Kolumne "Eigener Herd":Die fetten Jahre sind vorbei

Kolumne "Eigener Herd": Der Spargel hat gerade einmal 150 Kalorien pro Pfund - sofern er nicht mit einer fetten Soße ertränkt wird.

Der Spargel hat gerade einmal 150 Kalorien pro Pfund - sofern er nicht mit einer fetten Soße ertränkt wird.

(Foto: mauritius images/Westend61)

Der Spargel kann nicht ohne panierte Schnitzel, Kartoffeln und einer üppigen Sauce Hollandaise? Von wegen! Das edle Stangengemüse schmeckt auch wunderbar geröstet, karamellisiert oder fermentiert, zum Beispiel im Salat.

Von Marten Rolff

Zum Spargelwahn der Deutschen sollte eigentlich alles gesagt sein. Jubel und Spott über die längste Saison im deutschen Kalender hielten sich dabei stets die Waage. Doch so absurd es wirken mag, dass zwischen März und Juni in diesem Land nichts anderes geerntet zu werden scheint, so beruhigend wie abschließend lässt sich feststellen: Es gibt eindeutig schlimmere Süchte als die nach leidlich edlem Stangengemüse.

Wenn man allerdings in diesen warmen Maitagen aufmerksam die Spargelkarten der Republik studiert, fällt auf, dass eine Frage unbeantwortet geblieben ist. Gemeint ist das Mysterium, dass Spargel überall als besonders gesund angepriesen wird - als reich an Mineralien und Vitaminen, als entwässernd gar und besonders leicht, was natürlich nicht falsch ist, bei gerade einmal 100 Kalorien pro Pfund. Doch dann kann selbst der frühlingsfrischeste Ton - dieser typische und dabei seltsam beflissene Duktus, in dem Spargelkarten immer verfasst sind - nie darüber hinwegtäuschen, dass jedes Gericht hier um die 2800 Kalorien hat und im Grunde eine Cholesterinparty mit Gemüsekostümzwang ist. 150 Spargelkalorien, flankiert von einem gefühlten Pfund Kartoffeln pro Portion, üppig panierten Schnitzeln, Schinkenröllchen oder Lachsfilets von doppelter Daumendicke, und all das fett ertränkt in einem Viertelliter Nussbutter oder Sauce Hollandaise.

Ja, die Mai-Menüs gehobener deutscher Gasthöfe ließen sich umstandslos in den nasskalten November verschieben; bestens geeignet für alle, die sich vor dem Winterschlaf noch die letzten Kilos draufschaffen wollen. Das ist übrigens verständlich, schließlich schmecken all diese Kombinationen - fatalerweise - ziemlich gut. In jedem zweiten Aromen-Lexikon findet sich der Hinweis, dass der schwefelige, leicht bittere und anämische Spargel - Bitterstoffe wirken appetitanregend! - geradezu lechze nach einer Begleitung aus Fetten, Eiweiß und Kohlehydraten.

Endlich rückt der Geschmack in den Mittelpunkt

Trotzdem lohnt zur Abwechslung ein Blick auf die leichtere Spargelküche; zumal neuere Gemüsekochbücher nahelegen, dass schon bald weniger Kalorien auf dem Teller liegen. Der Trend geht eindeutig gegen Butterseen und Fleischberge als Gemüsebeilage, und einige der neuen Spargelrezepte sind schon deshalb interessant, weil sie den Geschmack der Stangen endlich einmal stärker in den Mittelpunkt rücken. Es muss ja nicht immer so aufwendig sein wie beim feinsinnigen Gemüsespezialisten Nils Henkel, der für das neue Feinschmecker-Heft angebratenen Spargel in Kaffeesud badet, die Stangen dann in einen Mantel aus Gierschblättchen, Veilchenblüten, Vogelmiere und Leinsaat-Crunch kleidet und zu allem einen Klecks Mokka-Mascarpone reicht, als feine Reminiszenz an die fetteren Jahre.

Ein weniger spektakulärer, dafür aber leichtgängiger Weg führt über den britischen Koch Hugh Fearnly-Whittingstall ("Täglich vegetarisch"), der grünen Spargel sehr kurz blanchiert und die Stangen dann in Hälften auf Spieße gezogen über dem Holzkohlegrill gart (je nach Dicke etwa drei Minuten von jeder Seite). Am Ende wird alles mit einer leichten Zitronenvinaigrette (für 25 Stangen 4 EL Olivenöl mit dem Saft einer halben Zitrone und 8 gehackten Minzblättern, Salz und Pfeffer) eher beträufelt als begossen und mit wenigen Parmesanspänen serviert.

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Ähnlich frisch schmeckt ein großartiges und leichtes Pasta-Rezept von Alice Waters ("The Art of Simple Food"), für das man 500 g geputzten (und je nach Sorte geschälten) grünen oder weißen Spargel (wilder Spargel geht auch) mit einem Schlenker Olivenöl, Salz und den abgezupften Blättern von 3 Zweigen Zitronenthymian im Ofen al dente röstet (grobe Faustregel: 10 Minuten bei 220 Grad), bis die Stangen karamellisieren. Diese der Länge nach halbieren, in mundgerechte Stücke schneiden und mit dem Abrieb einer unbehandelten Zitrone mischen. Zwischendurch etwa 400 g Tagliatelle (Waters nimmt frische Pasta, aber getrocknete geht auch) in Salzwasser al dente kochen und abgießen. Den Spargel mit 2 EL Olivenöl sehr kurz in der Pfanne anrösten und dann die Nudeln sowie etwas Pastawasser (1/4 bis 1/2 Tasse) zugießen und durchwenden. Ein paar Spritzer Zitronensaft und 4 EL gehobelten Parmesan untermischen, mit Meersalz und grobem Pfeffer abschmecken und nach Geschmack mit weiterem Parmesan servieren, alternativ schmeckt bröckeliger Schafskäse gut dazu.

Pasta, Salate, Vinaigrette - man darf den Spargel gerne hin und wieder aus seinem nur scheinbar natürlichen Butter-Schinken-Habitat herausholen. Eine besondere Rolle im Salat spielt er, wenn man ihn fermentiert. Ein gutes Rezept dafür findet sich im empfehlenswerten Gemüsekochbuch "Erde, Salz & Glut" (Hölker-Verlag), wo man ihn mit Fichtentrieben (gibt es im Wald) aromatisiert. Dafür 500 g weißen Spargel putzen, schälen und dritteln, mit 15 g Salz vermischen und 30 Minuten ziehen lassen. Die Stangen mit einer Handvoll Fichtenspitzen in einem sauberen Bügelglas anordnen, mit einem Gewicht beschweren, bis 2 Zentimeter unter dem Rand mit 3-prozentigem Salzwasser auffüllen, sauber verschließen und etwa eine Woche bei Zimmertemperatur an einem dunklen Ort fermentieren lassen. Wer das Glas danach kühl lagert, kann die Spargelsaison von derzeit vier auf zwölf Monate ausdehnen.

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