Social Media:Rückendeckung für Hillary

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Orlando, Florida: Beim Auftritt der Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton kommt es zu einem Massen-Selfie. Ein Foto, das die Wahlkampfmanager gezielt im Netz verbreiteten. (Foto: Barbara Kinney/Hillary for America)

Wieder einmal geht ein Selfie um die Welt: Das inszenierte Bild der Präsidentschaftskandidatin Clinton mit ihren scheinbar selbst bezogenen Fans.

Von Dirk von Gehlen

Im Herbst 2014 drehte die Schauspielerin Kirsten Dunst einen sehr kurzen Film, der sich schnell im Internet verbreitete. Sie spielt in "Aspirational" sich selber: die Schauspielerin Kirsten Dunst, die Kontakt zu zwei weiblichen Fans hat. Die jungen Mädchen erkennen sie zufällig auf der Straße, halten an und fotografieren sich gemeinsam mit ihr. Kirsten Dunst lässt den Selfie-Sturm irritiert über sich ergehen und beobachtet anschließend ratlos, wie die beiden einzig auf dem Smartphone tippen - und die Fotos ins Netz stellen. "Wollt ihr euch unterhalten oder so?", fragt die Schauspielerin, erntet aber nur Ablehnung. Das Selfie als digitale Form des Autogramms genügt den beiden Fotofans voll und ganz. Sie stellen es online.

Zwei Jahre nach diesem kleinen Film kam es am Mittwoch vergangener Woche in Orlando im US-Bundesstaat Florida zu einer Szene, die den Kurzfilm mit Kirsten Dunst auf vielfache Weise zu bestätigen scheint. Im Jugendzentrum der Gemeinde machte die Wahlkämpferin Hillary Clinton Station, und die anwesenden jungen Smartphone-Besitzer nutzten den Besuch, um sie als Hintergrund für unzählige Selbstporträts zu verwenden. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wenn man das Foto betrachtet, das die Clinton-Fotografin Barbara Kinney in Florida gemacht hat. Zu sehen ist die winkende Kandidatin, die auf einem Podest steht und auf zahlreiche Rückansichten ihres Publikums schaut.

Die Kandidatin weiß ganz genau, wie man im Netz Aufmerksamkeit erzeugt

Menschen überall auf der Welt verstanden dieses Foto als Symbol für eine selbstbezogene Smartphone-Generation, die sich von der Bühne abwendet, nur um sich selbst ins Bild zu rücken. Menschen überall auf der Welt reichten das Foto auf Twitter und Facebook weiter und verschafften dem eher zufälligen Gruppenselbstbild enorme Aufmerksamkeit - und auf Anhieb einen Platz in der Galerie berühmter Selfies. Diese wird angeführt von der später als Werbeaktion eines Smartphoneherstellers entzauberten Gruppenfotografie berühmter Schauspieler in der Oscar-Nacht 2014. Auch der Papst (2013 mit jungen Katholiken) oder die Kanzlerin (2015 mit einem syrischen Flüchtling) haben ihren Platz in dieser Sammlung, die den meisten Betrachtern als fotografischer Beweis für die Egomanie der allgegenwärtigen zeitgenössischen Selbstfotografen ist.

Dass dieser naheliegende Schluss nicht immer richtig sein muss, beweist ausgerechnet das jüngste Motiv der Galerie. Wer im Clinton-Selfie ungeprüft Narzissmuss erkennt, schiebt die eigene Meinung ins Bild - fast so wie der Selfie-Fotograf das eigene Gesicht. Denn dass Hillary Clinton nur Rücken sah, lag nicht an der Egomanie ihres Publikums, sondern einzig an ihr selber: Die Politikerin hatte die Besucher kurz zuvor aufgefordert, sich umzudrehen und Selbstporträts mit ihr anzufertigen.

Clinton kennt die Wirkung solcher Fotos genau. Bereits 2012 gelang ihr ein populärer Netz-Auftritt - mit einem Bild, das sie mit dunkler Sonnenbrille beim Tippen in ein Smartphone zeigt. Seither kennt Clinton die Aufmerksamkeitsregeln digitaler Räume - und weiß diese für sich zu nutzen. Mit ihrer Selfie-Aufforderung erfüllte sie ihren Fans den Wunsch, den Buchfreunde sich mit einer Widmung ihres Lieblingsautors nach einer Lesung erfüllen: eine persönliche Erinnerung an den Auftritt. Doch anders als bei einem Autogramm entfaltet ein Selfie seine Wirkung erst dann richtig, wenn man es - wie die Mädchen neben Kirsten Dunst - anderen zeigt. Im Fall von Clinton heißt das eben auch: dass jedes einzelne Selfie Aufmerksamkeit auf die Kandidatin lenkt.

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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