Süddeutsche Zeitung

Sexismus:"Männer sind in der Werbung fleischfressende Monster"

Und Frauen gehören immer noch an den Herd. Auf einer interaktiven Deutschlandkarte dokumentiert die Organisation Pinkstinks sexistische Werbung. Ein Gespräch über Stereotype und nackte Brüste.

Interview von Anna Fischhaber

Wer in der Nachbarschaft, auf der Autobahn oder an der Würstchenbude sexistische Werbung entdeckt, kann diese künftig fotografieren und bei www.werbemelder.in hochladen. Hier betreibt die Protestorganisation Pinkstinks nun ein Monitoringportal samt interaktiver Deutschlandkarte und zeigt, wo entsprechende Werbung gemeldet wurde und was danach mit ihr passiert ist. Aber wann ist eine Werbung überhaupt sexistisch? Geschäftsführerin Stevie Schmiedel erklärt, was für sie nicht geht - und wo der Herrenwitz noch immer zum Alltag gehört.

SZ: Frau Schmiedel, sind nackte Frauen in der Werbung für Sie ein Tabu?

Stevie Schmiedel: Gar nicht. Wenn ein Sanitärhersteller mit einer nackten Frau unter der Dusche wirbt, ist das völlig in Ordnung. Und natürlich macht man für Dessous Werbung in Dessous - es wäre völlig unsinnig, einen BH über ein T-Shirt anzuziehen. Einer Frau darf in einer Frischkäsewerbung sogar Käse in den Ausschnitt fallen. Problematisch wird es erst, wenn leichtbekleidete Frauen mit Produkten in Verbindung gebracht werden, mit denen sie nichts zu tun haben.

Welche Werbung nervt Sie am meisten?

Spontan fällt mir ein Frankfurter Lebensmittelhändler ein, der mit einer halbnackten, nassen Frau für seine Frische wirbt. In diesem Fall gab es eine Rüge des Werberates. Oder der Klassiker: Große Brüste für Baugerüste. Sexistische Werbung von Handwerksbetrieben wird uns immer wieder gemeldet.

Sie machen Übeltäter jetzt auf einer Deutschlandkarte sichtbar. Wäre es nicht effektiver, Sexismus mit Humor statt mit dem erhobenen Zeigefinger zu bekämpfen?

Das ist kein Pranger, wir sammeln gemeinsam mit dem Familienministerium zwei Jahre lang Daten, um zu erfahren, wo wir sensibilisieren müssen. Auch mit witzigen Kampagnen.

Der Smoothie-Hersteller True Fruits hat im vergangenen Jahr mit dem Slogan "Oralverzehr: Schneller kommst Du nicht zum Samengenuss" geworben. Wie witzig fanden Sie das?

Nicht nur ich fand die Kampagne geschmacklos, viele Menschen haben sich aufgeregt. Aber sie war nicht sexistisch. Hier wird niemand diskriminiert. Wir müssen sie also aushalten. Ich will Sexismus bekämpfen, aber ich will kein Land, in dem jegliche Form von Sexualität verboten ist.

Noch ein Beispiel: Lady Gaga bewarb ihr Parfum mit einem Nacktfoto von sich selbst. An ihrem Körper halten sich kleine Männer fest. Problematisch?

Überhaupt nicht. Ein Parfum hat etwas mit Sinnlichkeit zu tun. Das Spiel mit nackter Haut ist hier produktbezogen. Und es ist ein Unterschied, ob Tom Ford eine Frau mit Parfum zwischen den Brüsten und typischem Blow-Job-Mund zeigt oder ob Lady Gaga sagt: Das bin ich und ich will nackt werben.

Der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist da radikaler. Er verbietet auf bezirkseigenen Werbeflächen auch Werbung für Diäten, Damenrasierer und Faltencremes.

Das halte ich für kontraproduktiv. Laut deren Kriterien darf eine Frau auf einem Plakat nicht weniger anhaben als der Mann. Natürlich kann Friedrichshain-Kreuzberg auf seinen eigenen Plakatwänden zeigen, was es will. Aber bundesweit müssen andere Kriterien gelten.

Was geht für Sie nicht?

Wenn Frauen als verfügbar dargestellt werden. Wenn etwa zum Auto eine erotisierte Frau gezeigt wird, die suggeriert: Mich gibt es als Give-Away dazu. Wenn Stereotype nur auf ein Geschlecht bezogen sind. Wenn Siemens einen Herd herausbringt und auf dem Foto dazu sieht man eine Frau, ist das nicht schlimm. Aber wenn auf zehn Bildern zehn Frauen am Herd stehen, ist das schlimm. Oder der Spruch dazu: Frauen gehören an den Herd. So etwas gibt es tatsächlich noch. Manchmal ist Schönheit auch das einzige Charakteristikum einer Frau. Decathlon hat gerade eine Kamera herausgebracht. Der Slogan dazu: "Fast so schön wie ihre Frau, aber mit Ausknopf".

Das Modeunternehmen Suistudio macht gerade Reklame mit Frauen in teuren Anzügen. Der nackte Mann in der teuren Wohnung ist hier nur Schmuck oder Ablage. Ist das auch Sexismus?

Sexismus steht immer in Relation zur Gesellschaft, in der er stattfindet. In einer Gesellschaft, in der Frauen noch nicht den Ton angeben, in der Männer nicht verfügbar sind, sind solche Bilder nicht sexistisch. Die Nacktheit des Mannes stößt bei uns nicht auf eine Tradition der Ausbeutung. Im Gegenteil. Daran, dass mit nackten Frauen fast alles beworben wird, haben wir uns leider gewöhnt. Ein nackter Mann macht deutlich, wie absurd es ist, mit Nackten für ein Produkt zu werben, das nichts mit Nacktheit zu tun hat.

Ist Sexismus gegenüber Männern nicht möglich?

Doch. Etwas anderes ist es, wenn Männer als zu dusselig dargestellt werden, um eine Waschmaschine zu bedienen. Oder als gefühlsarm. Als Negativbeispiel fällt mir die vermeintlich witzige Kampagne von Almdudler ein. "Auch Männer haben Gefühle: Durst."

Was finden Sie daran problematisch?

Eine einzelne Kampagne ist kein Problem. Aber es gibt nicht nur die eine Kampagne. Männer sind in der Werbung fleischfressende Monster. Als liebevolle, gefühlvolle Menschen existieren sie nicht. Das beeinflusst die Zuschauer. Aber Jungs müssen nicht taff und cool sein und mit zwölf Jahren ein Sixpack haben. Sie dürfen auch mal schwach sein und heulen oder sogar schön und süß sein. Deshalb gehen wir mit unseren Kampagnen auch an Schulen, um aufzuklären.

Was ist schlimmer: Ein Stereotyp oder eine nackte Brust?

Die Brust ist nur dann schlimm, wenn die Werbung sexistisch ist. Platte Geschlechts-Stereotype dagegen fördern ein einseitiges Denken. Jedes Jahr im Frühling sehen wir überall den gleichen Frauentyp im Bikini: Jung, weiß, sehr dünn. Wir wollen darauf aufmerksam machen, wie diese Darstellung das Frauenbild von jungen Menschen prägt. Werbung und Gesellschaft sind wie Henne und Ei. Wir müssen deshalb der Werbung zeigen, dass es doof ist, solche Frauen- und Männerbilder zu verbreiten, und wir müssen an einer Gesellschaft arbeiten, die mehr Vielfalt zulässt.

Die Werbeindustrie hält die Selbstregulierung durch den Werberat für ausreichend. Warum übernehmen Sie dessen Aufgaben?

Der Werberat entscheidet selbst, was seine Aufgaben sind. Der britische Werberat hat vor Kurzem eine Studie in Auftrag gegeben, ob geschlechtsstereotype Werbung auf Kinder Auswirkung hat. Das Ergebnis war: Ja, hat sie. Nun will man dort solche Werbung reduzieren. Der deutsche Werberat reagiert nur auf Beschwerden. Immerhin ist er schneller in seinen Rügen geworden. Aber diese Rügen bewirken in den seltensten Fällen etwas. Im Gegenteil: Viele Firmen sind sogar stolz darauf.

Ernsthaft? Ist sexistische Werbung wirklich etwas, worauf man noch stolz ist?

Der Autovermieter Sixt hat gerade mit einer nackten, dicken Frau und einem "Pfui" darüber Reklame gemacht. Also mit Sexismus und Body Shaming. Aber das ist eine Ausnahme. Es hat sich schon etwas verändert. Die großen Agenturen werben kaum noch sexistisch. Sie haben Angst, dass der Gesetzgeber regulierend eingreift. Und sie gehen mit dem Zeitgeist der Großstadt.

Und wie sieht es auf dem Land aus?

Erste Auswertungen zeigen uns: Überall dort, wo Mittelständler ihre Werbung selbst machen, geht das regelmäßig schief. Es sind leider wirklich oft die Handwerker, die Würstchenbudenbetreiber, die KFZ-Mechaniker, die sexistisch werben. Vor allem im ländlichen Raum Süddeutschlands. Wie der Pannendienst, der zur leichtbekleideten Frau titelt: "Abschleppen ist genau dein Ding?" Auch kleine Städte und Parteien fallen oft negativ auf. Gegen deren Werbung kann der Werberat nicht einmal angehen.

Was wollen Sie tun?

Sexistische Werbung wollen wir gesetzlich verbieten. Zumindest wenn ein bestimmtes Maß an Diskriminierung überschritten wird. Genauso wichtig ist es, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Wenn Fide und Klaus sich in der Kneipe auf die Schenkel klopfen, weil wieder die nackte Frau auf dem Bierdeckel zu sehen ist, dann ist das nicht nur ihr Problem. Wir bekommen viele Zuschriften von jungen Frauen, die uns schreiben, wie sehr sie der alltägliche Herrenwitz in ihrem Dorf nervt. In Berlin ist der längst Tabu, auf dem Land nicht. Die Folge ist: Die Frauen ziehen weg und die Männer bleiben mit ihrem Bierdeckel und ihrem Frauenbild zurück.

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