Der Strickpullover stammt vom japanischen Hip-Label Kapital, das sich schon länger mit der Erforschung der traditionellen Technik beschäftigt.
(Foto: Hersteller)Frühform des Textilrecyclings, die sich im 17. Jahrhundert in Nordjapan entwickelte, mit vier Buchstaben? Boro! Der Begriff ist eines der Lieblingsschlagworte der ambitionierten Fashionszene geworden. Kein Wunder: groteske Strickmuster, wilde Übernähungen, absichtlich grobe Reparaturen und Patchwork-Designs, das alles segelt heute unter Boro und passt sehr gut zum anhaltend brutalistischen Appetit des Modezeitgeists. Dabei war es einst nur die Not japanischer Bauern, die sie Reste ihrer alten Leinenkleidung immer wieder neu miteinander vernähen, flicken und verstricken ließ, wobei sich ganz eigenwillige Muster entwickelten.
Heute ist es eher die Oberklasse, die sich für die simple Wucht dieses Looks begeistern kann, der hier gezeigte Boro-Strickpullover etwa kostet 510 Euro (über Mr. Porter). Er stammt vom japanischen Hip-Label Kapital, das sich schon länger mit der Erforschung der traditionellen Technik beschäftigt. Einem großen Publikum wurde der Stil vermutlich erst durch den Film "Silence" (2016) von Martin Scorsese zugänglich, wo Szenenbildner Dante Ferretti viel mit Boro-Elementen arbeitete.
Die Schönheit der Unperfektion beflügelt die Designer seitdem geradezu, Comme des Garçons, Dries van Noten, Loewe und sogar Valentino arbeiteten zuletzt mit Referenzstücken an die japanischen Bauern. All das muss man seinem Gegenüber auf der nächsten Vernissage vermutlich erst mal erklären, wenn sein Blick fragend bis ängstlich auf den Pullover fällt. Aber Mode ist eben eng mit der Aufklärung verknüpft. Von Max Scharnigg