Süddeutsche Zeitung

Sitzordnung bei Fashion Shows:Kampf um jeden Stuhl

Lesezeit: 5 min

Sie ist die harte Währung der Modehäuser: die Sitzordnung bei einer Fashion Show. Um die Platzvergabe zu organisieren, gibt es inzwischen eine eigene Software. Die kann viel, aber das Wichtigste nicht.

Von Julia Werner

Die elegante Meute ist wieder unterwegs, denn es sind Modewochen: New York ist gerade vorbei, London in Kürze, von nächster Woche an dann Mailand und zum Schluss Paris. Es geht darum, die neue Mode zu sehen. Und natürlich ums Gesehenwerden. Schauenprofis würden sich allerdings niemals etwas auf die neue Handtasche einbilden, das wäre provinziell. Für sie gibt es vor allem ein Statussymbol: den richtigen Sitzplatz, und zwar möglichst weit vorn.

Wer ihn hat, lässt sich mit demonstrativer Nonchalance auf ihm nieder, als sei er sein angestammtes Grundrecht. Den Psychokrieg, der für diesen halben Quadratmeter Bank hinter den Kulissen ausgetragen wurde, lässt sich keiner anmerken. Wir haben es schließlich mit Profis der Eleganz zu tun!

Der Sitzplatz bei Prada oder Louis Vuitton ist die harte Währung der Modehäuser: So drücken sie aus, wie wichtig ihnen der Eingeladene ist. Hat eine Einkäuferin bei Dolce & Gabbana in der vorangegangenen Saison zu wenig geordert, findet sie sich hinter einer Glasscheibe am Ende des Laufstegs wieder. In Social Sibiria also. Dass Journalisten nach einem Verriss gar nicht mehr kommen dürfen, ist zwar selten - aber schon passiert: Die Modekritikerin der New York Times, Cathy Horyn, erzürnte Saint-Laurent-Designer Hedi Slimane einmal so sehr, dass er sein Hausverbot für sie sogar öffentlich machte. Sie verfolgte die Show dann im Internet.

Reise nach Jerusalem

Nichteingeweihte müssen sich die zwei Wochen vor einer Fashion Show vorstellen wie die Reise nach Jerusalem: Nie sind genug Stühle da, aber Hunderte Journalisten, Einkäufer, reiche Privatkunden und Freunde von Freunden des Designers umkreisen sie. Dass man Schauen-Einladungen für kein Geld der Welt kaufen kann, ist bekannt. Dass Hollywood-Stars, It-Girls und Vogue-Chefinnen in der ersten Reihe sitzen, auch. Aber wie genau - und an wen - werden die restlichen Plätze vergeben? Und wie entwirft man einen Sitzplan mit bis zu 2000 Gästen, ohne den Notstand ausrufen zu müssen?

Den Verantwortlichen, also den großen PR-Teams der Labels, bereitet das nicht selten schlaflose Nächte. Es geht darum, Hierarchien in Form von Sitzplatzlisten abzubilden. Und trotzdem niemanden vor den Kopf zu stoßen, was so gut wie unmöglich ist. Diese Kunst, die die Modebranche nahezu perfektioniert hat, nennt man Seating.

Früher saßen die PR-Teams stundenlang vor gezeichneten Sitzordnungsplänen und schoben bunte Sticker hin und her. Pink stand dann etwa für Medienleute, gelb für VIP-Kunden. Heute machen immer mehr Modehäuser diese Planung digital. 2006 gründete der IT-Berater Eric Mullon "Fashion GPS" und entwickelte speziell für Mode-Events die passende Software. Zuvor saß er wochenlang mit Branchen-Insidern von Donna Karan und der PR-Agentur KCD zusammen. Fashion GPS hat einen Vertrag mit dem Luxuskonzern Kering, außerdem verwendet Dior das weltweit einzigartige System. So können Einladungen digital verschickt werden, der Computer erledigt auch den RSVP-Prozess, also die Zu- und Absagen.

"Die Amerikaner lieben es, sich mit ihrem iPhone für eine Show anzumelden", erklärt Alison Levy, Global Strategy Director der New Yorker Firma, "die Europäer hingegen gar nicht. Für sie gibt es zusätzlich Papiereinladungen. Sie wollen gerne etwas Hübsches in der Hand halten." Auch für dieses Luxusproblem hat Fashion GPS die Lösung: ein Chip in der auf luxuriösem Karton gedruckten Einladung. Am Eingang wird der Gast automatisch registriert und bekommt eine Mail mit allen Infos zur Kollektion geschickt. Bei Dior Homme wurde diese Technologie bereits verwendet.

Das System kann noch viel mehr - das Wichtigste jedoch nicht: eine automatische Sitzordnung erstellen. "Man kann keine Algorithmen für den menschlichen Faktor programmieren", erklärt Levy. "Ein Computer erkennt nicht, dass ein Schauspieler nicht neben einem Vertreter des Tatler-Magazins sitzen darf, weil es sonst zu Gossip-Berichterstattung kommt."

Es sind also die PR-Experten, die im Idealfall wissen, welche Moderedakteurin sich gerade mit welcher Chefredakteurin zerstritten hat, welche Konkurrenten keinesfalls in direkter Nähe sitzen dürfen. Und wer sich überhaupt spinnefeind ist. Bevor sich zwei Diven in der Front Row vor Abneigung voneinander wegbiegen, setzt man lieber einen Rapper oder eine Schauspielerin als Puffer dazwischen. Zwischen Carine Roitfeld, legendäre Ex-Chefredakteurin der französischen Vogue, und ihre Nachfolgerin Emanuelle Alt zum Beispiel. Was vorgefallen ist, weiß keiner; nur, dass die eine der anderen Verrat vorwirft.

Niemals klatschen

Aber auch in den hinteren Reihen ist die Platzvergabe ein "Rochade-Spiel", wie es der Mitarbeiter eines Labels formuliert. Die einzelnen Blöcke werden grob nach Ländern aufgeteilt. Und die Einkäufer bekommen aus Platzmangel oft gleich eine eigene Show. Je höher ein Modelabel den Markt eines Landes einstuft, desto mehr Sitzplätze gibt es. Für die Deutschen lief es jahrelang eher schlecht. Heute laute das Credo: Deutschland ist Europas China, erzählt ein deutscher PR-Experte, der internationale Modenamen vertritt. Deswegen gebe es auch wieder mehr Karten.

Bei der Platzvergabe, erklärt er, gehe man zuerst nach harten Kriterien wie der Auflage eines Magazins oder einer Zeitung. Und nach dem Titel. Kommt die Chefredakteurin zu einer Show, muss sie in der ersten Reihe sitzen. Kommt nur ihre Mode-Chefin, sitzt die oft eher in der zweiten. Die normalen Redakteure und unwichtigeren Mode- und Klatschblätter teilen sich dann die hinteren Reihen. Und ganz hinten sitzen die bereits erwähnten Freunde von Freunden. Bei Armani sind das viele - vor allem auch, weil der Maestro sich immer noch gerne beklatschen lässt. Modeprofis würden niemals während einer Show klatschen. Das ist so verpönt wie in der Lufthansa. Gleichwohl gelten auch weiche Kriterien: die Qualität von Fotos und Texten, auch wenn ein Magazin vielleicht kaum Auflage hat, aber trotzdem den richtigen Kunden anspricht.

Die Herrscher über die Sitze navigieren in den Tagen vor der Show jedenfalls am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie teilen den Eingeladenen ihre Plätze sicherheitshalber schon vorher mit, um spätere Empörung zu vermeiden. "Warum sitze ich in der dritten Reihe?", keifen dann die, die sich nach hinten strafversetzt fühlen. Ein Modeklassiker: die Wichtigkeit der eigenen Person mit der des Arbeitgebers zu verwechseln. Eine deutsche Chefredakteurin, die erst bei einem sehr erfolgreichen Modemagazin gearbeitet und dann zu einem weniger erfolgreichen gewechselt hatte, war berühmt für solche Anrufe. In die erste Reihe kam sie immer, weil sie, sobald der PR-Agent wegschaute, blitzschnell vorrückte. Um dann so zu tun, als wäre sie in einem Handy-Gespräch, um der Peinlichkeit im Falle ihrer Vertreibung vorzubeugen. Sie beherrschte dieses in der Mode weitverbreitete Manöver ziemlich gut.

"You don't fuck with French people"

Sitzklau gehört zum Handwerk in der Mode. Schnell lernt man, welcher Zeitpunkt der richtige ist, einen fremden Platz zu besetzen: dann, wenn die Reihen zu zwei Drittel besetzt sind. Die Sitzplatznummern nämlich sehen Zuspätgekommene dann nicht mehr, weil alle schon draufsitzen. Die meisten sind ungewohnt sportlich und verzichten auf ihr Recht - Contenance gehört zu diesem Game of Thrones. Nur wenige verlieren sie: In New York mussten bei einer Zac-Posen-Show einmal aus Brandschutzgründen 60 Stühle entfernt werden, womit auch ein großer Teil der Front Row wegfiel. Marie-José Susskind-Jalou, Herausgeberin des Magazins L'Officiel, bekam einen Wutanfall, woraufhin ihre Tochter die PR-Frau, Überbringerin der schlechten Nachricht, kurzerhand ohrfeigte. Wie die Millionen-Dollar-Klage ausging, wissen wir nicht. Die schlagfertige Dame aber kommentierte den Vorfall so: "Sie hat meine Mutter gedemütigt, und ich habe sie gedemütigt - vor ihrer Crew. Voilà. Zum Schluss sagte ich: ,Now you know you don't fuck with French people.'"

Wie in einem Kriegsgebiet verhielt sich auch einmal Justin o' Shea, Einkäufer des erfolgreichen Online-Shops mytheresa.com und bärtige Stilikone der Blogger-Mädchen. Als er extraspät eintraf, war die Front Row der Acne-Show längst voll. Er diskutierte ewig, um sich dann rabiat zwischen die Sitzdiebe zu quetschen. Dass der Show-Platz Lebensinhalt ist, lassen sich die meisten nicht so offen anmerken.

Viele Karrieren beginnen ohnehin stehend: mit Standing-Einladungen. Schon am Show-Eingang trennt sich die Spreu vom Weizen. Während die Stuhlinhaber durch ihren Korridor hineinspazieren, wird der für die "Standings" erst geöffnet, wenn alle anderen drin sind. Sie dürfen sich dann hinter die letzte Reihe quetschen, sie sind das Füllvieh der Modebranche. Aber wenigstens sind sie drin.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2014
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