Spitzenkoch wird 90:Paul Bocuse - Gott des Geschmacks

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Für ihn hat man den Ehrentitel "Jahrhundert-Koch" erfunden: Paul Bocuse (hier auf einem Archivbild aus dem Jahr 2008). (Foto: Rick Nederstigt/dpa)

In seinem Drei-Sterne-Restaurant herrscht eine Diktatur. Trotzdem sind sich alle einig: Keiner hat auf dem kulinarischem Sektor so viel bewegt wie Paul Bocuse. Jetzt wird der Spitzenkoch 90.

Von Gottfried Knapp

Wenn ein Gastronom seine Besucher im Internet mit der Triumphbotschaft begrüßt, dass sein Restaurant im roten Michelin-Führer seit 50 Jahren mit drei Sternen ausgezeichnet ist, kann er mit ehrfürchtigem Staunen rechnen. Wenn sich in dieser Edelherberge aber das Speisenangebot seit vielen Jahren nicht mehr verändert hat, wenn nur noch die Preise sich nach oben bewegen, wird man fragen müssen, was wohl die Gründe sind für diese Sonderbehandlung, die dem von Michelin verkündeten Kriterium der Innovation strikt widerspricht.

Es gibt nur einen Grund, der alles erklärt, der Name des Kochs: Paul Bocuse. Bocuse ist eine französische Legende und eine gastronomische Weltinstanz, er wird als Gott des Geschmacks verehrt und von den Medien umjubelt. Zu seinen runden Geburtstagen kommen Fernsehteams aus aller Welt angereist. Für ihn hat man den Ehrentitel "Jahrhundert-Koch" erfunden. Er gilt als Schöpfer der "Nouvelle Cuisine" und als Vorkämpfer einer kulinarischen Revolution, obwohl er, wie er selber zugibt, als Koch nur klug abgewandelt und als Buchautor geschickt vermarktet hat, was andere vor ihm erfunden haben.

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Alle Welt ist sich aber einig: Kein Mensch hat im 20. Jahrhundert auf kulinarischem Sektor so viel bewegt wie Paul Bocuse. Als Nachfahre eines alten französischen Gastronomengeschlechts hat er auf einem ererbten Grundstück in Collonges-au-Mont-d'Or an der Saône ein gastronomisches Imperium aufgebaut, das neben den beiden mit Sternen überhäuften lokalen Restaurants gleich fünf Bistros in der benachbarten Stadt Lyon und mehrere regional spezialisierte Lokale außerhalb Frankreichs betreibt.

Der Meister genießt auch als Patriarch einen gewissen Ruhm

Viele der heute prägenden Köche in Europa haben im diktatorisch streng geführten Betrieb von Bocuse nicht nur die Grundbegriffe des Kulinarischen und die Rituale des Gästeverführens erlernt, sondern auch die kommerziellen Strategien, die man braucht, um mit einem gehobenen Restaurant überleben zu können oder gar Gewinn zu machen. Die jüngsten Selbstmorde von Spitzenköchen haben auf schockierende Weise gezeigt, welchen Risiken Gastronomen ausgesetzt sind, deren Restaurants in die oberste Kategorie hinaufgelobt worden sind. Der Schweizer Drei-Sterne-Koch Benoît Violier, dessen "L'Hôtel de Ville" in Crissiers kurz vorher noch als "Bestes Restaurant der Welt" ausgezeichnet worden ist, war gerade mal 42 Jahre alt, als er sich zu Hause erschoss.

Angesichts solcher Nachrichten bekommt die Lebensleistung von Paul Bocuse, der an diesem Donnerstag seinen 90. Geburtstag in dem von der Fachwelt nie angezweifelten eigenen Lokal feiern kann, fast etwas Titanisches. Fügt man noch hinzu, dass der Meister auch als Patriarch einen gewissen Ruhm genießt - seinen Angaben nach lebt er mit drei Frauen friedlich zusammen -, dann wird man diesem Mann gerne einen Sonderrang in der jüngeren französischen Geschichte zuerkennen.

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Doch was von Bocuse bleibt, was die Welt von ihm gelernt hat, ist sehr viel irdischer, nützlicher und elementarer. Eckart Witzigmann, einer seiner berühmtesten Schüler, hat es in einem Interview auf den Punkt gebracht: "Ich habe Respekt vor dem Produkt von ihm gelernt." Paul Bocuse, der auch während seiner Ausbildung seine engere Heimat nie verließ, hat als Koch den Wert frischer regionaler Produkte auf überragende Weise vorgeführt. Seine Kreationen mit Geflügel aus der benachbarten Bresse, Rindfleisch aus dem Charolais, Schnecken aus Burgund und Trüffeln aus dem Périgord gelten seit ihrer Erfindung bei Kennern als Maßstab für den Himmel. Und da diese Gerichte in den Restaurants von Bocuse immer noch angeboten werden, obwohl er längst nicht mehr selber am Herd steht, sind vielleicht auch die drei Sterne nach wie vor angebracht.

© SZ vom 11.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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