Süddeutsche Zeitung

Vintage-Design:Heiße Schachtel

Streichhölzer waren nie einfach nur Feuerquelle. Die Schachteln dienten auch als Notizblock, Werbeträger, Angeber-Anmache. Nun werden sie immer häufiger auch zum Wohnaccessoire. Anzünden? Viel zu schade!

Von Silke Wichert

Kurze Bestandsaufnahme im eigenen Haushalt (vierköpfige Familie, Nichtraucher, Gasherd): Im Küchenregal steht eine Streichholzpackung der schwedischen Marke "Solstickan" mit der Zeichnung eines kleinen Jungen darauf. Mitbringsel einer Freundin aus Stockholm, quasi unbenutzt. Auf der Wohnzimmer-Kommode neben dem Fotobandstapel ist eine kachelgroße Packung "Safety Matches" zu finden mit der bunten Illustration eines Elefanten, der mit einem Krokodil am Tau zieht. Gekauft für stolze 9,90 Euro beim Konzeptstore Merci in Paris, weshalb sie nur benutzt wird, wenn wirklich kein Feuerzeug funktioniert. Im Bad liegt eine ramponierte Schachtel mit dem Schriftzug der Marke Saint Laurent. Vergessen, wo die herkommt, in der Schublade eine aus der Kultkneipe "Schwabinger 7". Erinnerungsstück aus den Nullerjahren. Halbvoll, aber nur mit abgebrannten Streichhölzern.

Benutzt wurden diese Gebrauchsgüter also entweder kaum oder schon länger nicht mehr. Feuerzeuge sind schließlich praktischer, die guten Streichhölzer außerdem viel zu schade, um sie tatsächlich abzubrennen. Höchstens zur Weihnachtszeit wird mal eines der Stäbchen aus der Schachtel geholt - mehr feierliche Geste denn profane Handlung -, um eine teure Duftkerze mit weit heruntergebranntem Docht oder die Lichter auf dem Adventskranz anzuzünden. Dann wird einem gleich ums Herz ganz warm, und ab dem dritten Advent verbrennt man sich die Finger.

Das restliche Jahr über verschwinden die Schachteln jedoch keineswegs mehr in der Versenkung, sondern werden in vielen Wohnungen geradezu arrangiert. Wie alte Olivetti-Schreibmaschinen, Schallplatten oder nackte Glühbirnen an der Decke reihen sie sich ein in die Riege alter Objekte als neue Ausstellungsstücke. Nostalgie hat schon lange Hochkonjunktur, und bei Streichhölzern ist sie unbedingt angebracht, weil sie für eine Zeit stehen, in der ein sprichwörtlicher Funke noch in Bars übersprang und nicht über Tinder. Das schummrige Licht stammte da von Kerzen und nicht vom Alexa-Dimmer und das Zischen der Streichhölzer brachte in alten Hollywoodfilmen immer ein gewisses Knistern auf die Leinwand. Außerdem schien Feuer mit dem Streichholz irgendwie handgemacht, während die Flamme aus dem kleinen Plastiktank die profane Instantvariante war.

Die Erfindung des Streichholzes war ein Unfall

Erfunden wurde das Streichholz 1826 angeblich aus Zufall, von einem britischen Apotheker namens John Walker. Der wollte eigentlich eine leicht entflammbare Substanz für Munition und dergleichen herstellen. Aber richtig zünden wollte seine Mischung aus Antimon-Sulfid, Chlorsalz mit Gummi arabicum und Stärke nicht, obendrein klumpte sie. Erst als Walker die Reste seines Mischstäbchens am Boden abwischte, entwich plötzlich eine Stichflamme. Mehr Erleuchtung mit dem Holzpfahl geht wohl nicht.

Die schwedische Streichholzindustrie hingegen schreibt auf ihrer Seite, das "Phosphorus Match" sei 1831 erfunden worden. Auch die gelbe, giftige Masse lässt sich damals noch mit fast jeder Reibung entzünden, was die Sache ein bisschen gefährlich macht. Dafür sieht es im Western immer lässig aus, wenn der Cowboy das Streichholz einfach an der Schuhsohle entfacht. Erst 1844 soll der schwedische Professor Gustav Erik Pasch das sogenannte "Safety Match" erfunden haben, mit rotem Kopf aus rotem Phosphor. Eine Flamme entsteht erst, wenn es über eine Fläche mit dem gleichen Pulver gerieben wird. Die Schweden stiegen daraufhin groß ins Streichholzgeschäft ein, schließlich ermöglichten die kleinen Schachteln nun immer und überall Feuer machen zu können. Und klar, endlich auch immer und überall zu rauchen.

Dazu eine wunderbare "Matching"-Trivia: 1930 gewährte der schwedische Industrielle Ivar Kreuger den Deutschen einen Kredit über 500 Millionen Reichsmark. Laufzeit 53 Jahre. Kosten jährlich sechs Prozent Zinsen und das Monopol auf Zündwaren. Bis 1983 durften deutsche Firmen also allen Ernstes keine Streichhölzer herstellen.

Wer eine Packung originalschwedische "Tändstickor, extra långa" von Solstickan zu Hause hat, kann also gleich auch etwas erzählen. Obendrein sieht die Verpackung hübsch, weil sehr vintagemäßig aus. Die Zeichnung des kleinen Jungen mit Sonne links im Bild stammt übrigens vom schwedischen Künstler Einer Nerman und zeigt seinen Sohn. Gegründet wurde die Marke 1936 ursprünglich als Charity, um Geld für bedürftige Kinder zu sammeln.

Überhaupt waren die schmalen Holzstäbchen von Anfang mehr als ein reiner Gebrauchsgegenstand. Sie verbanden die Menschen, weil sie bereitwillig geteilt wurden. Schließlich steckten in einer herkömmlichen Packung 38 Stück, genug für die halbe Kneipe, wenn es sein musste. Trotzdem wurde natürlich sparsam mit ihnen umgegangen und mit einem Hölzchen immer gleich mehrere Zigaretten angezündet. (Der Aberglaube sagt allerdings: Nie mehr als zwei, dem Dritten droht sonst Unglück.) Unter Männern gab es außerdem den inoffiziellen Wettbewerb, wer die Flamme am coolsten anmachte, etwa steil von oben statt im 45-Grad-Winkel wie die Anfänger.

Bogart bekam Bacalls Nummer auf einer Streichholzschachtel

Selbst wenn die Packung leer war, konnte sie immer noch nützlich sein. Als Humphrey Bogart seine Kollegin Lauren Bacall bei den Dreharbeiten zu ihrem ersten gemeinsamen Film "To have and Have not" 1944 nach ihrer Telefonnummer fragte, soll sie ihm die Nummer auf einer Schachtel notiert haben. Die beiden waren dann bekanntlich zwölf Jahre bis zu seinem Tod verheiratet. Unzählige Dates hätten ohne diese Packungen nie stattgefunden, Agenten wichtige Nachrichten verpasst. In Roman Polanskis "Frantic" von 1988 findet Harrison Ford auf der Suche nach seiner verschwundenen Frau ein Streichholzbriefchen mit der Aufschrift eines Nachtlokals "Blue Parrot" und darin den Namen Dédé plus eine Telefonnummer. Dédé ist natürlich längst tot, als Ford ihn anruft, aber den Nachtclub gibt es noch, und dort geht der Thriller dann weiter. Das waren Streichhölzer eben auch immer: eine perfekte Werbefläche und ein dankbares Give-Away. Kaum ein Restaurant oder eine Bar, die früher keine eigenen Schachteln hatten, bei denen man sich reichlich bediente.

Anfang der Achtzigerjahre nahmen die Kontingente an den Bars ab, wie überhaupt die Verkäufe von Streichhölzern dramatisch einbrachen, weil Feuerzeuge billiger und praktischer waren. So romantisch die hellen Stichflammen loderten: Wer als Raucher unter nicht ganz windstillen Bedingungen ständig einen kleinen Scheiterhaufen auf dem Boden hinterließ, wechselte genervt das Lager. Irgendwann kam dann sowieso das Rauchverbot in der Gastronomie.

Die letzten Jahre allerdings sei das "goldene Zeitalter" der Streichholzschachtel als Aushängeschild angebrochen, heißt es von der Werbemittelfirma The Match Group in den USA. Tatsächlich sieht man wieder Gläser mit lauter kleinen Briefchen an Kassen oder Empfangstresen stehen. Häufig nimmt man sie fast automatisch mit, weil schon das spontane Rasseln der Hölzer kindlich gute Laune macht und eine Notration zu Hause eben nie schadet.

Wer noch eine zündende Geschenkidee braucht: Luxus-Streichhölzer

Ein noch größeres Comeback scheinen allerdings die Drucke auf den Packungen zu erleben. Schon früher wurden sie oft kunstvoll gestaltet, weswegen viele Grafikdesigner und Illustratoren leidenschaftlich Streichholzschachteln sammeln. Künstler wie die Briten Peter Blake oder Aaron Kasmin haben sich von ihnen für eigene Kunstwerke inspirieren lassen. Das kleine Familienunternehmen Archivist aus Oxfordshire begann 1994 als Druckerei und arbeitete vor allem mit den Archiven des Natural History Museums. Vor elf Jahren brachten sie eine kleine Edition von zehn "Luxury Matches" mit Vintage-Motiven heraus, die der Vater im Gartenhäuschen von Hand auf die etwa untersetzergroßen Packungen druckte. Die hübschen Schachteln waren so erfolgreich, dass es mittlerweile über 150 Motive gibt und Archivist Geschäfte in der ganzen Welt beliefert, darunter eben Adressen wie Merci in Paris oder Peter Fields in Berlin.

Vielleicht sollte man dieses Weihnachten mal nicht die zehnte Duftkerze, sondern ein paar Luxus-Hölzer verschenken. Wenn sie kaum benutzt werden, ist das ausnahmsweise ein gutes Zeichen.

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