Nachhaltige Mode:Macht Sinn

Nachhaltige Mode: Weg mit den Arschlöchern: Die wenig subtile und mittlerweile legendäre Aktion des amerikanischen Outdoor-Herstellers Patagonia vor den Präsidentschaftswahlen.

Weg mit den Arschlöchern: Die wenig subtile und mittlerweile legendäre Aktion des amerikanischen Outdoor-Herstellers Patagonia vor den Präsidentschaftswahlen.

(Foto: Patagonia)

"Purpose Brands" wie Patagonia, Toms oder Allbirds verkaufen Konsum als Mittel zum guten Zweck. Mit erstaunlichem Erfolg.

Von Silke Wichert

Auf die inneren Werte achten. Immer gut, erst recht wenn es um Kleidung geht, und manchmal entdeckt man dabei sogar Erstaunliches: Vergangenen September etwa war in einigen Shorts der Outdoor-Marke Patagonia auf der Rückseite des Etiketts eine kurze Botschaft versteckt: "Vote the assholes out". Deutlicher ließ sich nicht formulieren, welcher Politiker da bitteschön abgewählt werden sollte. Die mittlerweile legendäre Botschaft war keineswegs eine Guerillaaktion von ein paar Angestellten der Firma aus Kalifornien gewesen, sondern eine hochoffizielle Kommunikationsstrategie, die perfekt zur Mission des Unternehmens passt: "In business to save our home planet." Im Geschäft, um unseren Heimatplaneten zu retten, lautet Patagonias Leitspruch. Klimawandel-Leugner wie Trump kann man da nicht gebrauchen.

Kurz zur Erinnerung: Eigentlich gehen Slogans aus der Bekleidungs- und Beauty-Industrie traditionell eher in Richtung "Weil ich es mir wert bin" (L'Oreal), "For successful living" (Diesel), "Impossible is nothing" (Adidas). Ein wortwitziger Spruch für die amerikanische Glamourmarke Oscar de la Renta lautete einmal: "Wäre es nicht Zeit, einen Oscar zu kriegen?" Wenn etwas versprochen wurde, dann Schönheit, (vermeintlicher) Erfolg, hemmungsloser Hedonismus. Mode mit Moral? Bloß nicht. Gerade die hübsche Überflüssig- und Nichtigkeit ließ sich so gut verkaufen.

Zeit der Unschuld - oder Sinnlosigkeit - könnte man das rückblickend nennen, während jetzt eher die Epoche der Verantwortung angefangen hat. "Purpose" ist das neue Modewort, durch alle Branchen hinweg. Von Siemens über Porsche bis Unilever ist ständig von Sinnhaftigkeit die Rede und wie man die Welt gemeinsam zu einem besseren Ort machen könne. Selbst ausgedacht haben sich die meisten Firmen das freilich nicht. "Das haben ihnen die Konsumenten ins Pflichtenheft geschrieben", sagt Manfred Schwaiger, Wirtschaftsprofessor an der LMU in München. "Keinen Purpose zu haben, wäre im Moment ein Managementversagen erster Güte."

Die junge Zielgruppe will Engagement sehen - oder sie kauft nicht

Auf die Mode übertragen heißt das, nicht mehr nur möglichst viel Kleidung verkaufen zu wollen, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie unter fairen und nachhaltigen Bedingungen hergestellt wird. Außerdem soll mit dem Erlös bitte etwas Sinnvolles angestellt werden. Und neben Werbebotschaften könnten Marken idealerweise gleich auch politische und soziale Themen kommunizieren. Megabrands wie Gucci, Off-White oder Nike erreichen schließlich mittlerweile eine so große "Community", dass sie an einem gewaltigen Hebel sitzen. Dafür Verantwortung zu übernehmen und einen Beitrag zu leisten, wäre nicht allein lobenswert, sondern geschäftlich auch klug, da es die eigene Zielgruppe ja einfordert.

Nachhaltige Mode: Haltung zeigen: Kampagnenbild von Toms, der Schuhmarke, die früher für jedes verkaufte Paar eines spendete. Heute wird ein Drittel des Nettogewinns abgegeben.

Haltung zeigen: Kampagnenbild von Toms, der Schuhmarke, die früher für jedes verkaufte Paar eines spendete. Heute wird ein Drittel des Nettogewinns abgegeben.

(Foto: Toms)

Im Vergleich zu vorherigen Generationen legen "Gen Y" und "Gen Z" nämlich deutlich mehr Wert auf soziales und politisches Engagement. Sie sind sogar bereit, mehr für ein Produkt auszugeben, wenn die Marke ein Thema unterstützt, das ihnen am Herzen liegt - zumindest sagen sie das in Umfragen und Studien wie "Truth about GenZ" immer wieder. Laut der Unternehmensberatung Bain & Company werden die jungen Generationen 2025 bis zu 55 Prozent der Luxuskonsumenten ausmachen. Besser also, die Sinnsuche beginnt heute als morgen. Mittlerweile vergeht keine Woche, in der kleine wie große Modemarken neue Klimaziele, Umweltaktionen oder soziale Anliegen verkünden.

Die im Dezember berufene Chloé-Designerin Gabriela Hearst verpasste ihrem neuen Arbeitgeber gleich mal eine Radikal-Kur: Ihre erste Kollektion für diesen Herbst war bereits viermal nachhaltiger als vorherige. Aus alten Stoffen ließ sie gemeinsam mit der niederländischen Organisation "Sheltersuit" Parkas fertigen, die sich per Reißverschluss in Schlafsäcke für Obdachlose verwandeln lassen. Ein Statement, das nicht in die Läden kommt, aber wer dort demnächst einen ebenfalls aus Deadstock produzierten Rucksack erwirbt, spendet damit automatisch zwei Exemplare von Sheltersuits. Auf dem Instagram-Account von Chloé erscheinen neuerdings kaum Produkte, sondern vor allem Naturbilder. Auch Balenciaga zeigte einen Kollektionsfilm, in dem nur Flora und Fauna zu sehen war. Produkte? Verkaufen sich ganz nebenbei.

Nur Nehmen ohne Geben funktioniert nicht mehr

Einfacher ist die Sache natürlich, wenn der Markenkern von Anfang an einen "Purpose" hat. Die amerikanische Schuhmarke Toms beispielsweise entstand überhaupt erst als Mittel zum Zweck. Der Gründer Blake Mycoskie war Anfang der Nullerjahre in Argentinien unterwegs und überlegte, den dort typischen Alpargata-Schuh, einen einfachen, bequemen Leinenslipper, nach Amerika zu bringen. Dann lernte er eine Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation kennen, die ihm erzählte, wie viele Kinder selbst in Argentinien barfuß laufen müssten und welche gravierenden Folgen das haben könne: Ohne festes Schuhwerk sei es oft nicht möglich, den weiten Weg in die Schule zu gehen oder die nächste Wasserquelle zu erreichen, Schnitte und Wunden in den Füßen führten zu schweren Infektionen. Zurück in den USA gründete er 2006 seine Marke, die nach dem "One-for-One-Modell" operierte: Für jedes verkaufte Paar wurde ein weiteres an Bedürftige gespendet.

15 Jahre später sind 100 Millionen Schuhe verteilt worden. Das Modell hat Toms nicht nur bekannt gemacht, es hat auch andere Firmen zu ähnlichen Konzepten inspiriert. Trotzdem hat das Unternehmen gerade seine Strategie geändert. "Die Welt verändert sich, und wir fragen uns ständig, ob wir wirklich den bestmöglichen Effekt erzielen", sagt Amy Smith, die als Chef-Strategin auch für das "Giving Program" von Toms verantwortlich ist. Seit diesem Jahr wird deshalb ein Drittel des Nettogewinns an lokale Organisationen gespendet - deutlich mehr als die meisten anderen Unternehmen geben. "Damit können wir flexibler und breiter etwas bewirken", sagt Smith.

Nachhaltige Mode: "In Business to save our home planet" lautet der Leitspruch von Patagonia. Normale Werbung? Macht dann natürlich keinen Sinn.

"In Business to save our home planet" lautet der Leitspruch von Patagonia. Normale Werbung? Macht dann natürlich keinen Sinn.

(Foto: Patagonia)

Auch bei Patagonia, gegründet 1973, hatte man schon früh eine klare Haltung. "Ich bin seit über sechzig Jahren Geschäftsmann", schreibt der Gründer Yvon Chouinard in seiner Biografie "Let my people go surfing". "Das auszusprechen, ist für mich genau schwer wie für jemanden, der zugibt, Alkoholiker oder Anwalt zu sein. Ich habe diesen Berufsstand nie respektiert." Als Absolution wird seit jeher ein Prozent des weltweiten Umsatzes gespendet, auch darüber hinaus unterstützt Patagonia zahlreiche Umweltprojekte, ruft ständig dazu auf, weniger zu konsumieren und stattdessen zu reparieren. Im Rahmen der "Worn Wear Tour" fährt ein Truck durch Städte, Kunden können ihre Sachen vor Ort flicken lassen. Die Umsätze wachsen trotzdem zweistellig, der Umsatz liegt mittlerweile bei etwas mehr als einer Milliarde Dollar, weil die Identifikation mit der Marke riesig ist - mehr Glaubensgemeinschaft statt volatile Wechselkäufer.

Das "B Corp" Zertifikat ist eine Art Michelin-Stern für vorbildliches Handeln

Konsum als Mittel zum guten Zweck - klingt wie eine Win-Win-Situation, allerdings verspricht das mittlerweile fast jeder. Echtes Engagement von Green- oder Woke-Washing zu unterscheiden, wird immer schwieriger. Eine gute Orientierung bietet das unabhängige Nachhaltigkeitsnetzwerk "B Corp". Deren Zertifikat zu bekommen, bedeutet für viele den ultimativen Ritterschlag, eine Art Drei-Sterne-Ranking für vorbildliche Haltung. Rein kommt nur, wer alle fünf Säulen erfüllt und sowohl die Interessen von Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, Gemeinden als auch der Umwelt berücksichtigt. Die Anforderungen sind hoch, alle drei Jahre wird neu bewertet und ausschließlich Fortschritt belohnt - stagniert die Punktzahl, fliegt die Marke wieder raus.

Neben Toms und Patagonia ist auch die französische Sneakermarke Veja "B Corp" gelistet, außerdem Allbirds, das neue Überflieger-Label in Sachen nachhaltige Schuhe. Ihr "Wool Runner" mit Merinowolle und einer Sohle aus Zuckerrohr hat mit rund sieben Kilogramm einen deutlich geringeren CO2-Fußbadruck. Vor Kurzem veröffentlichte die Marke eine Formel, mit der jedes Label den Kohlendioxid-Verbrauch seiner Produkte berechnen kann. Nicht nur als großzügige Geste, versteht sich, sondern auch als Aufruf an die Modeindustrie, mehr Transparenz zu schaffen.

Nachhaltige Mode: Allbirds will die nachhaltigsten Laufschuhe aller Zeiten produzieren. Getragen wird die Marke selbst von Barack Obama.

Allbirds will die nachhaltigsten Laufschuhe aller Zeiten produzieren. Getragen wird die Marke selbst von Barack Obama.

(Foto: Allbirds)

"Purpose"-getriebene Marken machen nicht nur mehr Sinn, sondern immer öfter auch das bessere Geschäft. Sie wachsen im Vergleich doppelt so schnell, Investoren wie der mächtige Finanzverwalter Blackrock prüfen nach eigenen Angaben bereits, ob ein Unternehmen sich genug mit seiner Sinnhaftigkeit auseinandergesetzt hat, bevor das Geld fließt. Denn der Generation Y sei es nun mal wichtiger, dass "ein Unternehmen die Gesellschaft verbessert als dass es kurzfristig hohe Gewinne erwirtschaftet", sagte Blackrock-Chef Larry Fink in einem Interview.

Das Ganze hat sogar noch einen weiteren guten Nebeneffekt: Unternehmen wie Toms oder der schwedische Hafermilchproduzent Oatly geben an, dass ihnen auf jede Stellenanzeige Bewerber fast die Bude einrennen. Begründung: Sie wollen ihre Zeit nicht mit irgendeinem Job vergeuden, sondern etwas tun, das ihnen sinnvoll erscheint.

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Marine Serre

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