Weihnachtskarten:Glück muss glitzern

Weihnachtskarte für Geschäftspartner muss bald in die Post

Die Weihnachtskarte, eine bedrohte Spezies? Wenn schon nicht selbst gebastelt, dann doch handgeschrieben? Selbst dafür bleibt oft keine Zeit.

(Foto: dpa-tmn)

Großer Verteiler, kleiner Zeitaufwand, klick und weg: Läuft die Massenmail der liebevoll gestalteten Weihnachtskarte den Rang ab? Manchmal vielleicht. Doch Botschaften von großem Glück rufen immer noch nach Glitzer und Büttenpapier. Eine Stilkritik.

Von Anna Günther

Dicke Kordeln hingen jedes Jahr zur Weihnachtszeit in den Wohnzimmern der Verwandtschaft, daran aufgereiht liebevoll gestaltete Unikate aus farbigem Karton, die langen Bastelabende im Advent sah man den Karten an. Weihnachtswünsche, gemalt mit Silberstift und, weil zur Adventszeit im Zweifel mehr immer mehr ist, auch noch üppig mit Glitzersternen bestreut.

Dass von den Karten ein merkwürdiger Mix diverser Düfte ausging, gehörte dazu: Die ambitioniertesten Bastlerinnen träufelten Tannenduftöl in den Briefumschlag, das sich dann mit den Aromen von Orange, Zimt und "Weihnachtszauber" vereinte. Auf empfindliche Nasen konnten die Kartengestalter keine Rücksicht nehmen - sie schickten die Botschaften ja nicht zum Spaß. Sorgfältig inszenierte Fotos der adretten Kinderschar in weihnachtlichen Kitschkostümen sollten pünktlich zum Fest die Verwandten erfreuen.

Umschlag lecken bis zur Übelkeit

Schon Wochen vorher mussten die Kinder murrend noch was Nettes an Opa/Tante/Taufpaten unter die Weihnachtsgrüße schreiben und dann Umschläge ablecken bis zur Übelkeit. Kam dann Weihnachtspost ins Haus, wurde sie feierlich geöffnet und mit einem "Schau, Tante Gisela hat auch wieder geschrieben", an die Kordel gehängt - und wehe sie schrieb nicht. Dann drohte die Höchststrafe: der Ausschluss von der Weihnachtspost-Adressliste. Ach, damals.

Und heute? Macht sich scheinbar niemand mehr die Mühe. Heute schicken selbst die ambitioniertesten Kartenschreiber von einst digitalen Einheitsbrei über den großen Email-Verteiler. Vorgefertigte Grußkarten, Schema F. Klar, die inszenierte Familienidylle lässt sich auch auf diesem Wege verbreiten. Hauptsache, Freunde, Verwandte und Bekannte spüren, dass man an sie denkt. Es ist schließlich Weihnachten.

Schließlich ist der Advent auch die stressigste Zeit des Jahres. Geschenkejagd durch überhitzte Läden, Weihnachtsfeier hier, Verwandtenbesuch dort und zwischendrin auch noch die Freunde - man will sich ja im alten Jahr noch einmal sehen. Die Zeit, Weihnachtskarten zu basteln, ist begrenzt. Und so verschwinden die Festtagsmails ganz ohne Glitzer oder Tannenduft irgendwo im Nirvana des Posteingangs. Wenn man sich überhaupt die Mühe macht, E-Mails zu verschicken und nicht der ganze Kram mit einem "Merry X-Mas y'all" via SMS abgehakt wird.

Handgeschriebene Zeilen für die Lieblingsmenschen

Hat das digitale Zeitalter der klassischen Weihnachtskarte ein Ende gesetzt? Keineswegs: Handgeschöpftes Briefpapier, Bütten mit persönlichem Wasserzeichen und Goldrand-Grußkarten haben in Schreibwaren-Läden Hochkonjunktur. Irgendwer muss also schreiben und versenden. Offenbar ist es eher der Lebenswandel, der den Weihnachtskarten-Ausstoß beeinflusst, denn Grüße an die wichtigsten Menschen werden weiterhin von Hand geschrieben.

Haben Mütter und Großonkel dereinst stoßweise Weihnachtspost verschickt, nimmt das spätestens dann schlagartig ab, wenn die Kinder das Haus verlassen. Nur die engsten Freunde werden weiterhin persönlich bedacht. Und die mittlerweile erwachsenen Kinder? Jetten durch die Welt, studieren heute hier und arbeiten morgen da. Für Grußkarten an die Verwandtschaft ist keine Zeit, von der Lust mal ganz zu schweigen. Die liebevoll bemalte Karte an die Omi oder das Päckchen für die beste Freundin in Übersee gehören meist trotzdem fest zur Weihnachtszeit. Für die Liebsten nehmen sich auch Bastelfaule gerne Zeit.

Doch spätestens, wenn dann der Nestbautrieb im Freundeskreis um sich greift, scheint es gar nicht genug Gelegenheiten für kitschige Karten zu geben. Plötzlich senden auch die notorisch beschäftigten Kettenmail-Verschicker ihre Portion Liebesglück in die Welt. Säuglinge werden nackt bis auf die rote Zipfelmütze auf Bärenfelle drapiert und jährlich in festlichem Ambiente für die obligatorischen Weihnachtskarten abgelichtet. Wieder entbrennt der kreative Wettstreit um Karten und die süßesten Kinderbilder. Denn dass das eigene Kleine im Rentier-Kostüm viel schnuckeliger ist als die anderen Wonneproppen, steht natürlich außer Frage.

Bekannte und Freunde werden so lange mit Weihnachtsgrüßen beglückt, bis die Kinder pubertätspicklig aufbegehren und die Karten jedes Jahr weniger werden. Eifer und Menge ändern sich je nach Lebensphase, doch eines bleibt - ob elektronisch oder auf Papier: Alle Jahre wieder kommt die Weihnachtspost.

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