Berliner Markthalle:Anachronistische Hausmannskost

Berliner Markthalle: Hier kommen Forellen noch aus dem Aquarium, die Scholle wird auf Wunsch im Ganzen ausgebacken: Die Fischtheke ist bis heute das Herz des Ladens.

Hier kommen Forellen noch aus dem Aquarium, die Scholle wird auf Wunsch im Ganzen ausgebacken: Die Fischtheke ist bis heute das Herz des Ladens.

(Foto: Dagmar Schwelle/laif)

Der Berliner Delikatesshandel Rogacki ist mit seinen Bergen an Räucherfisch, Krabben oder Sülze ein Symbol des Überflusses. Heute ist das Geschäft hip, weil hier nie etwas verändert wurde.

Von Verena Mayer

Berlin ist eine Stadt, die sich ständig verändert. Das merkt man schon, wenn man aus dem Urlaub zurückkommt, und in der Straße haben wieder zwei Läden geschlossen und drei neue Kaffeebars aufgemacht. Wer vor zehn Jahren, in den Neunzigerjahren oder vor der Wende in Berlin war - der war in drei vollkommen unterschiedlichen Städten. Umso erstaunlicher ist es, wenn man in Berlin an Orte kommt, an denen sich gar nichts verändert. Zum Delikatessenhandel Rogacki im Berliner Westen zum Beispiel.

Schon in dem riesigen Gebäude scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: draußen graue Steinplatten und eine knallgrüne Markise, drinnen eine riesige Halle mit klotzigen Säulen und einer ebenfalls knallgrünen Decke, die an eine U-Bahn-Station aus den Sechzigerjahren erinnert. Und erst das Essen, das hier verkauft wird. Geräucherte Makrelen, Schillerlocken, Rollmops. Leberwurst, Sülze oder Schmalz. Aber nicht nur eine Sorte, sondern Gänseschmalz, Schweineschmalz und Apfelgriebenschmalz.

Am Imbiss werden dampfende Teller mit Eisbein gereicht, am Buffet hat man die Auswahl zwischen Eiersalat, Rollmops oder Brathering in Gelee. Kurzum, das ist ein Ort, an dem die Zeit eingekapselt zu sein scheint wie die Meeresfrüchte in Aspik, die hier in durchsichtigen Blöcken ausliegen.

Aber wie das oft so ist mit den Dingen: Wenn sie lange genug überdauern, sind sie plötzlich hip. Und im Rogacki ist alles dermaßen retro, dass es das Zeug zum Kult hat. Auf Instagram laufen Bilder von Blutwürsten in Sauerkraut nun hoch und runter, Influencerinnen, die aussehen, als würden sie sonst Selleriesaft trinken, posen mit überladenen Rogacki-Tellern.

Das liegt auch am Inhaber; beziehungsweise daran, dass der nicht viel davon mitbekommt. Dietmar Rogacki bittet in sein Büro. Alte Fotos, ein abgeschabtes Sofa, an der Wand eine Tabelle, in der die Preise noch in D-Mark angegeben sind, es ist der Arbeitsplatz von jemanden, der nicht einsieht, warum man austauschen sollte, was sich bewährt hat. Rogacki, 63, kariertes Hemd, praktischer Bürstenhaarschnitt, führt das Unternehmen in dritter Generation.

Er wollte eigentlich Fotograf werden, hat die Dire Straits oder Blondie fotografiert, aber dann habe es in der Familie geheißen: entweder hier oder nie. Und das hieß vor allem: eine Westberliner Institution zu leiten. Gegründet hat das Geschäft vor 91 Jahren der Großvater, der mit einem Bollerwagen voll Fisch durch die Gegend gezogen war. Der Vater baute es nach dem Krieg zur heutigen Größe aus, mit Fleischtheke, Fischtheke, Wildtheke, Käsetheke, Wursttheke und mehreren Imbissständen in der Mitte. Rogacki war jener Ort in Berlin, an dem man Überfluss erlebte und den eigenen Überfluss herzeigen konnte.

Rofacki Berlin

In den Anfängen vor 90 Jahren war Rogacki noch eine reine Fischräucherei.

(Foto: Rogacki)

Wenn Dietmar Rogacki erzählt, berlinert er auf eine Art, die man nur noch selten hört. Die Briten nennt er "Tommies", das Berliner Fernsehen "SFB", also Sender Freies Berlin, so wie vor der Wende. Und immer geht es um die Vergangenheit. Wie er als Kind hinter einer Theke aus Sardinenbüchsen Türme baute. Wie sie im August 1961 keine Verkäuferinnen mehr hatten, weil viele Mitarbeiterinnen nach dem Mauerbau nicht mehr in den Westen kamen. Wie sie den Kartoffelsalat noch immer nach den alten Rezepten machen, eine Sorte mit Mayo, eine mit Öl, eine mit Speck.

Delikatessen sind ein Spiegel der Zeit, ein Symbol dafür, was sich eine Gesellschaft leisten will und was nicht. Längst meint Luxus in der Kulinarik vor allem die Mühe bei der Herstellung eines Produkts und den Blick auf seine Herkunft. Man gönnt sich Dinge, die einem richtig erscheinen, weil sie unter den richtigen Bedingungen produziert wurden. Zu dieser Art von Luxus gehört die Reduktion, es geht beim Genießen immer auch um den Verzicht; darum, ob es tierische Produkte sind oder Zutaten, die nicht aus der Region kommen.

Darum sind Rogacki's Delikatessen über die Stadtgrenzen bekannt

Bei Rogacki merkt man nichts von alledem. Es gibt Krabben, Austern, Muscheln und Schnecken, man bestellt Schweinebraten, Räucherfisch oder Tintenfischringe, so, als sei noch immer Wirtschaftswunder und als bedeute gutes Essen vor allem, vom Angebot an Nahrungsmitteln erschlagen zu werden. Kurioserweise ist genau das der Grund, warum Rogacki bis heute so einen Zulauf hat, allein vom Kartoffelsalat geht in der Woche eine Tonne über die Theke. In einer Welt, in der sich ständig alles verändert, wird das Anachronistische zum Anhaltspunkt.

Dass der Laden inzwischen über Berlin hinaus bekannt ist, lag an dem amerikanischen Koch Anthony Bourdain. Er stolperte in seiner Serie "Eine Frage des Geschmacks", in der er sich auf die Suche nach den kulinarischen Hotspots begab, auch durch Berlin, und dort landete er in der Wilmersdorfer Straße bei Rogacki. Man sieht Bourdain, wie er verschiedene Stücke Schweinskopfsülze aussucht - "so etwas kriege ich nur sehr selten zu essen" - bevor er sich Fisch, Schinken und Würsten zuwendet und sich dann, es ist schließlich Spargelzeit, dicke Spargelstangen in Butter ertränken lässt. Für Bourdain wurde dieses Essen zum Inbegriff für Deutschland selbst, für eine Bodenständigkeit, die spießig ist und als nicht mehr zeitgemäß gilt, die aber stets auch für Qualität steht.

Rogacki Feinkost.

Die üppigen Theken mit Fleisch, Wurst, Wild und Käse versetzen selbst Starköche wie Anthony Bourdain in Erstaunen.

(Foto: Andreas Pein/laif)

Dietmar Rogacki geht jetzt hinunter in die Halle. Es ist Mittag, die Tische sind voll, an den Theken drängen sich die Leute zusammen. Das Publikum ist auf eine Art gemischt, die man in Berlin nur mehr selten findet, Handwerker in Arbeitskleidung stehen neben Menschen in ihrer Büropause; Touristen, die Englisch oder Spanisch sprechen, neben alten Damen.

Letztens sei eine Frau zu ihm gekommen, die sagte, sie kenne den Laden noch als Bombenruine aus dem Krieg, erzählt Rogacki. Und oft hat man das Gefühl, die Leute schon mal gesehen zu haben, im Berliner Fernsehen oder in der Kommunalpolitik, es ist aber nur die typische Westberliner Kundschaft, die zum Inventar der Stadt gehört.

Erste Sektkübel werden gebracht, man hört Sätze wie "Was unternehmen wir heute, Shoppen oder Kunst?" Dazwischen bahnt sich Dietmar Rogacki nun seinen Weg hinter eine Theke. Holz liegt herum, es riecht nach Qualm. Der kommt aus einem der gemauerten Öfen, in den ein Mitarbeiter einen Rost mit Fischen schiebt.

In einem aktuellen Sterne-Restaurant würde man heute einen Tropfen Räucheraalfett verwenden, um eine ganze Suppe zu würzen, bei Rogacki hängen die Aale nebeneinander wie Kleidung von einer Wäschespinne, dazu Forellen, Bücklinge, Rotbarsche, die über dem Feuer geräuchert werden, bis sie eine fast goldene Farbe bekommen. Der Ofen ist aus der Zwischenkriegszeit, heute würde man so etwas nicht mehr genehmigt bekommen, sagt Rogacki. Eine Zeit lang hat sein Sohn mitgearbeitet und versucht, den Laden etwas moderner zu machen, mit Apps etwa, inzwischen studiert er aber lieber Medizin.

Und so wird im alten Berliner Westen weiter alles beim Alten bleiben. Die Wasserbecken mit den lebenden Fischen darin etwa, ein Anblick, den man zuletzt vor Jahrzehnten hatte, als man mit der Mutter in einen Laden ging, der Verkäufer eine Forelle aus einem Aquarium fischte und das zuckende Tier vor den Augen des Kindes mit einem Stab erschlug.

Es war eine Welt, in der es keine Fitness-Apps und Foodbloggerinnen gab und Ernährung noch nicht den Status einer Religion hatte. Eine Welt, in der Frauen Partybuffets zubereiteten, mit Käse-Igel und Hackepeter-Schwein, und die Männer sich mit ihrer Herrenrunde zum Cognac zurückzogen. Eine Welt ohne Internet und die Globalisierung, dafür mit zwei Deutschlands. Es gibt diese Welt nicht mehr, und keiner will sie wiederhaben. Aber hin und wieder kann man für die Dauer einer im Ganzen herausgebackenen Scholle wieder in sie eintauchen.

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