Ladies & Gentlemen:Die Sache mit dem Sommerstrick

Ladies & Gentlemen: Das Material für das Kleid kommt aus Überproduktionen.

Das Material für das Kleid kommt aus Überproduktionen.

(Foto: Hersteller)

Handgemachte Optik und exotische Recyclingmethoden: In diesem Sommer wird nachhaltige Knitwear zum maßgeblichen Statussymbol.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Das Einkaufen überteuerter Massenware bei einschlägigen Designerlabels mag für manche noch lustig sein - ein Zeichen guten Geschmacks ist es schon lange nicht mehr. Es mildert zwar immer noch die weitverbreiteten Minderwertigkeitskomplexe, aber die wahre Stilelite von New York bis Paris kauft längst anders ein: Nachhaltigkeit, Qualität und Fairness sind die neuen unsichtbaren Designerlogos.

Genauso wichtig ist die persönliche Geschichte zum Mitkaufen. "Das trägt man jetzt so" hat als Verkäuferargument ausgedient. Stattdessen wird man Ihnen im Geschäft lieber die Transformationsgeschichte des Firmengründers erzählen, zum Beispiel die von Orsola Bertini Curri, die jahrelang als Modemanagerin um die Welt hetzte, bevor sie merkte, dass das ein sinnloser, textilbergproduzierender Wahnsinn ist. Seitdem macht sie mit ihrem Label Knitted Love das Gegenteil, nämlich langsam und wenig: Frauen in Österreich und Italien stricken für sie, per Hand.

Dieses Sommerkleid aus Leinen (Das Material kommt aus Überproduktionen, erhältlich ist es bei thewearness.com) hat den Vorteil, dass man den neuen Spirit nicht nur fühlt - sondern den Handmade-Faktor eben auch gleich sieht. Als Teil der nachhaltigen Geschmackselite erkannt zu werden, ist ja gerade für Luxuskunden aus oben besagten Gründen ungeheuer wichtig. Und so ist Handmade-Strick am Ende auch wieder nur ein Statussymbol. Aber aus welchen Gründen man sich für bewussteren Modekonsum entscheidet, ist ja völlig egal. Von Julia Werner

Für ihn: Recycling auf japanisch

Ladies & Gentlemen: Der Strickpullover stammt vom japanischen Hip-Label Kapital, das sich schon länger mit der Erforschung der traditionellen Technik beschäftigt.

Der Strickpullover stammt vom japanischen Hip-Label Kapital, das sich schon länger mit der Erforschung der traditionellen Technik beschäftigt.

(Foto: Hersteller)

Frühform des Textilrecyclings, die sich im 17. Jahrhundert in Nordjapan entwickelte, mit vier Buchstaben? Boro! Der Begriff ist eines der Lieblingsschlagworte der ambitionierten Fashionszene geworden. Kein Wunder: groteske Strickmuster, wilde Übernähungen, absichtlich grobe Reparaturen und Patchwork-Designs, das alles segelt heute unter Boro und passt sehr gut zum anhaltend brutalistischen Appetit des Modezeitgeists. Dabei war es einst nur die Not japanischer Bauern, die sie Reste ihrer alten Leinenkleidung immer wieder neu miteinander vernähen, flicken und verstricken ließ, wobei sich ganz eigenwillige Muster entwickelten.

Heute ist es eher die Oberklasse, die sich für die simple Wucht dieses Looks begeistern kann, der hier gezeigte Boro-Strickpullover etwa kostet 510 Euro (über Mr. Porter). Er stammt vom japanischen Hip-Label Kapital, das sich schon länger mit der Erforschung der traditionellen Technik beschäftigt. Einem großen Publikum wurde der Stil vermutlich erst durch den Film "Silence" (2016) von Martin Scorsese zugänglich, wo Szenenbildner Dante Ferretti viel mit Boro-Elementen arbeitete.

Die Schönheit der Unperfektion beflügelt die Designer seitdem geradezu, Comme des Garçons, Dries van Noten, Loewe und sogar Valentino arbeiteten zuletzt mit Referenzstücken an die japanischen Bauern. All das muss man seinem Gegenüber auf der nächsten Vernissage vermutlich erst mal erklären, wenn sein Blick fragend bis ängstlich auf den Pullover fällt. Aber Mode ist eben eng mit der Aufklärung verknüpft. Von Max Scharnigg

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:Bitte obenrum freimachen!

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