Stilkritik:Ist immer noch nur Hackfleischbrot

Stilkritik: Burger aus alternativen Bratereien gelten als irgendwie schnelles, aber trotzdem gutes Essen.

Burger aus alternativen Bratereien gelten als irgendwie schnelles, aber trotzdem gutes Essen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Burger aus alternativen Bratereien gelten als schnelles, aber trotzdem gutes Essen, als praktisch, stylisch und irgendwie nachhaltig. Aber das stimmt nicht. Ein Plädoyer gegen den Burger-Wahn.

Von Marten Rolff und Max Scharnigg

Sie heißen Schiller-Burger, Hans im Glück oder noch viel verrückter, und sie eröffnen ihre Filialen schneller als man Doppelwhopper-Menü sagen kann. Alternative Burgerbrater und ihr Versprechen vom schnellen, aber trotzdem irgendwie guten Essen expandieren immer noch und arbeiten sich mittlerweile aus den Innenstadtlagen bis in die Provinz vor. Höchste Zeit, mit ein paar hartnäckigen Vorurteilen aufzuräumen. Denn erst, wenn das letzte kleine Restaurant in einen neuen Burgerladen umgewandelt ist, werden wir feststellen, dass man nicht jeden Tag Hackfleischbrot essen kann.

Burger essen ist stylish

Essen, bei dem man alle Zutaten einfach übereinanderstapelt - klar, dass das den Authentizitäts-Fanatikern in der Großstadt gefällt. Die neuen Burger-Anbieter kümmern sich aber nicht nur um die möglichst haarsträubende Statik ihrer Brot-Fleisch-Türme, sondern wollen zwanghaft auch neue Standards in Sachen individueller Inneneinrichtung setzen.

Übergreifendes Motto: Essen, wo andere arbeiten. Man sitzt also wahlweise in einer kunstvoll aufbereiteten Bauruine oder in einer Art romantischem Kuhstall. Egal, ob es dazu passt: Ein markanter Naturbezug muss immer dabei sein, entweder in der Dekoration (Birkenstämme, Baumtapeten) oder in langatmigen Bio-Versprechen auf der Speisekarte. Diese kumpelhafte Atmosphäre funktioniert wohl vor allem deswegen gut, weil die Zielgruppe der Indie-Burgerläden vergleichsweise eng zwischen 15 und 35 Jahren angesiedelt ist und niemand auf die Idee kommen würde, seine Eltern oder Geschäftspartner zum gemütlichen Burgeressen einzuladen. Nein, hier wird zwangsgeduzt.

Besonders viel Nutzwert muss die Inneneinrichtung auch aus einem anderen Grund nicht haben: Weil man einen Burger immer noch nicht als ganz vollwertiges Abendessen begreift, isst man ihn schneller, braucht keine Rückenlehne und sitzt sowieso nur halb auf seinem Hintern. Deswegen reichen die Hocker aus recycelten (aber nicht geputzten) Blecheimern ja auch völlig aus. Das stilistische Entzücken über diese witzigen Ideen und die originellen Möglichkeiten, seine Bestellung aufzugeben, hat sich in den letzten Jahren allerdings deutlich abgeschwächt. Mittlerweile fände man doch auch mal wieder eine Tischdecke und zweilagige Servietten ganz gut.

Groß und praktisch

Je größer, desto besser

Besonders beachtlich war der Sprung zwischen 2011 und 2012 - von 350 auf 914 Kilogramm Gesamtgewicht. Damit schnappte ein Spielcasino in Minnesota dem Jahrmarkt von Alameda den Guinness-Buch-Eintrag zum größten Burger der Welt weg. Im letzten Herbst präsentierte der "Heart-Attack-Grill" in Las Vegas dann den "Octuple Bypass Burger" mit in Butter getränkten Pattys und 20 000 Kilokalorien.

Die Frage, was diese Nebenschauplätze des US-Fress-Entertainments mit unserem Alltag zu tun haben, ist berechtigt. Antwort: viel, hat es doch der Größenwahn längst auf die Teller geschafft: In Berlin-Tempelhof wirbt man jetzt für Burger mit 1,8 Kilo Fleisch, Stopfwettbewerbe und Selfies vor Pommesberg inklusive. Und in Kreuzberg stapeln sie Brötchen, Gurken und Bouletten vor laufenden Kameras zu halbmeterhohen Türmen.

Das Rätsel, wieso XXL ausgerechnet in der Überfluss- und Adipositas-Ära immer noch größer wird, sollen Werbepsychologen klären. Mutmaßlich ist das Tatmotiv eine Mischung aus Jagdinstinkt (viel Beute = gute Beute), später oraler Phase, Preis-Leistungs-Besessenheit und Omas Schilderung vom '48er-Winter. Als sicher gilt nur: Riesen-Burger gehen vor allem beim geldklammen (post-)pubertären Publikum weg wie warme Semmeln, und alle Gäste sind nach dem Verzehr immer gleich überrascht: Krass Alter, ist mir fett übel.

Burger sind praktisch

Die Größe wirft die Frage nach der Beherrschbarkeit auf. Wie, warum und von wem der Hamburger erfunden wurde, ist umstritten. Doch viele Legenden um seinen Ursprung haben tatsächlich irgendwie mit der Stadt Hamburg zu tun sowie - aufgemerkt! - mit seinem praktischen Nutzen. So soll es zum Beispiel die Kombination von Hamburger Rundstück (eine Brötchensorte) und Hacksteak im vorletzten Jahrhundert als Bordproviant von der Hansestadt nach New York geschafft haben.

Der wachsende Sex-Appeal des Hamburgers ist damit schnell erklärt in einer Zeit, in der Snacking das neue Dining ist und sich dem gestressten Gast selbst Harzer Roller im Salzteig mit dem Hinweis verkaufen lässt, das Ding sei in einem Food-Truck zubereitet worden. Doch wenn der Burger als praktische und schnelle Alternative zu gestärkten Tischdecken und verklemmten Kellnern gilt, warum ziehen wir uns dann zu seinem Verzehr immer öfter in fünf Tage im Voraus zu reservierende Restaurants im Design von Philippe-Starck-Kopisten zurück?

Dort hat sich die ehemalige ReiseBemme zum triefenden Monstrum entwickelt, und so ist das Equipment beachtlich, das man mittlerweile für seine halbwegs zivilisierte Bewältigung eigentlich bräuchte: Elektromesser, Spritzschutz, abwaschbares Auffangbecken auf den Knien und eine Schüssel mit Zitronenwasser für den Schmadder von vier Soßen an den Fingern.

Anders und edel

Jeder schmeckt anders

"Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht", lautet ein Sprichwort. Und so ist alte Gewohnheit wohl ein wesentlicher Grund dafür, dass Neu-Vegetarier mit solcher Begeisterung auf Tofu- und Grünkern-Burgern herumkauen; auf einem Stapel aus kulinarischen Missverständnissen also, der bereits in seiner Konsistenz an eine marinierte Federkernmatratze erinnert.

Paradoxerweise gilt gerade die Veggie-Variante vielen Burger-Gourmets als Beleg für die aufregende neue Vielfalt der Szene. Und in der Tat: Lesen sich die Karten der Edel-Grills heute nicht wie eine paradiesische Verheißung aus sonnengereiften Tomaten, Wasabi-Dips, Gorgonzola-Creme und Macademia-Nuss-Knusper? Nichts gegen gute Zutaten und Kombinationen. Im Gegenteil. Doch eine Frage muss dann doch erlaubt sein: Wer schmeckt unter einem Sauerteig-Bun, unter Mayonnaise, Senf und/oder Ketchup, Barbecue- oder diversen Cocktailsößchen (ein geheimes Hausrezept selbstverständlich!), unter rohen Zwiebeln und den Röstaromen scharf angebratenen Fleisches noch ernsthaft den Unterschied zwischen geschmolzenem Emmentaler und Heumilchkäse aus dem Salzkammergut heraus?

Richtig: mit etwas Glück der Gaumen eines Profis. Nicht umsonst servieren amerikanische Puristen gute Burger ohne Ketchup und Senf. Und nicht ohne Grund schaffte es die Kreation Surf'n'Turf sofort nach ihrer Erfindung in das Lexikon des schlechten Geschmacks. Warum? Hummer oder Scampi mögen für sich genommen köstlich sein, gegen das kräftige Aroma eines Steaks haben sie nicht den Hauch einer Chance.

Burger können auch edel

In zweifelhaften Kreisen fummelt man bereits seit Längerem mit Riesel-Blattgold und Swarovski-Glitzer am gesellschaftlichen Aufstieg des Burgers. Der kulinarische Snob ist da (nur unwesentlich) subtiler unterwegs und fuchtelt mit Wagyu-Lende oder Straußen-Filet herum, bemüht Meeresfrüchte oder Bambus-Kohle und Sepia-Tinte für den Japan-Burger.

Ist die Speisekarte erst mal dort angelangt, passen Eichenbohlen-Tische natürlich nicht mehr, da helfen nur noch Zebrano-Paneele und Lackmöbel. Weit vorn ist man in St. Moritz, wo Gäste die Spezialitäten des örtlichen Chi-Chi-Grills gern auf mit Fellen bezogenen Sofas genießen, dafür nähert sich der Kurs für das Brötchen mit Stopfleber und Trüffelsoße der Dreistelligkeit. Kann man alles machen. Und ja, das eine oder andere Rezept hat sicher seinen Reiz. Nur wird es eben nie über das wahre Wesen des Originals hinwegtäuschen.

Der Burger ist durch und durch prolo. Was man sicher nicht nur in Tulsa, Oklahoma, unterschreiben würde, sondern auch auf der Weltausstellung in St. Louis so gesehen hätte, wo der Hamburger 1904 zum Verkaufsschlager wurde. Der Burger ist das Fleisch für jedermann. Er zeugt von Schweiß und harter Arbeit am heißen Feuer. Von triefendem Fett und köstlichem Bratensaft in den Mundwinkeln. Das ist ja das Wunderbare.

Burger sind irgendwie nachhaltig

Dieser Eindruck entstand vermutlich, weil die Phase der großen Einburgerung in den Städten in etwa die gleiche Zeitspanne fiel wie Guerilla Gardening und andere Auffälligkeiten der verhinderten Selbstversorger. Glaubt man den wortreichen Beteuerungen der Indie-Burgerbrater auf ihren Speisezetteln, würden sie ja auch am liebsten jedes Salatblatt im Hinterhof anbauen und die Rinder fürs Hackfleisch vorher auf dem Balkon ihrer WG wohnen lassen.

Aber geht halt leider nicht. So beschränken sich die von der Zielgruppe erwarteten Nachhaltigkeitsbemühungen eben auf Bio-Zutaten, Beipackblätter, in denen das Wort "Verantwortung" in zweistelliger Zahl auftaucht, und hausgemachte Limonade. Oft genug gibt es aber nicht mal mehr das, sondern auch nur Norm-Hack, ranziges Affenfett und Cola, also fast wie. . . genau, bei den altgedienten Fast-Food-Firmen.

Aber die haben natürlich nicht so ulkige Namen für ihre Burger wie Drei-Käse-Hoch, Burgermeista oder Hektors Abschied (alle aus Berlin). Nicht vergessen sollte man, dass Kühe grundsätzlich üble Klimaschweine sind und ihr Methanausstoß pro Tier im Jahr schädlicher fürs Klima ist als ein Jahr moderates Herumgondeln im Mittelklassewagen. Das Dumme an der Sichtweise: Keine Zutat beeinträchtigt den Geschmack eines Hacksteaks stärker als Moralin.

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