Süddeutsche Zeitung

Stilkolumne "Ladies & Gentlemen": Headphones:Ruhe bitte!

Obwohl die Musikplayer immer kleiner werden, werden die Kopfhörer immer größer. Das liegt nicht nur daran, dass sie stylisch aussehen und einen besseren Klang haben. Denn eigentlich geht es um etwas ganz anderes.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Lexi Bowling, Chanel, Paris

Mit dem Chanel-Logo gab es schon ziemlich alles, was man vorher noch für einen alltäglichen Gegenstand gehalten hatte. Boule-Kugeln. Eine Angel. Und: eine im Chanel-Stil gesteppte Künstlermappe. Nun, egal ob man Boule spielt, angelt oder malt, all diese Tätigkeiten weisen nicht auf Durchschnittlichkeit hin, sondern sind doch eher dem schönen Leben in sanften Urlaubsorten zuzuordnen. Jetzt aber hat Karl Lagerfeld den Laufsteg in einen überdimensionalen Chanel-Supermarkt umgewandelt, seine Models in Turnschuhe gesteckt und sie zum Einkaufen geschickt. Das ist ja bekanntlich so ziemlich das Durchschnittlichste, was man machen kann. Die besonders hellen Köpfe in den Reihen vermuteten scharfe Konsumkritik, was im Zusammenhang mit einem milliardenschweren Luxuskonzern ganz schön lustig ist.

Wahrscheinlicher ist, dass Lagerfeld einfach mal zeigen wollte, dass auch gut angezogene, erfolgreiche Damen ab und zu raus in die Wirklichkeit müssen, um eine Milch zu kaufen. Es gab aber noch ein interessantes Detail: den Stereo-Kopfhörer, den Model Lexi Boling trug. Angeblich ist er eine Kooperation mit dem Sound-Spezialisten Monsters, nur: An einen iPod angeschlossen war er nicht. Es geht also nicht um die volle Dröhnung im Ohr, es geht um Stille. Wenn die allgemeine Supermarkthektik, dieser Mix aus motzenden Kassiererinnen, schreienden Kindern und Hintergrundgedudel zu viel wird, dann ist es egal, wie teuer der Mantel ist. Dann ist die Frau in Chanel nur noch eine von allen. Und dann braucht sie Ruhe. Nicht umsonst steht auf den Headphones das Wort tranquility. Der einzig wahre Luxus heutzutage. Julia Werner

Eigentlich seltsam: Obwohl Musikkonsum ständig körperloser wird und Tonträger und Abspielanlagen aus den Zimmern verschwinden, wachsen dicke Kopfhörer seit Jahren immer fester an die Silhouetten. Geht es da tatsächlich um Klangqualität, oder gar um warme Ohren? Ist das immer noch der DJ-Kult? Eher nicht. Wie kein anderes Accessoire markiert der dicke Kopfhörer die öffentliche Absage an die Stadtgemeinschaft. Wer damit im Bus steht, ist ein ambulanter Eremit geworden, hat gut sichtbar eine akustische Sperrzone um den eigenen Kopf errichtet und hört was Besseres als alle anderen. Ob Hörspiel, Noise-Punk, Kuschelrock - was zwischen den beiden Ohrmuscheln los ist, bleibt das Geheimnis des Trägers, er wandelt enthoben herum und darf die Restwelt mit einer Sekunde Verzögerung wahrnehmen.

Wenn ein Football-Star wie Cam Newton beim Training seine Beats by Dr.Dre-Klappen passend zum Bündchen trägt, ist die Botschaft besonders deutlich: Ihr seht mich zwar, aber ihr wisst nicht, mit welchem Beat ich gerade funktioniere. Vor allem Promis schätzen den Effekt einer eigenen Schallglocke. Sie sind schlecht ansprechbar, müssen nicht auf Zurufe und gereckte Aufnahmegeräte reagieren und haben ein paar Zentimeter Polster zwischen sich und der Welt. Es ist die verlockende Illusion, ganz bei sich zu sein. Früher versteckte man sich dafür nur hinter einer Sonnenbrille, heute kommen die dicken Kunstohren und eine Mütze dazu. Fertig ist der abgeschottete Mensch. Nur auf die Idee, sich auch noch den eigenen Mund zu verbinden, passend zum Bündchen, kommt keiner der Stars. Und das ist manchmal sehr schade. Max Scharnigg

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SZ vom 22.03.2014/sosa
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