offenbar bitter nötig war, denn der einstige Platzhirsch steht unter Druck. Billiganbieter, Digitalisierung, Fast Fashion: "Wir sind als Unternehmen sehr stark von der Globalisierung getroffen worden", sagt Langes-Swarovski. Und nicht nur davon. Die meisten Initiativen, die der Firma neues Wachstum bringen sollten, sind gescheitert. Die Schmuckfilialenkette Cadenzza und Lola & Grace gibt es nicht mehr, auch nicht das Onlineportal Crystal Hub.

Manche sehen den Grund für die derzeitige Lage auch in der Firmenstruktur. Swarovski ist immer noch ein Familienunternehmen, und nicht immer sind sich alle Mitglieder einig. So manche Entscheidung werde da schon mal "von hinten bombardiert", gibt der Ururenkel im Gespräch so offen zu, dass die PR-Abteilung nervös wird. Er strebt eine Strukturreform an, wobei: "Bei der Manufaktur sind wir sehr viel mutiger." Vielleicht ist es kein Zufall, dass bei deren Eröffnung zwei der fünf Geschäftsführer fehlten. Es sollte gefunkelt werden, nicht gestritten.

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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