Süddeutsche Zeitung

Stilkritik zum "Fascinator":Adelige Kopfantenne

Eine rothaarige Prinzessin verhalf ihm zu Weltruhm. Den Hüten hat er längst den Rang abgelaufen: Der "Fascinator". Wenn am Dienstag die niederländische Königin Beatrix den Thron an ihren Sohn übergibt, wird der extravagante Federschmuck auf so manchem Damenkopf zu finden sein.

Von Jana Stegemann

Das hätte man ihr wirklich nicht zugetraut: Prinzessin Beatrice hat Humor bewiesen. Das Bild, das die Klatschpresse jahrelang von Fergies ältester Tochter kreierte, war das einer langweiligen Rothaarigen mit Hang zu Pfunden und Pferden. Ein wenig besser wurde es, als sie Partys für sich entdeckte und eine Diät machte.

Ins Bewusstsein von Nicht-Royalisten rückte die 24-Jährige jedoch am 29. April 2011. Da entstieg die Britin anlässlich der Hochzeit ihres Cousins Prinz William einem schwarzen Rolls Royce im cremefarbenen Valentino-Mantelkleid - auf dem Kopf ein undefinierbares, verschlungenes Ungetüm. Es handelte sich um einen Fascinator des irischen Hutmachers, Philip Treacy. Einen was, bitte? F-a-s-c-i-n-a-t-o-r. Damit hatte Beatrice für die Bekanntheit des festlichen Kopfschmucks soviel getan wie keine andere vor ihr.

Zwar trugen während der royalen Hochzeit noch 33 weitere weibliche Gäste anstelle eines Huts einen Fascinator, doch dürfte keiner von ihnen den etwa zwei Milliarden Zuschauern des royalen Großereignisses so sehr in Erinnerung geblieben sein wie der Kopfschmuck der Queen-Enkelin - wenn auch nicht in positiver.

Der Spott, der sich am nächsten Tag aus Zeitungen und Internet über Beatrice ergoss, war gigantisch. "Brezel", "Hirschgeweih" oder "Klobrille" waren noch die charmantesten Bezeichnungen, eine Facebook-Seite mit dem Namen "Princess Beatrices´s ridiculous Royal Wedding hat" fand innerhalb von zwei Tagen 143.000 Fans. Das Time Magazin erklärte ihren Fascinator zum "Top 3 Meme" des Jahres 2011, die altehrwürdige New York Times rechnete das Accessoire zu den "75 Dingen, über die New Yorker 2011 sprachen".

Und was tat Beatrice? Sie versteigerte den Gegenstand des Anstoßes für knapp 100.000 Euro über die Plattform Ebay und stiftete den Erlös einem Kinderhilfswerk. Hut ab, doch damit endete die Ära dieser speziellen Kopfbedeckung nicht etwa - im Gegenteil.

Glitzer, Ananas und Straußeneier

Wurde der Fascinator in den letzten Jahrhunderten ausschließlich auf den Köpfen von vornehmen Britinnen der Oberschicht bei Gartenfesten, Hochzeitsfeiern oder Pferderennen gesehen, hielt er im 21. Jahrhundert Einzug auf den roten Teppichen zwischen Los Angeles und Berlin. Er saß auf dem Schopf von Stilikonen wie Sarah-Jessica Parker, Victoria Beckham und Herzogin Catherine. Jetzt ist er im Alltag, auf den Straßen und in den Büros der Republik angekommen.

Mit Haarnadeln, Kamm oder Haarreif werden die Arrangements nahezu unsichtbar auf dem Kopf befestigt, sodass der Eindruck entsteht, sie würden schweben. Es gibt unzählige Arten und Formen des Kopfschmucks: Kreationen aus Materialien wie Federn, Tüll, Spitze, Satin, Glitzer, Perlen, Seidenblumen - oder ein Mix aus allem zusammen. In Ascot wurden schon Damen gesehen, die sich eine Ananas in Neonfarben oder eine Skulptur aus Straußeneiern aufsetzten, der Phantasie sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt.

Ein Fascinator, ob schrill oder elegant, macht jedes Outfit zu etwas Besonderem. Er kann zu Abend- und Cocktailkleidern und Hosenanzügen und Kostümen ebenso getragen werden wie zu Jeans und Bluse. Bei letzterem jedoch in der reduzierten Alltags-Variante als Haarreif mit ein paar Federn und etwas Glitzer.

Sicher ist: Frauen, die einen Fascinator tragen, gehen aufrechter. Das Kunstwerk auf dem Kopf hat einen ähnlichen Effekt wie ein Buch auf dem Haupt, nur sieht es schöner aus und fühlt sich leichter an. Fascinator leitet sich von dem lateinischen Wort "fascinare" ab, das bedeutet je nach Kontext "verzaubern" oder "verhexen". Der Fascinator ist ein Stück Adel zum Aufsetzen. Er sorgt statt Diadem und Krönchen für einen Hauch von royalem Dasein im Alltag.

Der Siegeszug des Fascinators gefällt allerdings nicht allen. Das glanzvollste Pferderennen der Welt, Royal Ascot, ist berüchtigt für die außergewöhnlichen Kopfbedeckungen seiner weiblichen Zuschauer. Doch seit 2012 überwachen erstmals in der 300-jährigen Geschichte "Dress-Code-Assistenten" den Durchmesser der Hüte - ein Mindestwert von zehn Zentimetern ist Pflicht. So mussten im vergangenen Jahr zahlreiche Frauen ihren Fascinator gegen Hüte mit dem richtigen Durchmesser austauschen - gegen eine Leihgebür von 50 Pfund.

Wenn am kommenden Dienstag Königin Beatrix den niederländischen Thron an Willem Alexander übergibt, wird auf dem ein oder anderen weiblichen Schopf sicher der extravagante Federschmuck zu finden sein. Prinzessin Máxima gehört jedenfalls zu den größten Fans des Fascinators. Ob Prinzessin Beatrice kommen wird, um mit ihrer Kopfbedeckung allen anderen die Schau zu stehlen, ist allerdings noch offen.

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