Haushalt und Beziehung:Spültrieb

Haushalt und Beziehung: Da stehen sie sich gegenüber - die wohlsortierte und die ungeordnete Spülmaschine

Da stehen sie sich gegenüber - die wohlsortierte und die ungeordnete Spülmaschine

(Foto: ddp; Jessy Asmus)

Kann der Aufräumcoach helfen, oder ist doch schon eine Paartherapie notwendig? Ein Blick in die gemeinsame Geschirrspülmaschine enthüllt das Dilemma des menschlichen Zusammenlebens.

Von Violetta Simon

Der Anlass für den nächsten Streit wartet schon, und zwar im Inneren der Spülmaschine. Tassen und Gläser stehen kreuz und quer im oberen Metallkorb, im unteren sind tiefe und flache Teller im Wechsel einsortiert, sodass auch ganz sicher kein Wassertropfen dazwischenpasst. In die Lücken hat jemand - wer wohl? - Bretter und Topfdeckel gequetscht und darüber noch ein Nudelsieb gestülpt. Ganz oben balanciert eine ölige Salatschüssel und blockiert den Sprüharm. Das Besteck zeigt nach oben, also falsch herum, so viel steht fest.

Wer wissen möchte, wie es um seine Beziehung steht, sollte gemeinsam in den Rachen einer Spülmaschine blicken. Sie konfrontiert ihre Besitzer mit weitaus Schlimmerem als fettigen Tellern, nämlich mit ihren Befindlichkeiten. Das Ding muss nur die Klappe aufmachen und seinen Geschirrkorb ausfahren, schon werden aus Liebenden Spießer oder Chaoten oder noch Schlimmeres.

Die Wissenschaft kapituliert vor dem Problem

Weil die eine glaubt, ihr Anspruch auf Symmetrie verleihe ihr die Lizenz zum Nachbessern, räumt sie das Geschirr mit spitzen Fingern wichtigtuerisch nach eigenen Vorstellungen um. Der andere wirft Tassen, Teller, Töpfe so hinein, wie sie ihm gerade in die Hände kommen. Und verkündet dann noch verschnupft, dass auch mit seiner, nämlich keiner Methode, immer alles sauber geworden sei. Und wer beim Einräumen so einen Zirkus veranstalte, sei nur zu faul, beim Ausräumen zu sortieren.

Selbstverständlich ist die Frage nach der richtigen Ordnung im Inneren einer Spülmaschine der Inbegriff eines Problems, das sich nur Bewohner der wohlhabenden westlichen Welt leisten können. Und doch beschäftigt die Frage nicht nur Paare und Wohngemeinschaften seit Jahrzehnten. Auch Haushaltsblogs und sonstige Ratgeberpublikationen arbeiten sich an der Spülfrage ab, die in vielen Haushalten ja schon bei der Anschaffung des Geräts beginnt und der Frage, ob man Besteck besser in einem Spülkörbchen reinigt oder in einer Drahtschublade.

Zunächst also mal ein Anruf bei einer, die es wissen könnte: Rita Schilke hilft Menschen, Ordnung zu schaffen. Doch beim Thema Spülmaschine bleibt die Aufräumexpertin eher vage: "Schweres Geschirr unten, zerbrechliches oben. Der Rest ist Geschmackssache", sagt Schilke, die Tipps im Fernsehen gibt und einen Ratgeber mit dem Titel "Die 50 besten Chaos-Killer für Familien" veröffentlicht hat. "So unterschiedlich wie die Menschen ist auch ihr Ordnungsempfinden".

Geht es ein bisschen genauer? Rainer Stamminger forscht am Lehrstuhl für Haushaltstechnik der Universität Bonn. Der ehemalige Entwicklungsleiter für Spülmaschinen beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Spülen. Doch der Professor muss passen: Ein wissenschaftlich bewährtes Vorgehen zum Einräumen von Geschirrspülmaschinen habe auch er nicht zu bieten. Ihm sei bewusst, dass das der These widerspreche, auf der seine Forschungen zu optimalen Abläufen im Haushalt basieren: dass es für jede Haushaltstätigkeit eine Möglichkeit geben muss, diese optimal zu verrichten. "Leider aber existieren in dem Bereich so viele Prozesse, dass wir noch nicht alle optimieren konnten."

Hat die Philiosophie eine Lösung?

Wenn selbst die Wissenschaft versagt, vielleicht kommt man der Spülmaschine ja mit gesundem Menschenverstand bei - beziehungsweise mit Philosophie, die bekanntlich als dessen Wächter gilt. Da wären zum Beispiel Kant und sein kategorischer Imperativ: Der Vordenker der Aufklärung war überzeugt, dass Handlungen nicht der persönlichen Neigung, sondern einem allgemeingültigen Gesetz zu folgen haben. So gesehen müsste es doch möglich sein, eine Spülmaschine nach einer Maxime zu befüllen, die alle zufriedenstellt. Oder nicht?

Der Philosoph Jörg Bernardy winkt ab: "Wären alle Menschen vernunftbegabte Wesen, würde der kategorische Imperativ hier greifen." Logik aber könne nun mal nicht das einzige Kriterium für das Befüllen einer Spülmaschine sein. "Sonst müsste das auch für den besten Sex, die perfekte Art der Kommunikation, die genialste Musik gelten." Der Fehler sei, dass Kant stets einen Faktor ignoriert habe: die Emotionen. "Und die kommen nun mal immer dazwischen." Kant, auf seine Pflichtethik schielend, würde nun womöglich nachhaken: Und der gute Wille, zählt der etwa nicht? "Von wegen", würde der bekennende Utilitarist Jeremy Bentham ihm antworten: "Auf das Ergebnis kommt es an!" Und woran macht man es fest, das Ergebnis? An der Sauberkeit des Geschirrs, klar.

Selbst Dreck ist kein Argument

Spätestens jetzt steht der Chaot mit dem Rücken zur Wand: Denn wenn das Geschirr, kreuz und quer gestapelt, nicht sauber wird, ist er eindeutig im Unrecht, oder etwa nicht? Bernardy bedauert, leider nein. "Selbst wenn nach dem Spülvorgang eine Haferflocke oder eingetrocknete Nudelsoße am Tellerrand klebt, wird sich der Chaot daran ebenso wenig stören wie an dem von ihm verursachten Chaos in der Spülmaschine." Mit anderen Worten: Alles eine Frage der Haltung. Es gibt nun mal keine objektive Bedeutung von sauber (im Gegensatz zur Definition von steril).

Fairerweise sollte die Anleitung eines Geschirrspülers zumindest den Hinweis enthalten: "Wenn Ihnen ein paar Haferflockenreste nichts ausmachen, können Sie das Geschirr auch kreuz und quer einräumen." Sei's drum, Kant hat sowieso niemals eine Spülmaschine besessen. Im Übrigen wäre der Philosoph, ein manischer Ordnungsmensch, auch keine große Hilfe in Sachen Haushalt gewesen, da er 30 Jahre lang über einen Diener verfügte.

Nächster Versuch: Spurensuche bei den Soziologen

Mittlerweile ist man beinahe versucht, aufzugeben und seinen Kopf ermattet in den Schoß des radikalen Konstruktivismus zu legen. Ihm zufolge ist es nämlich nahezu unmöglich, etwas erkennen zu wollen, das außerhalb der eigenen Erlebniswelt liegt.

Man würde dazu jetzt gerne Peter Berger und Thomas Luckmann befragen, leider sind beide vor ein paar Jahren kurz hintereinander verstorben. Die Wissenssoziologen dachten weniger radikal, kamen jedoch zu ähnlichen Ergebnissen. In ihrem Werk "Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit" beschreiben die Autoren eine Realität, die sich, je nachdem, in welcher Welt man sich befindet, von anderen unterscheidet. Die eigene Wirklichkeit sei demnach subjektiv - allerdings könne man sich innerhalb einer Welt mit anderen auf eine allgemeingültige Version einigen.

Mag sein, doch sicher funktioniert das nicht in der gemeinsamen Welt vieler Paare. Der Pedant wird beim Anblick angetrockneter Haferflockenreste triumphierend rufen: "Ich hab's gewusst - alles dreckig!" Während der Chaot antwortet: "Was willst du denn, ist doch sauber geworden."

Letzter Versuch: Anruf beim Paartherapeuten

Hilft jetzt nur noch Trennung - zumindest vom Geschirrspüler? Der Paartherapeut David Wilchfort, seit mehr als 30 Jahren im Dienst der Liebe agierend, scheint kein bisschen überrascht, dass man ihn wegen eines Elektrogeräts behelligt. "Ich höre immer öfter von diesem Meinungsunterschied. Tatsächlich hat das Thema den Klassiker mit der falsch ausgedrückten Zahnpastatube abgelöst." Eines stellt Wilchfort gleich vorneweg klar: "Über die Methode, eine Spülmaschine einzuräumen, wird man sich ebenso wenig einigen wie über die Frage, ob die Suppe schmeckt." Selbst der Hinweis "So steht es im Rezept" würde unterschiedliche Geschmäcker nicht zum gleichen Urteil bewegen.

Die gute Nachricht: Im Gegensatz zu der Frage, ob man gemeinsam nach Australien auswandern oder ein zweites Kind haben möchte, lasse sich das Problem auch dann lösen, wenn man unterschiedlicher Meinung sei. Und zwar mit einer positiven Grundhaltung. Wilchfort zufolge ist das Problem weniger, was exakt der Partner macht. Das Problem ist die Vermutung, warum er es macht. Es geht streng genommen also gar nicht darum, ob das Besteck nach oben oder nach unten zeigt. Sondern um das Motiv, das man dem anderen unterstellt: Faulheit, Kontrollzwang, Desinteresse, mangelnde Wertschätzung.

"Wenn beide sich vom andern geschätzt fühlen, gehen sie eher davon aus, dass dem anderen auch ihr Wohlergehen wichtig ist", sagt der Psychotherapeut. Dann suchten sie eher nach kreativen Lösungswegen. Etwa, dass kreuz und quer erlaubt ist, wenn es schnell gehen muss. Und ansonsten Sorgfalt vorgeht. "Wissen sie, Verliebte streiten ja auch nicht. Sie lachen höchstens darüber, wie unterschiedlich sie sind."

Sollen sie lachen. Solange sie noch können.

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