Süddeutsche Zeitung

Stilkritik Raumanzug:Mission Mond-Mode

Die Nasa hat neue Raumanzüge: hochmoderne Kreationen, erschaffen zum Lustwandeln auf der südlichen Mondhalbkugel. Wurde aber auch Zeit.

Von Violetta Simon

Es ist sensationell. Eine Frau steht auf einer Bühne, winkt, geht ein paar Schritte. Dann der Höhepunkt: Sie bückt sich und hebt einen Gesteinsbrocken auf. Ein denkwürdiger Moment, in zweifacher Hinsicht. Zum einen, weil die Frau einen Raumanzug trägt. Zum anderen, weil eine Frau diesen Raumanzug mit der monströsen Kugel auf dem Hals trägt. Es handelt sich um Kristine Davis, also nicht die US-Schauspielerin, sondern die gleichnamige Nasa-Ingenieurin Kristine Davis.

Wie die US-Raumfahrtbehörde bekanntgab, will sie 2024 die nächste Mondmission wagen - und dabei erstmals auch eine weibliche Astronautin auf den Mond schießen. Für dieses Unterfangen hat die NASA nun neue Space-Suits entworfen. Auslöser war übrigens nicht ein erschrockenes "Ich habe nichts Passendes anzuziehen!" Sondern der beklagenswerte Zustand der Raumanzüge, die sich seit der Apollo-Ära der Sechziger- und Siebzigerjahre kaum weiterentwickelt haben. "Die Raumanzüge, die die Astronauten derzeit auf der ISS benutzen, wurden vor mehr als 40 Jahren entwickelt und haben ihre eigentlich auf 15 Jahre angelegte Design-Lebensdauer weit überschritten", so die Einschätzung eines Experten-Teams der Nasa im Dezember vergangenen Jahres. Mit anderen Worten: Es war wirklich höchste Zeit.

Das Ergebnis ist eine Kreation in Weiß, erschaffen zum Lustwandeln auf dem Mond. Okay, zugegeben, das Weiß ist notwendig, um das Sonnenlicht zu reflektieren. Aber es sorgt auch dafür, dass die mehrschichtige Arbeitskluft, durch die sogar Schläuche führen, nicht allzu sehr aufträgt. Dann die roten und blauen Applikationen an Schultern und Ellbogen - eindeutig ein Bekenntnis zur aktuellen Mode. Na gut, womöglich repräsentieren sie auch die Farben der US-Flagge, die zuvor immer an dieser Stelle abgebildet war. Doch immerhin handelt es sich um die Trendfarben Pantone "Cranberry" und "Galaxy Blue", wie sie die Designer in der Herbst-/Wintersaison 2019/2020 einsetzen. Nicht zu vergessen der großzügige Faltenwurf und die Abnäher im Kniebereich, die offensichtlich den japanischen Designer Yohji Yamamoto zitieren. Und die zeitgemäßen Stiefel mit Profilsohle, die eher an sportliche Trekkingschuhe als an die unvermeidlichen Moonboots erinnern.

Auch sonst ist alles neuer und besser, wenn man der Weltraumbehörde glauben darf. Man erkennt es vielleicht nicht sofort, wenn man die Astronautin in dem 130-Kilo-Anzug über die Bühne wanken sieht wie ein betrunkenes Michelin-Männchen. Doch die neuen Prototypen sollen wesentlich mehr Bewegungsfreiheit erlauben als die Vorgängermodelle. Mittels 3D-Scan-Technik werden die Anzüge ihren Trägern mehr oder weniger auf den Leib geschnitten. Somit ist der neue Nasa-Suit quasi die Ballerina unter den Raumanzügen.

45 Minuten Ankleiden

Die großzügigen, metallisch verstärkten Armausschnitte ermöglichen kreisende, rudernde und winkende Armbewegungen. Sollten die Astronauten auf ihrem nächsten Mondspaziergang den dringenden Wunsch verspüren, die ganze Welt zu umarmen, so dürfte es in diesem Outfit gelingen. Dank hochentwickelter Gelenklager können sie sich anschließend sogar bücken, um etwas Mondgestein aufzuheben. Vor allem aber müssen die Astronauten nicht mehr schwerfällig durch die Gegend hopsen wie ein Tiefseetaucher über den Meeresboden. So dass die sprichwörtlichen kleinen Schritte für den Menschen auch als großer Schritt für die Menschheit erkennbar sind.

Nur das Ankleiden bleibt ein Problem. Bis man endlich drin ist in dem Anzug, dauert es 45 Minuten, ohne Hilfe ist das nicht zu schaffen. Für die An- und Abreise hat die Nasa daher ein handlicheres Modell entworfen: eine Art Hausanzug mit Überlebensfunktionen, geschlechtergerecht präsentiert von einem Mann: Orion-Projektmanager Dustin Gohmert. Der Prototyp erfreut durch ein vitales, kräftiges Orange und einen großzügigen Schnitt - und erweist sich dabei durchaus als figurbetont.

Allerdings sollten die Designer vor der nächsten Expedition auf der südlichen Mondhalbkugel lieber mal damit rechnen, dass weitere Änderungen nötig sein könnten. Bis die Astronauten darin ihre erste Reise antreten, vergehen schließlich noch fünf Jahre. Und man weiß ja, wie schnellebig die Mode ist - womöglich sind Moonboots dann wieder in. Und "Galaxy Blue" total out.

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