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Wie das Berliner Medienunternehmen Highsnobiety teure Trendteile für Teenager erkennt - und sie gleichzeitig geschickt vermarktet.

Von Jan Kedves

Der 22-jährige britische Mode-Influencer Danny Lomas in einer Gucci-Jacke während der Mailänder Modewoche. (Foto: Foto Eva Al Desnudo, The New Luxury, gestalten 2019)

Was Luxus ist, darüber scheiden sich die Geister. Für die einen ist er einfach ein teures Produkt, so rar, dass es nur wenige besitzen können. Für die anderen hat Luxus viel weniger mit Dingen zu tun als mit der Freiheit, Optionen zu haben, sich Zeit nehmen zu können. Luxus als Abwesenheit von Zwängen, sozusagen. Oder noch einmal anders: "Luxus braucht Sklaverei", schrieb Heiner Müller - womit er meinte, dass das Gefühl von sozialer Elevation, das vermutlich der wichtigste Effekt von Luxus ist, als Gegenpol immer auch diejenigen benötigt, die sich etwas nicht leisten können, die ausgebeutet werden. Die Freiheit der einen ist dann der Zwang der anderen.

"The New Luxury" heißt ein opulent bebildertes Buch, mit dem das Berliner Unternehmen Highsnobiety nun eine Handreichung zum Verständnis dessen liefert, was Luxus gerade heute bedeutet. Neu an diesem Luxusverständnis ist, dass seine Konjunkturen vor allem im Internet bestimmt werden und nicht mehr in gedruckten Mode- und Lifestyle-Magazinen. Neu an diesem Luxus ist auch, dass er oft aussieht wie ein Turnschuh oder wie ein Jogginganzug - und immer seltener wie ein Pelzmantel oder wie Porzellan aus Meissen. Wundersame Wandlungen im digitalen Zeitalter: David Fischer hat sie mit Highsnobiety fleißig mit vorangeschrieben.

Highsnobiety als eine "Website" zu bezeichnen, wäre dabei genauso falsch, wie Fischer einen Streetwear-Blogger zu nennen. Das war er höchstens ganz zu Beginn, im Jahr 2005, als er alleine in seinem Schlafzimmer anfing, im Netz über Sneakers zu schreiben. Inzwischen ist Highsnobiety eine weltweit operierende Medienmarke, die sämtliche Kanäle bedient und in rasanter Taktung redaktionell aufbereitete Pressemeldungen über die coolsten neuen Fashion-Produkte genauso verbreitet wie Werbung, die nach redaktionellem Inhalt aussieht, aber als Werbung gekennzeichnet ist. Alles auf Englisch, klar.

In der Schule trug er das, was zwei Jahre später alle haben wollten

Neben dem Berliner Hauptsitz (130 Mitarbeiter) gibt es einen Sitz in New York (55 Mitarbeiter), dazu Außenposten in London, Los Angeles, Hongkong. Sprich: David Fischer, 37, in Bayern geboren, zwei Meter groß, Typ netter Basketballtrainer, ist nun Chef von knapp 200 Angestellten. Der Altersdurchschnitt in seinem Unternehmen: zwischen 30 und 31 Jahren.

In der Schule sei er immer derjenige gewesen, der heute schon das trug, was noch niemand verstand, das zwei Jahre später aber alle haben wollten, erinnert sich Fischer. Zum Beispiel: die legendären Air-Force-1-Basketballstiefel von Nike. Als er anfing, über solche Sneakers im Internet zu schreiben, hätten ihn erst alle für verrückt erklärt. Aber das Schicksal spielte mit: Die Sneaker- und Streetwear-Kultur ist im Luxus-Segment der Mode immer tonangebender geworden, und dass Männer sich für Mode interessieren, immer normaler. Dazu kam der Siegeszug von Facebook, Twitter, Instagram: Damit potenziert sich die Reichweite - natürlich auch für Werbung. Highsnobiety erreicht monatlich rund 40 Millionen Menschen.

Vor zwei Jahren hatte Fischer noch 80 Mitarbeiter, im vergangenen Jahr stieg dann der Londoner Risikokapitalgeber Felix Capital ein, der auch am Londoner Mode-Branchendienst Business of Fashion beteiligt ist und an Gwyneth Paltrows Beauty-Marke Goop. 8,5 Millionen Dollar Finanzspritze: Damit kann man sich schöne neue Büroflächen in Tiergarten an der Grenze zu Schöneberg leisten. Und ja, in den luftigen Räumen ist er zu spüren: der buzz des professionellen Influencertums. Oder: die geballte Ladung Wissen und Entscheidungsmacht darüber, welche Kooperation zwischen welchem Streetwear-Label und welchem Luxuskonzern gerade am heißesten ist - und wann der Drop kommt.

Der Drop ist der Termin, ab dem ein Produkt zu kaufen ist. Das Datum wird früh kommuniziert, damit es eine ordentliche Aufregung gibt. Die Stückzahl ist limitiert, es gibt also genau eine Ladung, danach ist Schluss. Man könnte auch sagen: Der Luxus ist künstlich verknappt, denn er besteht nicht aus raren Edelsteinen, sondern aus Ressourcen wie Gummi, Baumwolle, und so weiter. Man könnte an die Designerkooperationen von H&M denken, wobei das eine trashige Referenz ist, da stürmen die Leute ja in die Läden und prügeln sich. Kein schönes Bild. Bei den Drops im Internet geht es gesitteter zu, da bricht höchstens das Netz zusammen. Danach schwirren Armeen von DHL- und Hermes-Boten aus, um den neuen Luxus abzuwerfen. Bei Heiner Müller wären das vielleicht die Sklaven gewesen.

Der Name Highsnobiety bringt ja schon raffiniert den Snobismus zusammen mit der Aspiration, zur hohen Gesellschaft zu gehören. Dieser Aspekt steckt auch in dem schönen Untertitel des Buchs "The New Luxury", das David Fischer beim Gestalten-Verlag herausgegeben hat: "Defining the Aspirational in the Age of Hype" (etwa: eine Definition des Aufstiegswillens im Zeitalter des Hype).

Das, was früher Bands und Popstars waren, sind für Teenager heute Marken

Im Buch wird nachgezeichnet, was Marken wie Balenciaga oder Gucci in den vergangenen Jahren richtig gemacht haben, sodass Teenager sich um ihre Produkte reißen. Zwei Sätze aus dem Buch: "Luxury will always be about exclusivity" - von Luxus wird sich immer jemand ausgeschlossen fühlen. Und: "Brands are the new bands." In etwa: Marken haben bei Kids heute denselben Status, den Popstars und Bands mal hatten. Und wenn man sieht, wie viel Geld manch einer auf Ebay für Luxus-Sneakers ausgibt, deren Drop er verpasst hat, dann stimmt das wohl.

Wattierte Hosen aus der Herbst/Winter-Kollektion 2017 des britischen Designers Craig Green für die Daunenjacken-Marke Moncler. (Foto: Foto Eva Al Desnudo, The New Luxury, gestalten 2019")

Hohe Identifikation plus Distinktionsversprechen: Nur logisch eigentlich, dass Highsnobiety nun anfängt, eigene Produkte zu verkaufen. Seit einigen Monaten gibt es einen Online-Shop, die erste Kollektion entstand in Kooperation mit der Netflix-Serie "Stranger Things". Deren Logo auf limitierten Shirts: sofort ausverkauft. Ab 2020 wird es auch eine reguläre Highsnobiety-Kollektion geben, designt in Berlin, produziert in Portugal. "Wir haben auf der Commerce-Seite hohe Ziele", sagt David Fischer in schönstem Business-Denglisch. "Aber auch auf der Editorial-Seite haben wir noch einmal ganz neue Aspirationen."

Auf der Highsnobiety-Startseite trug kürzlich ein Text die Überschrift: "Streetwear hat ein Nachhaltigkeits-Problem". Darunter ein langer, wirklich gut recherchierter Essay über die Schwierigkeiten bei der Vereinbarung von Begehrlichkeits-Maximalismus und Ressourcen-Schonung. Ungewöhnlich für eine Plattform wie diese. Könnte die Fridays-for-Future-Bewegung für seinen Markt zum Problem werden? "Wenn wir irgendetwas verkaufen, das dreimal in Plastik eingepackt ist, dann kriegen wir das direkt aufs Brot geschmiert", sagt David Fischer. Die Kundschaft werde in der Tat kritischer.

Vielleicht boomt also auch dies bald: die Versöhnung von ökologischem und sozialem Verantwortungsgefühl mit dem ganz speziellen High, das sich einstellt, wenn man sich per Klick einen Drop bestellt, auf den die anderen neidisch sein werden.

© SZ vom 23.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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