Die Fußball-EM hat begonnen, die Wetteraussichten sind zur Abwechslung mal vielversprechend, und kommende Woche soll auch offiziell der Sommer starten. Da wollen viele jetzt endlich wissen: Was wird der neue Sommerdrink? Es ist eine der beliebtesten Fragen im Foodtrendzirkus. Leider ist es auch eine der sinnlosesten.
Natürlich ist die Sehnsucht nachvollziehbar, deswegen funktionieren Sommerdrinkprognosen ja so gut, zumal nach einem Regenfrühjahr, in dem gefühlt das halbe Land überflutet war. Endlich in der Sonne gemeinsam draußen sitzen und sich auf ein Getränk einigen, das verbrüdert und verschwestert; das schnell allen vertraut ist und trotzdem noch irgendwie neu und aufregend. Allein, das wird wohl nicht passieren. Dazu ist der Markt zu nischig, das Angebot zu vielfältig, das Marketing zu aufwendig und die Hypes auf Social Media zu kurzlebig. Sollte es doch noch mal einen flächendeckenden, Aperol-Spritz-ähnlichen Erfolg für einen Drink geben, dann müsste man diesen sorgfältig planen. Herbeiorakeln lässt sich ein Sommerdrink nicht.
Natürlich gibt es weiterhin populäre, interessante und dabei halbwegs neue Kombinationen. Der Negroni Sbagliato etwa, der kürzlich auf Tiktok und Instagram einen viralen Achtungserfolg verbuchte. Oder Portwein-Tonic, ein empfehlenswerter Sommermix, der auch deshalb plötzlich auf vielen Tresen stand, weil Hersteller versuchten, den guten alten Weißen Port als Mischgetränk neu zu positionieren. Mit einigem Erfolg übrigens, weil Portwein sich als Sommerdrink-Zutat gut eignet: frisch, feminin, fruchtig, vielseitig.
Und dann wären da noch die ewigen Außenseiter, die seit Jahren immer wieder fein dosiert ins Sommerdrink-Orakel gemischt werden. Zu ihnen gehört der Espresso Tonic, der nun wieder auf den Plattformen einiger Foodfluencer auftaucht, wobei es da oft weniger um eine Prognose geht als darum, der Genusscrowd ein wenig Expertentum einzuschenken.
Erfunden wurde der Espresso Tonic auf einer Party in Schweden
Espresso Tonic, wahlweise als neuer Sommerdrink oder als „Kultgetränk der Kaffeeenthusiasten“ angepriesen, ist vordergründig betrachtet eine simple Mischung, ein No-Brainer, der sich notfalls auch verkatert bei 35 Grad Hitze und 90 Prozent Schwüle fehlerfrei hinwurschteln lässt: Einfach Tonic-Wasser (180 ml) auf zwei bis drei große Eiswürfel in ein Longdrink-Glas füllen und dann frisch gebrühten Espresso (60 ml) so über das Eis ins Glas geben, dass er beim Einschenken abkühlt. Zitronen- oder Orangenscheibe dazu, fertig. Wer es süß und frisch mag, gibt noch Zucker und einen Spritzer Limette dazu oder einen Schuss Sirup (Holunder!), aber das ist vielen in der zur Grundsätzlichkeit neigenden Kaffeeszene schon wieder zu plump.
Erfunden wurde der Espresso Tonic bereits vor knapp 20 Jahren, angeblich im „Koppi Roasters Cafe“ im schwedischen Helsingborg, angeblich nach einer Party, bei der viel Tonic übrig war. Tatsächlich ist der Drink von angenehm herber, belebender Frische, die Bitternoten beider Getränke ergänzen sich gut, die leichte Säure des Kaffees und die zurückhaltende Süße des Tonics runden das Ganze ab, und er passt gut in diese immer alkoholfreiere Zeit. Die Crema an der Oberfläche und die dunkle Farbe verleihen dem Drink trotzdem etwas Erwachsenes, was aber zugleich sein Problem ist. Für einen echten Sommerdrink ist der Espresso Tonic zu nerdig, allein die Diskussionen, welche Sorte Tonic, welcher Kaffee sich am besten eignen, passen unter keinen Sonnenschirm. Erfrischen darf er trotzdem. Kleine Sommerempfehlung: Am besten schmeckt der Drink, über den man am Tisch gar nicht redet.
