Stilkritik - Gegen den Chuck:Ein Auslaufmodell

Converse überarbeitet einen hundert Jahre alten Turnschuh. Das passt, denn die Dinger gehören in die Vergangenheit.

Von Friedemann Karig

Ich habe meine Chucks geliebt. Damals. Mit neun. Der Vater war geschäftlich "drüben", wie man die USA nannte. Der Dollar stand günstig zur Mark, und die Sachen kosteten zwei Drittel weniger als hier. Also brachte Papa 501-Levi's mit. Und Converse Chucks. Für die Schwester in Grün, für mich in Weinrot. Als einziger in der Grundschule echte, farbige Chucks zu besitzen, das war etwas! Mähne, Holzfällerhemd, Jeans - ich sah aus wie ein geschrumpfter Kurt Cobain. Warum sie Chucks hießen, wo doch viel größer "Converse All Stars" draufstand? Keine Ahnung. Wer sie trug, mit den richtigen Schnürsenkeln, war jedenfalls cool. Nein, viel mehr: Er war irgendwie links. Mehr ging nicht.

Dass die Segeltuchschuhe irgendwann vor ein paar Jahren zurückkamen, oder, wie ihre Fans verbessern, "nie wirklich weg" waren, schien in Ordnung zu sein. Alles kehrt irgendwann wieder, Halstücher, Schnurrbärte. Aktuell die Schlaghose. Wieso nicht die Chucks? Es sind ja seit ihrer Erfindung 1917 gute Schuhe. Praktisch, schlicht. Zu jedem Outfit kombinierbar. Wie ferngesteuert holte sie sich also jeder noch einmal, bis die Zahl verkaufter Schuhe weltweit auf geschätzte 600 Millionen anwuchs. Sie passten zu den wieder eng gewordenen Hosen, führten die schlanke Silhouette am Fuß weiter, setzten womöglich einen farblichen Kontrapunkt. Alles gut.

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Warum darf in der Mode nichts glühen und vergehen?

Doch dann passierte etwas. Von der Spielerfrau bis zum Jungliberalen - der Kompass der Chucks geriet außer Kontrolle. Der blaue Stern tauchte auf, wo er früher nichts verloren hatte: auf Filmpremieren, Business Barbecues, Sylt. Es gibt wenig Öderes und Snobistischeres als zu jammern, wenn die "falschen Leute" das Richtige tragen. Es ist schon deshalb wohlfeil, weil es unausweichlich geschieht. Doch nichts fiel für mich so tief wie dieser Schuh der Alternativen, der Treter der Generation X, das Fußkleid des Grunge. Früher standen die Chucks für alles. Heute stehen alle auf Chucks.

Und Converse ist wahrscheinlich selbst schuld. Vielleicht hätte man eine zeitlose Ikone werden können. Aber nicht mit Star-Sprangled-Banner-Editionen im Used-Look oder - tatsächlich - einer Kurt-Cobain-Edition. Ein Segeltuchschuh, bedeckt mit Kritzeleien aus seinen Tagebüchern. Uff.

Das Modell selbst ist seit fast hundert Jahren gleich geblieben. Aber die modischen Konnotationen des All Stars haben sich verändert. Was früher Understatement war, ist jetzt Accessoire. So ist der "kultige Klassiker", den "vermutlich jeder schon einmal getragen hat", wie die Modemaschine Zalando auf ihrer Homepage verkündet, heute ein Symbol für die destruktive Kraft der Revivals. Für die Brutalität des Retro. Nichts darf einfach mal glühen und vergehen. Alles muss noch einmal hervorgekramt werden. Ironisch oder ernst. Als Zitat oder popkultureller Zombie. Ruhe in Frieden? Gibt es in der Mode nicht. So kann man einen Schuh kaputttragen. Bis man ihn nicht mehr sehen kann. Bis er hässlich ist.

Heute würde ich mir wünschen, man hätte mir meine Kindheitserinnerungen an das Segeltuch an nackten Füßen im Schwimmbad, an das Mädchen aus der Parallelklasse mit den gefälschten, aber wunderschönen Converse Allstars gelassen. Es war eine gute Zeit. Es waren gute Schuhe.

Es ist egoistisch, aber: Ich habe meine Chucks geliebt. Jetzt hasse ich sie. Sie sollen verschwinden, woher sie kamen. Zu Chuck Taylor. Zu Kurt Cobain. In die Vergangenheit. Wo sie hingehören.

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