Smartphone-Kommunikation:Wann über 30-Jährige noch Emojis benutzen dürfen

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Bitte nicht stören - wer seine Ruhe haben will, muss sich etwas einfallen lassen.

(Foto: Screenshot)

Im Smartphone-Zeitalter wird anders kommuniziert. Die wichtigsten Regeln.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Rückruf

Bis zwei Handybesitzer sich tatsächlich erreichen, kann viel Zeit vergehen; im Duktus von Online-Selbsthilfegruppen nennt man dieses Phänomen auch "Anrufhistorie". Will sagen: Person A wählt die Nummer von Person B, es klingelt, aber niemand geht ran. Nun bitte nicht in Aktionismus verfallen und es noch ein zweites dreistes Mal versuchen, Contenance! Es gibt ja so viele Erklärungen: Person B hört zum Beispiel ihr Handy nicht; schließlich vermittelt es heutzutage ein gewisses Understatement, keine Frosch- oder Britney-Spears-Klingeltöne aufs Handy zu laden, stattdessen brummt es nun allerorten. Oder aber Person B sitzt gerade im Zug, diesem Bora Bora der Mobilfunkmasten. Es könnte Person B aber auch schlichtweg so gehen wie großen Teilen der Bevölkerung: keine Zeit, wichtiges Meeting, alles viel zu viel! Praktischerweise muss Person A beim Wegdrücken von Person B auch kein schlechtes Gewissen haben. Einfach die SMS-Funktion mit vorgefertigten Antworten nutzen und ein zuvorkommendes "Ich rufe später zurück" an den Chef, ein latent aggressives "Was gibt's?" an den Ex-Freund senden. Merke: Der selbstbestimmte Handybesitzer ruft zurück, wenn es ihm passt. Und dann ist besetzt.

Anrufbeantworter

Balzacs gesammelte Werke, Schrittzähler, das kartografierte Straßensystem Ulan Bators - auf einem Smartphone hat ja vieles Platz, aber bitte keine Mailbox. Klar, allein die Ansagen waren schon eine spaßige Angelegenheit: etwa den eigenen Namen nach Enden der Automatenstimme ("Das ist die Mailbox von . . .") punktgenau zu hauchen oder sich etwas ganz Verrücktes auszudenken ("Wenn Sie eine Nachricht hinterlassen wollen, piepen Sie jetzt!"). Selbstverständlich haben auch Kinderstimmen ("Anton, Julia, Mama und Papa sind nicht zu Hause") einen nostalgischen Wert. Seit Christian Wulffs Wut-Anruf bei Kai Diekmann aber wissen wir: Wer sich dazu herablässt, auf einen Anrufbeantworter zu sprechen, könnte genauso gut "Ich war hier" auf das Richter-Fenster im Kölner Dom kritzeln - nicht subtil genug und irgendwie verdächtig. Heute machen so etwas nur noch Liebeskranke, Omas oder Agenten von ehemaligen Deutschland-sucht-den-Superstar-Finalisten. Kurzum: Es ist der eine, verzweifelte Kanal zu viel.

Anonymer Anruf

Wenn das Wort "anonym" auf dem Display erscheint, heißt das in der Regel nichts Gutes. Entweder handelt es sich um einen Stalker oder den Bundesnachrichtendienst. Galt die unterdrückte Nummer früher als geheimnisvoll und wurde gern als Selbstschutz-Maßnahme verwendet, um das Faktum des Verliebtseins nicht schon qua Anruf zu verraten, ist sie heute: einfach nicht gläsern genug. Weder kann man zurückrufen, wenn einem danach sein sollte (siehe Punkt 1), noch gibt es hübsche Bildchen zu sehen. Seitdem sich nämlich viele in größtmöglicher Transparenz versuchen und stets eine Smartphone-Kamera bei sich tragen, sind personalisierte Anrufer-Profile ähnlich verpflichtend wie das lebensbejahende Facebook-Bild. Also einfach die vorteilhaftesten und unverfänglichsten Fotos des Gatten oder ein Selfie der besten Freundin aussuchen und im Adressbuch hinterlegen - da weiß dann jeder Bürokollege und jeder temporäre Zeitgenosse in der S-Bahn sofort, woran er ist. Das Beste daran: Man kann sich das förmlich-gequälte Aufsagen seines eigenen Nachnamen einschließlich des Wortes "Apparat" sparen und gleich den Verlauf des ganzen Gesprächs bestimmen: "Hey Süße!" oder "Ja, Mama?"

Whatsapp

Kein Schwein ruft an? So verheerend ist die Lage nicht. 2014 haben die Deutschen im Schnitt circa 437 Millionen Minuten am Tag via Festnetz telefoniert, fünf Jahre zuvor waren es 540 Millionen. Dafür wurden im vergangenen Jahr weltweit etwa sieben Billionen Whatsapp-Nachrichten verschickt - wobei das Wörtchen "nach" die Sache nicht ganz trifft. Ist der Chat doch ein ewiges Jetzt, die Mikro-Kommunikation nie ganz abgeschlossen. Wer die Technik der vielen Unterhaltungsstränge beherrscht, kann nicht nur Parallelbeziehungen in die ganze Welt unterhalten, er ist auch Herr über sein Handy. Übt der Anruf stets Druck aus, spontan geistreiche Dinge oder die Wahrheit zu sagen, kann man die Nachricht hingegen subtil mit Notlügen versehen und sich mit der Antwort etwas mehr Zeit lassen, sagen wir: bis zu 24 Stunden. Wer allerdings Herr über sich und sein Handy bleiben will, sollte das mannigfaltige Angebot an Whatsapp-Gruppen kuratieren wie den Gemüsekisten-Lieferanten seines Vertrauens: Babyparty-Gruppe, Gruppentherapie-Gruppe, Doppelkopf-Gruppe - nicht alles ist es wert, gelesen, kommentiert und ernst genommen zu werden. Und ist der Gruppenzwang doch zu groß: einfach stumm schalten.

Von Emojis, Fotos und leeren Akkus

Emojis

Sie sind die Barbies des Schriftverkehrs: zu grell, zu aufgesetzt, zu Plastik. Hat man die 30 überschritten, gilt es, Emojis sparsam oder nur im Notfall zu verwenden. Notfall, das heißt: Wenn man zu betrunken zum Tippen ist, seine Kontaktlinsen verloren hat oder durch einen absurden Zufall an die Handynummer von Justin Bieber gekommen ist. Wer durchs Netz smiled, setzt sich schnell dem Verdacht aus, ein Sticker-Album zu besitzen oder die Haarspange farblich auf die Ballerinas abzustimmen. Zugegeben: Es ist nicht leicht, die Fratzen der Emotion nicht zu verwenden - auf neuen Smartphones frohlocken neben der üblichen Palette der übersteigerten Stimmung auch animierte Requisiten eines potenziell weltumspannenden Theaterstücks: Wassermelonen, Stöckelschuhe, Commedia dell'arte-Masken, Pillen, Geodreiecke. Sollte das Innenleben tatsächlich so komplex sein, dass es der Relativierung oder Verstärkung durch Geodreiecke bedarf: Regeln 1 und 4 missachten und mal wieder anrufen.

Fotos

Die Nachricht ist zwar ein Akt der digitalen Selbstbestimmung, doch liegt es wegen Wurstfinger-Umfang, Tipp-Faulheit oder Eloquenz-Defizit nicht jedem, seine Individualität in Chat-Nachrichten zu kanalisieren. Wieso nicht bäääm statt blablabla - und einfach nur Fotos verschicken? Die Postkarte kam ja auch mit Adresse plus wenig Text aus oder wurde gar nicht erst gelesen. Kleiner Tipp: Die Mischung sollte stimmen. Selfies? Natürlich, aber bitte nicht zu ausgeschlafen dreinschauen! Natur? Auf jeden Fall, die landestypische Schönheit sollte jedoch durch authentische Mülleimer im Vordergrund gebrochen werden! Bei der Abbildung der täglichen Mahlzeiten kann man auch wieder etwas aufdrehen, aber für den idealen Effekt die Aperol-Spritz-Gläser aus dem Bild schieben - sonst könnte ja jemand denken, man mache im Urlaub das Gleiche wie zu Hause. Das Prinzip aus Perfektion und Nachlässigkeit lässt sich auch auf Dating-Apps wie Tinder übertragen, bei denen attraktive Kandidaten und nicht so attraktive Kandidaten je nach Gusto hin und her gewischt werden. Das lästige "Leg-du-auf-nein-du"-Lavieren hat sich damit auch erledigt - einfach nach rechts wischen und eine Nachricht schreiben. Irgendwann.

Akku leer

Gut, es gibt auch abgesehen von ICE, Aufzug oder Nachtclub ein paar netzfreie Unorte in der Bundesrepublik, wirklich viele sind es jedoch nicht. Erstaunlicherweise zieht die Lüge vom nicht vorhandenen Netz trotzdem noch ziemlich gut. Falls das Annehmen eines Anrufs also doch mal unausweichlich erscheinen sollte: "Was? Ich verstehe nicht . . . Funkloch . . ." Die Mär vom leeren Akku ist hingegen schon lange kaum noch haltbar: Rucksackreisende wie Techno-Touristen beziehen den lebensnotwendigen Saft aus mobilen Aufladestationen, sei es nun im Urwald oder in Berlin. Zudem scheint bei Gastronomen die Toleranz gegenüber Nicht-Gästen gestiegen zu sein, die in den Laden stürmen und sich "mal schnell aufladen möchten". Ein allerletzter Ratschlag: Niemand muss heute mehr in ein Festnetztelefon oder ein Smartphone hineinschreien, um die Distanz zu überbrücken. Es sei denn, man hat wirklich gar keine Lust zu telefonieren.

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