Süddeutsche Zeitung

"Skate-Dads":Spät zu Brett

Viele Männer um die 40 haben im Corona-Sommer die Leidenschaft ihrer Jugend wiederentdeckt. Die "Skate-Dads" kurbeln die Verkäufe an - und machen den Sport auf sympathische Weise uncooler.

Von Jan Stremmel

Für David Barnwell begann es damit, dass er seinen dreijährigen Sohn müde bekommen wollte. Es war im vergangenen April, die Kitas und Spielplätze hatten seit Wochen geschlossen, also lief er mit dem Sohn samt Tretroller eine Runde durch die Nachbarschaft. Plötzlich war da dieser Skatepark, der ihm zuvor nie aufgefallen war.

Der 37-jährige Journalist und zweifache Vater aus München hatte seit gut zehn Jahren keinen Skateplatz betreten. Aber weil sein Sohn mit dem Roller in den folgenden Wochen immer wieder dorthin wollte, packte auch den Vater plötzlich eine längst vergessene Leidenschaft.

Inzwischen geht er mehrmals in der Woche, wenn die Kinder im Bett sind, alleine zum Skatepark in München-Untergiesing. Und trifft dort eine Gruppe Mittdreißiger, von denen nicht wenige wegen Corona ihr altes Hobby wiederentdeckt haben.

Es gibt einige Sportarten, die durch die Pandemie einen ungeahnten Boom erlebt haben. Vor allem solche, die man alleine ausüben kann. Heimtrainer, Wanderschuhe, Yogamatten und Fahrräder sind so gefragt wie selten. Beim Skateboarding kommt noch etwas hinzu, was auf den ersten Blick nicht erkennbar ist: eine Altersverschiebung nach oben. Denn während des Corona-Sommers hat eine Generation zwischen Mitte 30 und Mitte 40 eine Leidenschaft wiederentdeckt, die aus den Neunzigerjahren stammt und die sich für viele mit dem Eintritt ins Berufsleben oder in die Familienplanung erledigt hatte.

Was macht der Alterungsschub jetzt aus dem Jugendsport?

Ausgerechnet der Sport, der seine anhaltende Faszination seit Jahrzehnten auch dadurch gewinnt, dass er irrsinnig schwer zu lernen ist - und zwar so schwer, dass kaum jemand sich das als Erwachsener noch antut -, erlebt gerade einen Alterungsschub. Wie geht er damit um?

"Skate-Dads" nennt Julius Dittmann diese Alterskohorte, die in den Neunzigern als Teenager mit dem Sport anfing und jetzt mit den eigenen Kindern in die Skateparks zurückkehrt. Dittmann ist Chef von Titus, einem der ältesten und größten Skateboard-Einzelhändler in Deutschland, den sein Vater gegründet hat. Dort waren in diesem Sommer völlig unerwartet Achsen und Kugellager ausverkauft - und das, sagt Dittmann, obwohl der Markt schon seit einigen Jahren wieder wachse und man deshalb ohnehin deutlich mehr Ware auf Lager gehabt habe als sonst.

Die unerwartete Nachfrage liegt wohl auch an den "Skate-Dads", die plötzlich wieder die alte Begeisterung gepackt hat. Nicht umsonst bringen einige Hersteller gerade wieder jede Menge Board-Designs aus den Neunzigerjahren heraus - und verkaufen davon innerhalb von Tagen sämtliche Bestände ab.

Was macht dieser Siegeszug der Senioren also mit einem Sport, der wie kaum ein anderer als Symbol der Jugendkultur gilt - und der in diesem Jahr zum ersten Mal bei den Olympischen Sommerspielen teilgenommen hätte? Zunächst kann man sagen: Er macht ihn vielfältiger. Und auf sympathische Weise ein bisschen weniger cool.

Skate-Dads feiern sich auf Instagram

Im Netz gibt es längst eigene Anlaufpunkte für die älteren Skater. Einer der schönsten ist ein Instagram-Account für Leute, "die genau so alt sind wie der Wachmann, der dich vom Skatespot vertreibt". Die Seite für müde Skate-Senioren heißt passenderweise "Tired Skateboards" und teilt unter großem Beifall Videos von leicht dickbäuchigen Männern, die hüftsteif und heftig schwitzend auf winzige Randsteine springen und sich darüber wahnsinnig freuen. Man sieht verblassende Tattoos und grau werdende Bärte unter Halbglatzen. Die Seite hat in den vergangenen Monaten Tausende neue Follower generiert. Und die feiern jedes noch so linkische Video in den Kommentaren frenetisch ab - beliebtestes Emoji: die Bronze-Medaille.

Einer der Betreiber der Seite ist Mike Condello, 45. Er lebt in New Jersey, arbeitet in einem Tattoo-Studio und sagt am Telefon, es sei "absolut verrückt", wie viele ältere Leute seit Corona im Skatepark seien. "Ich habe Typen gesehen, die das letzte Mal in den Achtzigerjahren geskatet sind." Während des Lockdowns, als Fitnessstudios geschlossen hatten und nicht mal im Fernsehen Sport lief, sei auch er so viel geskatet wie lange nicht. Nichts sonst gebe ihm diesen "Moment innerer Klarheit". Andere Leute machten Yoga, sagt Condello, "ich skate einen Bordstein."

In den Skateparks beobachtet er neuerdings eine nach Alter gestaffelte Verteilung über den Tag: Morgens, vor zehn Uhr, kämen die über 40-Jährigen. Dann sei, bis Mittag, die Ü-30-Fraktion dran. Am Nachmittag werde es dann richtig voll, dann steige das Niveau schlagartig an. "Die Neustarter", wie Condello sie nennt, wollten eben ungern im Weg stehen. Und möglicherweise auch nicht von den jungen Talenten dabei beobachtet werden, wie sie die längst vergessenen Tricks ihrer Jugend üben. Auch in einem Sport, der immer schon Wert darauf gelegt hat, inklusiv und unhierarchisch zu sein, ist beim Thema Alter eine gewisse Scham zu spüren.

Dabei birgt es, das ist Condello wichtig, nicht nur Nachteile, ein Senior-Skater zu sein. "Ich kann jetzt einfach zwei Stunden mit dem Auto zum Skaten in die Nachbarstadt fahren", sagt Condello. Außerdem kaufe er sich jeden Monat ein neues Board, sobald das alte zerschrammt oder aufgrund seines nicht mehr ganz materialfreundlichen Körpergewichts ausgeleiert sei. Und: Die Erwartung, permanent neue Tricks zu lernen, die sei weg. "Es geht jetzt nur noch darum, nichts mehr zu verlernen", sagt der 45-Jährige. "Die Wahrheit ist: Wir werden alle nie wieder 14 Jahre alt sein." Und er strahlt, als wäre das nicht ganz zuletzt auch eine ganz schön gute Nachricht.

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