Schönheitsideale:Dem Münzmallorca fehlt der Nachwuchs

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Im Jahr 1991 räkelte sich die italienische Schlagersängerin Rosanna Rocci auf der Sonnenbank.

(Foto: imago/teutopress)

Das Solarium galt einmal als Mittel gegen Winterdepression, Im Solarium gebräunte Haut als Statussymbol. Lange her. Nun muss sich die Sonnenbank neu erfinden.

Von Martin Wittmann

Der Tag war kalt und düster und super. Schlechtes Wetter für die Menschen, das bedeutete gutes Wetter für Solarien. Im Studio in der Münchner Vorstadt wartete der Ergoline 600 Turbo, Ende der Neunziger ein Top-Bräuner, eine blaue Sonnenbank mit 50 Röhren à 160 Watt. Sie war aufgeklappt, unten die Liegefläche, oben der Deckel, tatsächlich Himmel genannt. Herzlich willkommen, schrie sie stumm, auch und gerade an düsteren Märztagen. Die Frau hinter dem Tresen hielt ein Hündchen im Arm: Kylie.

Kylie Minogue, Pop-Idol der Achtziger und Neunziger. Aber der Hund wurde nicht nach ihr benannt. "Nach Kylie Jenner", sagt das Frauchen und holt den Besucher in die Gegenwart zurück. Kylie Jenner ist eine der Kardashian-Schwestern, wir schreiben das Jahr 2019.

Ja, es gibt noch Solarien, auch wenn sie selten geworden sind, dafür oft genug museal wirken. Zwischen 2001 und 2015 haben sie den allergrößten Teil ihrer Klientel verloren, wie eine erst diesen Winter veröffentlichte Studie zeigt. Statt wie früher elf Prozent legen sich nur noch 1,6 Prozent der Deutschen auf die Bank. Diese Sonnenfinsternis hat Gründe, grob gesagt: UV-Strahlen gelten heute als ungesund, knusprig Gebräunte als unästhetisch und Überbelichtete als unterbelichtet. Die Branche trocknet aus, und zwar turbo. Jetzt kann nur noch Beistand von oben helfen.

Frank Linnecke aus Mülheim an der Ruhr sieht sich das veraltete Münchner Studio an. Ein schlanker, 49 Jahre alter Mann, blond leuchtendes Haar, weiß strahlende Zähne, hellbraune Ledersneakers, mallorca-gebräuntes Gesicht, dazwischen seriös-legere Kleidung. Am Handgelenk eine Rolex, in der Tasche Marlboros. Früher war er im Straßenbau beschäftigt, heute ist er Sonnenbankhändler "vom Pflaster-Frank zum Sonnengott", sagt er. 200 Studios hat er nach eigener Aussage bereits eingerichtet.

Das da müsse weg, sagt er nun, die Räume durchschreitend, und dies und das. Dem Himmel des blauen Ergoline legt er die Hand auf, als wäre es die Schulter eines verdienten Mitarbeiters, der jetzt leider zu gehen hat. "Muss alles mehr nach Wellness aussehen", bescheidet er dem Studio-Besitzer. Der hat Linnecke geholt, auf dass der Sonnengott hier im Kleinen schafft, worauf er im Großen längst hinarbeitet: die Resozialisierung eines Kulturguts.

Modern Talking, Opel Manta, BRD, Solarium

Solarien waren nicht immer verrufen. In den Siebzigern in Deutschland eigentlich als Mittel gegen Winterdepression erfunden, etablierte sich die Sonnenbank schnell als beliebter Bräuner. Ein dunkler Teint galt als Statussymbol: Seht mich an, ihr armen Bleichgesichter, ich kann mir Reisen in den Süden leisten (oder einen Balkon)! In den Achtzigern wuchs der Markt, Bräune hatte nichts Elitäres mehr. Modern Talking, Opel Manta, BRD. Bis heute gehalten haben sich die Synonyme für die Sonnenbank, wie sie nur erfunden werden konnten in alberneren Zeiten (Klappkaribik, Münzmallorca) und in politisch unkorrekteren (Bitchburner, Proletengrill).

In den Neunzigern trat der Sonnengott in einen Markt ein, dessen Struktur niemand anschaulicher beschreiben kann als Linnecke selbst: "Damals haben sich die Frauen und Männer zweimal die Woche auf den Tussitoaster gelegt, die waren schwarz wie die Nacht. Das Geschäft haben entweder Leute aus dem Milieu gemacht, Typen mit aufgeknöpftem Hemd und Halskette, die am Ende der Woche das Bargeld haufenweise aus den Tresoren holten. Oder es war so: Die Kinder sind groß, der Mann hat Geld, der Frau ist langweilig, da kauft er ihr halt ein Sonnenstudio oder eine Boutique." Um die Jahrtausendwende gab es in Deutschland mehr als 7500 Studios. Hans-Dieter Roggendorf, Vorsitzender des Bundesfachverbands Besonnung (BfB) erinnert sich an einen "überhitzten Markt".

Sonnenstudios gehörten damals zum Straßenbild wie Videotheken und Telefonzellen. Das Bild hat der Zeitgeist längst überpinselt. Es ist heute weniger farbenfroh, und vor allem sind die Menschen, die darauf zu sehen sind, deutlich heller. "Die Menschen wollen heute nicht mehr aussehen wie der braune Jupp vom Saunaclub", sagt Roggendorf. Aber der Geisteswandel hat nicht nur modische Gründe.

Groß gesagt: Das Verhältnis der Erdlinge zur Sonne hat sich gewandelt. Früher war es auf einfache Weise ambivalent - gebräunt ist die Haut ganz schön, verbrannt tut sie ganz schön weh. Heute ist es komplizierter. Einerseits verspricht die Sonne gesundes Licht und Wärme, maßvolle UV-Strahlung gilt als therapeutisch. Die Sonne als Quelle allen Lebens. Andererseits wartet im grellen Licht der Schwarze Hautkrebs. Die Sonne als die wahre Bitch.

2008 begannen die Krankenkassen, entsprechende Screenings zu bezahlen. 2009 bewertete die Weltgesundheitsorganisation nicht nur die natürliche UV-Strahlung, sondern auch die künstliche als krebsauslösend. Und 2012 schließlich wurden in Deutschland neue Regeln für Solarien eingeführt; heute ist die Strahlkraft der Röhren beschränkt, es gibt keine Selbstbedienung mehr, die Besucher müssen kundig beraten werden können - und Minderjährige dürfen gar nicht mehr ins Solarium.

"Heute sind ja alle ziemlich blass"

Eine Folge für die Branche: Jugendliche wachsen nicht mehr mit dem Solarium auf, der Nachwuchs fehlt, oder wie Linnecke sagt: "Wenn heute ein Mädchen 18 wird, rennt es nicht herum und schreit: ,Warum sind meine Freundinnen braun und ich nicht? Ich will ins Solarium!' Heute sind ja alle ziemlich blass." Eine weitere Folge der strengeren Regeln: Die unseriösesten unter den Anbietern mussten zumachen. So sind nur noch 2800 Sonnenstudios übrig. Sonnengott: "Es gibt heute nicht mehr viele Bruzzelbuden."

Eine gute Zeit mithin, sich zu häuten. Die Branche wählt für den Überlebenskampf dieselbe Waffe, von der sie dezimiert wurde: die Sorge um die Gesundheit. Viele Studios werben mit flauschigen Schlagworten wie Entspannung, Anti-Stress-Effekt und Hautpflege, es werden Lichttherapien und Lymphdrainagen angeboten. Und die Sonnenbänke seien komfortabler als "die sargähnlichen Büchsen" von früher, sagt Roggendorf. Man müsse nur nach Mülheim schauen.

Auch dort ist es kalt und düster und super. Linneckes Musterstudio liegt zwischen Spielhalle und Tierfutterladen, mancher kennt es aus dem Video "Biste braun, kriegste Fraun" von Mickie Krause. In der Lobby stehen Bambusstämme zwischen ballförmigen Sesseln. Der Sonnengott führt zum Modell "Sonnenengel". Zwanzig Minuten, zehn Euro, das ist doppelt so teuer wie die Billigkonkurrenz.

An der Bank steckt ein Handgerät mit Sensor, der den Hauttyp des Kunden erkennt. Egal ob man weiß wie die Wand aussehe oder so wie Roberto Blanco, sagt Linnecke, "ein Verbrennen ist nicht mehr möglich". Rotes "Beauty Light" soll die vorzeitige Hautalterung verhindern. Auf Wunsch kann man sich während des Bräunens mit einem Wassernebel besprühen lassen; das Handy mit der Sound-Anlage verbinden; sich von Düften betören lassen. Alles, um davon abzulenken, dass man immer noch auf einem Toaster liegt. Jetzt ist er halt gedrosselt und gepimpt. Dermatologen warnen weiterhin vor ihm.

Es ist noch ein weiter Weg. Eine 2018 von Ergoline in Auftrag gegebene Studie über Sonnenstudios ergab, dass sich "eine Positionierung als Schönheits- / Wellnessspezialist" noch nicht durchgesetzt habe.

Der Sonnengott? Blickt dennoch entspannt in die Zukunft. Er will mehr Zeit für sich haben, mehr Harley fahren, weniger rauchen. Im Sommer wird es hier ohnehin ruhiger sein, nicht? Er lacht. Man glaube gar nicht, wie viele Menschen auch bei gutem Wetter ins Solarium gingen, sagt er. Das sei immerhin klimatisiert. "Die Leute, die fliehen vor der Sonne."

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