Süddeutsche Zeitung

Mode:Nicht die übliche Masche

Crowdstricken statt Crowdfunding: Bei Maiami ist jeder einzelne Pullover handgemacht. Mittlerweile ist das Label auf der ganzen Welt erfolgreich.

Von Silke Wichert

Zuerst zu den Damen. Nicht, weil sich das so gehört, sondern weil sie wichtig sind bei dieser Geschichte. "Die Damen", wie Maike Dietrich sie nennt, wurden damals per Annonce gesucht. Die meisten von ihnen sitzen im Berliner Umland, aber auch in Köln, in Süddeutschland. Alle arbeiten von zu Hause, die eine schneller, die andere langsamer, manche kennt man gut, andere nur vom Telefon, aber auf keine von ihnen würde sie verzichten wollen, sagt Dietrich. Denn diese Strickerinnen, mit denen die Berliner Designerin seit Jahren zusammenarbeitet, sind nicht nur wertvolle Handwerkerinnen. Die persönlichen Beziehungen zu ihnen machen die Pullover des Labels Maiami noch besonderer, als sie es ohnehin schon sind. Nicht die übliche Masche, in keinerlei Hinsicht.

Angefangen hat sie vor gut 15 Jahren. Damals arbeitete Dietrich noch als Stylistin, unter anderem beim erfolgreichen Mode-Duo Bless. Zwischen den Jobs suchte sie einen Ausgleich und entdeckte das Stricken wieder, das sie von ihrer Oma gelernt hatte. Sie nahm extra dicke Nadeln für besonders grobe Maschen, benutzte feine Garne, viel Mohair, und gelegentlich probierte sie auch, ein Motiv einzuarbeiten, einen riesigen Flamingo etwa. Bald musste sie reihenweise Pullover für Freunde machen, weil ihre Stricksachen irgendwie anders aussahen als die üblichen Wollpullover, die traditionell aus Italien oder Schottland kamen. Ihre waren leichter, bunter, cooler, sie passten besser in die urbane Großstadt.

"Irgendwann bin ich ohne große Erwartungen mit ein paar Entwürfen auf eine Modemesse gegangen", erzählt Dietrich, "und prompt hatte ich die ersten Bestellungen auf dem Zettel." Eine Weile strickte die Berlinerin noch alles selbst, vier, fünf Stunden pro Pullover. Aber dann wurden die Stückzahlen immer größer. Trotzdem reichten sie noch nicht aus, um eine professionelle Manufaktur zu beauftragen, und außerdem fehlte das Geld, um die Produktion auf einen Schlag vorzufinanzieren. So kamen die Damen ins Spiel.

Gute Strickerinnen sind nicht leicht zu finden

"Mit manchen von ihnen arbeiten wir fast von Anfang an zusammen", sagt Dietrich. Von einer Frau wisse sie, dass sie im Sommer gern draußen im Garten strickt, mit den Füßen im Pool. Zwei Schwestern stricken meist zusammen, eine andere bringt die Bestellungen am liebsten persönlich vorbei, weil sie dann gucken kann, welche neuen Entwürfe im Atelier entstehen. "Das sind alles Strickerinnen aus Leidenschaft, die ihre eigenen Familien zum Glück längst überversorgt haben." Man lese zwar immer wieder, dass Handarbeit einen neuen Boom erlebe, aber gute Strickerinnen seien nicht leicht zu finden. Deshalb pflegt sie ihr Netzwerk weiter, auch wenn sie es sich mittlerweile leisten kann, etablierte Handstrick-Manufakturen in Italien oder Bulgarien zu beauftragen. In Deutschland gibt es keine mehr.

Die ersten Jahre lief Maiami (eine Wortschöpfung aus dem Vornamen Maike und der Serie "Miami Vice") noch nebenher. "Es gab schon auch Momente, in denen ich gezweifelt habe", sagt Dietrich. Ohne Kapital und ohne Businessplan wird es in der Modebranche immer schwerer. Aber irgendwann reichten die Einnahmen, um das Hobby zur Hauptbeschäftigung zu machen. Mittlerweile hat Dietrich sieben Festangestellte im Atelier, die beim Finish und Vertrieb helfen. Mehr als 8000 Teile pro Jahr - neben Pullovern und Strickjacken auch Mützen und Schals - verkauft das Label aktuell, Tendenz steigend.

Die Bestellungen gehen in die ganze Welt, in den USA und Japan ist die Nachfrage momentan am größten, aber auch der heimische Markt wächst. Das Kadewe hat bis Februar einen eigenen Pop-up-Store für das Berliner Label eingerichtet. "Ich glaube, gerade in unserer digitalen Welt kriegt Handarbeit wieder einen höheren Stellenwert", sagt Dietrich. "Die Wolle fasst sich ganz anders an, jedes Stück ist ein Unikat mit eigenem Charakter. Man sieht, dass ein Mensch seine Hand im Spiel hatte." Dafür kostet ein gestreifter Pullover allerdings auch 349 Euro. Ein Cardigan aus Kaschmir sogar mehr als 1000 Euro. "Handmade luxury", wie es auf der eigenen Internetseite heißt.

Stricken findet Dietrich "total modern"

Natürlich nimmt die Gründerin manchmal noch selbst die Nadeln zur Hand, vor allem in der Designphase. Dann schließt sie sich manchmal tagelang ein und strickt pausenlos, gerade arbeitet Dietrich an der Winterkollektion 2021. "Nur aufmalen setzt den kreativen Prozess bei mir nicht in Gang", sagt die 46-Jährige. "Ich muss selbst Reihe für Reihe machen, um auf neue Ideen zu kommen." Inspirieren lässt sie sich oft von alten Filmen, "Shining" mit Jack Nicholson war so ein Fall, "da trug der Sohn einen tollen Pullover mit Apollorakete", sagt Dietrich. In letzter Zeit hat sie oft die Serie "Stranger Things" gesehen. Womöglich sieht der nächste Winter also ein bisschen mehr nach Achtzigerjahre aus.

Damals wurde einem das Stricken übrigens noch häufig an der Schule beigebracht, auch Dietrich lernte die Grundlagen im Unterricht. In England wurde vergangenes Jahr bereits diskutiert, ob Handarbeit wieder auf den Lehrplan gehöre. Kritiker halten das für rückständig, aber Dietrich sieht das ganz anders. Wenn alle über Nachhaltigkeit redeten, sei Stricken im Grunde nicht zu schlagen. "Wolle ist ein Naturprodukt, wir benutzen fair produzierte Garne, es fällt kaum Abfall an. Und man braucht nicht einmal Strom!" Das sei, findet sie, "total modern".

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SZ vom 01.02.2020/mkoh/vs
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