Sommerlektüre:Die blaue Welle

Stil 1 Kollage

Signalfarbe Blau, dazu landestypische Elemente - fertig ist das Urlaubskrimi-Cover.

(Foto: Verlag)

Angefangen hat es mit dem Bretagne-Ermittler Dupin, inzwischen gibt es zahllose Ferienkrimis. Über das Phänomen der Fernwehkommissare.

Von Anne Goebel

Zweites Ferienwochenende in Bayern, kolonnenweise geht es wie in alten Zeiten über den Brenner, durch den Karawankentunnel, in die lieblichen Hügel der Provence. Umgekehrt sind die Menschen aus Brandenburg oder Schleswig-Holstein wieder im Alltag gelandet, heimgekehrt aus Kreta, Andalusien oder von den korsischen Felsküsten. Und wenn man sich die Reiseliteratur so anschaut, kann jeder froh sein, der es ohne kriminellen Zwischenfall nach Hause schafft. Mord, Totschlag, üble Familienfehden, kein noch so malerischer Urlaubsort scheint vor solchen Ereignissen sicher zu sein. Zumindest wenn man den Büchern der Blauen Reihe glaubt.

"Unerbittliches Kreta", "Mörderischer Mistral", "Portugiesische Rache": So heißen die Krimis, die seit einigen Jahren und gerade wieder mit diversen Neuzugängen als Ferienbücher erscheinen. Mit riesigem Erfolg - und für Leser, die sich unter einem Ferienbuch offenbar keine poetische oder vielleicht besonders vertrackte Lektüre vorstellen, sondern Geschichten über abgebrühte Täter und Ermittler in Strandambiente. Dafür ist die Blaue Reihe zuständig, die natürlich nicht wirklich so heißt. Aber es ist schon erstaunlich, wenn man an einem Büchertisch oder beim Stöbern online auf die fabelhafte Welt der Urlaubskommissare stößt. Es öffnet sich ein schier endloses Panorama in Azur.

Die Bände sehen fast alle gleich aus, ungeachtet der verschiedenen Verlage. Das Design der Cover: ein Farbrausch von Ultramarin bis Türkis, meistens ist das Meer zu sehen, ob atlantisch oder mediterran. Darüber wölbt sich hoher Küstenhimmel, dazu Einsprengsel in Gelb (Straßenbahn in Lissabon) oder Lila (Lavendel der Provence). Fertig ist das Gemälde vom trügerischen Sehnsuchtsort, an dem alles gar nicht so herrlich ist, wie die Glamping-Familie oder der Pauschaltourist glaubt.

Vitu Falconi hört sich korsisch an, heißt aber eigentlich Thomas Thiemeyer

Die optisch derart als strand- und pooltauglich gekennzeichneten Bücher bedienen das Fernweh trotzdem, gerade indem sie es mit einer Spur Entzauberung würzen - was dann je nach Autor unterschiedlich subtil ausfällt. Schon Agatha Christie dienten exotische Schauplätze wie der Orientexpress oder ein Nildampfer als Kulisse für das nackte Verbrechen. Fallhöhe gehört zu jedem Bestseller, außerdem gewann Christie auf diese Weise - und natürlich mit großer Meisterschaft - sowohl Reisebuchfans wie Krimileser für sich. Wobei in den aktuellen Bänden der Eskapismus noch greifbarer ist, das Verlangen danach, für eine Weile ein anderes Leben zu führen, ein anderer Mensch zu sein. Es fängt schon bei den Namen der Autorinnen und Autoren an, von Mario Lima bis Joyce Summer. Fast alle sind Pseudonyme.

Als verkappter Südfranzose oder Italiener lassen sich Plots in der Camargue oder an der Marina Grande halt authentischer verkaufen. Pierre Martin, Erfolgsgarant bei Knaur mit seiner "Madame le Commissaire"-Reihe, kommt so wenig aus Frankreich, wie der Spiegel-Bestsellerautor Luis Sellano (Heyne Verlag) Portugiese ist. Vitu Falconi hört sich korsisch an und heißt eigentlich Thomas Thiemeyer. Auch der Diogenes-Verlag hat in Luca Ventura einen Autor mit Deckname im Programm, seine "Bitteren Zitronen" laden nach Capri. Ganz in die Rolle des Einheimischen schlüpfen: So weit geht bekanntlich vor allem bei vielen Deutschen die Liebe zum persönlichen Arkadien, manche möchten komplett darin aufgehen.

Vorgemacht hat das Jean-Luc Bannalec, der, ebenfalls mit Pseudonym, dem Verlag Kiepenheuer und Witsch seit 2012 mit dem Genre des Sehnsuchtskrimis astronomische Zahlen beschert. Bannalecs Kommissar Georges Dupin - Einsatzgebiet: la Bretagne - brachte die Gattung erst richtig in Fahrt und hat das maritime Blau des Buchumschlags als Erkennungszeichen etabliert. Gut fünf Millionen verkaufte Exemplare seit dem Erstling "Bretonische Verhältnisse", Übersetzungen in mehr als 15 Sprachen, gerade ist Nummer zehn der Serie erschienen: Man darf ruhig davon ausgehen, dass die Konkurrenz bei ihren immer neuen Urlaubsermittlern auf Zypern oder in Kroatien diese Erfolgsgeschichte im Blick hat. So wurde aus einer blauen Reihe eine blaue Welle.

Jean-Luc Bannalec heißt eigentlich Jörg Bong, was nicht halb so melodisch klingt, war viele Jahre Verleger in Frankfurt und erhielt in seiner Wahlheimat 2016 den Ehrentitel "Mécène de Bretagne". Weil er in seinen Büchern die Landschaft (und die Küche) in Frankreichs äußerstem Westen wirklich unwiderstehlich schön beschreibt. Nichts ist so bretonisch wie Bannalecs Bücher, könnte man sagen, nicht einmal die Bretagne. Verfilmt sind die Bände natürlich auch, es gibt sogar organisierte Reisen auf Dupins Spuren.

Für Ausflüge im Kopf bieten die idyllisch eingebetteten Delikte viel Stoff

Der Jubiläumsband "Bretonische Idylle" startete mit einer Auflage von 230 000 Exemplaren, keine Ermüdungserscheinungen also bei den Lesern in der Pandemie. Eher im Gegenteil, heißt es aus dem Heyne Verlag. Zwar laufe nicht jede Reihe gleich gut. Aber überraschenderweise seien die Verkäufe der Kriminalromane mit Urlaubsflair in der urlaubsarmen Zeit sogar gestiegen. Die Corona-Krise habe verstärkt, was die Briten "armchair travels" nennen. Imaginäre Reisen, wenn man schon selbst nicht aufbrechen kann.

Für Ausflüge im Kopf bieten die idyllisch eingebetteten Delikte viel Stoff. Das Umfeld der Kommissare Hyeronimos Galavakis, Isabelle Bonnet oder Enrico Rizzi wird detailreich ausgemalt, der Himmel ist meistens blau, die Sommerwinde sind mild, und das Essen an jedem noch so schiefen Hafen-Stehtisch gleicht einer Offenbarung. Wie man es selbst eben auch gern hätte auf der nächsten Reise. Literarisch oszilliert das zwischen Stereotyp und charmanter Liebeserklärung, aber stilistischer Finessen wegen werden diese Bücher auch nicht gelesen. Meistens führen die Fälle, ganz zufällig, zu wichtigen Sehenswürdigkeiten der Gegend. Von Vitu Falconi wird der Golfe de Lava bei Ajaccio in Szene gesetzt, Mario Lima lotst durch die Gassen von Bairro da Sé in Porto. Und so viel Lavendelduft, wie ihn Pierre Martin über seine Südfrankreich-Geschichten legt, kann der längste provenzalische Zikadensommer nicht hervorbringen.

Dagegen nimmt sich der große Klassiker unter den Krimireihen atmosphärisch sparsam aus, obwohl oder gerade weil das die große Kunst von Georges Simenon ist: mit ein paar Sätzen eine Stimmung von großer Eindringlichkeit zu erzeugen. Aber sein Kommissar Maigret, selbst in der Augusthitze kaum aus Paris wegzukriegen, hat eben nicht viel übrig für Meerluft. Seine Ferien an der Atlantikküste tritt er in "Les vacances de Maigret" nur widerwillig an. Er findet die Sonne schon morgens zu hell, die Kinder am Strand zu laut, das Städtchen zu heiß. Das nüchterne Buch ist die ideale Abkühlung nach zu vielen Urlaubskrimis. Danach ist man wieder bereit, sich das Blaue vom Himmel erzählen zu lassen.

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Pressefoto Tom Hillenbrand, nur frei zur redaktionellen Verwendung mit Credit: © Bogenberger Autorenfotos!

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