Freizeit:Jetzt aber mal zackig!

Freizeit: Im Laufschritt den Wanderweg herunter: Speed-Hiking.

Im Laufschritt den Wanderweg herunter: Speed-Hiking.

(Foto: daniele moliners/salewa)

Schnelles Bergwandern mit Carbonstöcken und ultraleichter Bekleidung: "Speed Hiking" ist das neue Ding. Aber wozu der ganze Stress?

Von Titus Arnu

Es gibt Schlurfer und Hetzer, Trippler und Trampel. Gehgeschwindigkeiten sind von Mensch zu Mensch höchst unterschiedlich und deshalb auch Stoff für Konflikte. Mal schnell Semmeln holen gehen? Die eine braucht dafür zweieinhalb Minuten, der andere kommt gefühlt erst nach zweieinhalb Stunden zurück. Ein Spaziergang zu zweit? Das macht keinen Spaß, wenn die eine mit gesenktem Kopf und nähmaschinenartiger Schrittfrequenz lossticht und der andere alle fünf Meter stehen bleibt, um die Aussicht zu genießen, die Schuhe zu binden oder in Ruhe einen Gedanken auszuformulieren.

Beim Wandern in der Gruppe sind Diskussionen um die richtige Gehgeschwindigkeit ähnlich nervenaufreibend wie Debatten um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Was ist auf einem Wanderweg bitte richtig? "Chi va piano, va sano e va lontano", lautet ein italienisches Sprichwort, wörtlich übersetzt: Wer langsam geht, geht gesund und weit. Variationen davon sind als Kalendersprüche wie "Gut Ding will Weile haben" und "In der Ruhe liegt die Kraft" im Umlauf. Der Speed-Bergsteiger Kilian Jornet hält sich eher nicht an solche Wellness-Aphorismen. 2017 rannte er in einer Rekordzeit von 26 Stunden vom tibetischen Basislager auf den Gipfel des Mount Everest und wieder hinunter. Bei seiner Rückkehr ins Basislager erklärte er: "Ich hatte mich nicht so wohl gefühlt und kam nur sehr langsam voran." Weil er nicht zufrieden war, rannte er ein paar Tage später gleich noch mal hoch. Auf das Matterhorn sprintete er in einer Stunde und 53 Minuten, normale Bergsteiger brauchen dafür einen ganzen Tag.

Für normale Wanderer ist so eine Geschwindigkeit nicht mal ansatzweise denkbar. Dennoch kann man auch im Amateurbereich eine gewisse Grundbeschleunigung beobachten. An sonnigen Bergwochenenden geht es auf beliebten Wanderstrecken in den Alpen zu wie auf der A 95: Rechts die langsamen Retro-Ausflügler in Dreiviertelhose, Bergstiefeln und mit voll bepacktem Rucksack, links auf der Überholspur drängeln sich die Turbowanderer vorbei. Wenn es ultraleichte Akku-Lichthupen zum Anklipsen an die Stöcke gäbe, hier kämen sie garantiert zum Einsatz.

Im Gegensatz zum Trailrunning kommt es nicht auf Zeiten und Ziele an, sondern auf das Erlebnis

"Speed Hiking" heißt die neue Trendsportart, ausgerufen von der Bergsport- und Laufschuhindustrie. Diese Disziplin ist streng zu unterscheiden vom Trailrunning, vom Nordic Walking, vom Jogging und vom Skyrunning, vom klassischen Wandern sowieso. Mit schnellen und leichten Bewegungen werden lange Entfernungen auf technischem Gelände zurückgelegt, sowohl auf Wanderwegen als auch querfeldein. Trailrunning ist sportliches Langstreckenlaufen abseits der asphaltierten Straße, Skyrunning eine noch athletischere Bergsportart mit krassen Steigungen, Höhenunterschieden und Kletterstellen, siehe Kilian Jornet.

Na gut, aber was soll der ganze Stress? Da sollte man mal kurz drüber nachdenken, so viel Zeit muss sein.

Im Leistungssport und im Profi-Alpinismus ist Geschwindigkeit ein zentraler Faktor. Bei Trailrunning-Wettbewerben geht es um die schnellsten Zeiten. Höhenbergsteiger minimieren die Gefahren, wenn sie an einem Achttausender schneller die Todeszone durchqueren. Aber was treibt Hobbyturbowanderer an? Vermutlich geht es ihnen nicht um Rekorde, eher um Erlebnismaximierung. Es funktioniert ähnlich wie beim Speed-Dating: möglichst viele Eindrücke in möglichst kurzer Zeit. Aber im Unterschied zum Trailrunning kommt es nicht auf Zielzeiten und Platzierungen an, es geht um das zackige Gesamterlebnis.

Speedhiker benötigen etwas mehr Gepäck als Trailrunner, je nach Länge der Tour haben sie Wechselkleidung, GPS-Gerät und Proviant im Ultraleicht-Rucksack. Ganz wichtig, vor allem aus Sicht der Sportartikelindustrie, sind ultraleichte Stöcke aus Alu oder Carbon und ultraleichte Laufschuhe. Wer so ausgerüstet über holprige Pfade wetzt, "bekommt ein Workout gleich gratis mit dazu, das vielfältige Muskelregionen beansprucht und trainiert", heißt es beim Bergsport-Spezialisten bergfreunde.de, "die speziellen Bewegungsabläufe bei der Turbowandertour sorgen für ein umfassendes Training der Bein-, Oberkörper und Rumpfmuskulatur."

Dass Speed Hiking auf Dauer aber auch keine Lösung ist, erfuhr der Kanadier Jean Béliveau. An seinem 45. Geburtstag am 18. August 2000 rannte er einfach von zu Hause los, der Mann war pleite, frustriert und in einer Midlife-Crisis. Er rannte bis in den US-Bundesstaat Georgia, dann musste er das Tempo drosseln, und aus seinem spontanen Speed Hike wurde die längste ununterbrochene Wanderung um die Welt. Elf Jahre später kam er wieder zu Hause in Kanada an, nach 75 000 Kilometern zu Fuß, ziemlich langsam und verwittert, aber irgendwie zufrieden.

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