Serien:Was guckst du?

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Serien anzusehen gehört für viele Paare zum Beziehungsalltag. Aber welche schaut man und auf welchem Rechner? In dieser Szene aus ihrem Film "Ich und du und alle, die wir kennen" plädiert Miranda July für ein duales System. (Foto: Alive Studio)

Fast jeder macht es, und viele brauchen immer schneller neuen Stoff. Höchste Zeit für eine kleine Etikette für Serienjunkies, ob als Gruppe, Paar oder Single: Was ist erlaubt, wo hört die Freundschaft auf?

Von Max Scharnigg

Dranbleiben!

Serien sind längst Distinktionsmerkmal der Popkultur geworden und unterliegen deshalb einem gewissen Trendfenster und auch Verfallsdatum. Natürlich kann und sollte man sich auch den alten und verpassten Kram ansehen, ist ja ein freies Land. Aber doch bitte nicht mehr in eine seriöse Debatte über die Netflix-Highlights im März mit: "Also, ich finde ja "Six Feet Under" ganz toll!" einsteigen. Diese Serie ist fünfzehn Jahre alt. Und auch wenn sie offenbar immer noch als Einstiegsdroge kursiert, gibt's es dazu nichts Neues mehr zu sagen, höchstens Eltern dürfen damit noch ankommen. Ähnliches gilt für "Mad Men" und "Sopranos". Man hat ja auch nicht gerade das iPhone entdeckt. Und falls doch, behält man diesen Umstand für sich. Wer sich nicht für Serien interessiert - keine Schande, da bleibt viel Tagesfreizeit, um Gutes zu tun. Bemühte Einwürfe à la "Dieses Seinfeld war immer ganz gut" verkneife man sich. Gleichzeitig ist ermüdend, mit der eigenen Superkompetenz zu protzen und immer nur Orchideenserien zu propagieren ("Dirty Sexy Money", "You are the worst", "The Detectorists"). Dafür gibt es Foren im Netz!

Kein Gruppenzwang

Allein in den USA wurden im Jahr 2015 mehr als 1 400 Serienformate gezeigt. Jeden Monat erscheinen neue Produktionen, die Zeiten, in denen man voraussetzen konnte, dass alle annähernd das Gleiche schauen, sind seit "Friends" vorbei. Schon möglich also, dass man in diesem Überangebot die drei besten Serien aller Zeiten gefunden hat. Nur, wie den anderen am Tisch diese Magie jetzt nahebringen? Schlechteste Idee: epische Nacherzählung plus szenische Darstellung der witzigsten Pointen. Funktioniert genauso schlecht wie früher die Versuche, beste Stellen aus Lieblingssongs vorzuspielen. Dann lieber den anderen die Serie leihen oder erst mal den Trailer-Link schicken. Und danach nicht groß nachhaken. Nichts ist lästiger, als sich etwas als Pflichtübung ansehen zu müssen. Wenn die empfohlene Serie für die anderen auch der Knaller war, werden sie sich für den Hinweis bedanken. Erfahrungsgemäß finden aber selten zwei Freunde die gleichen Serien super. Damit muss man leben. Von Zerwürfnissen, nur weil man sich nicht auf ein Urteil über "Entourage" einigen kann, ist jedenfalls abzuraten.

Nicht zu viel zappen

Wer in diesen Zeiten Kunde eines der großen Streaming-Dienste wird, kann sich entweder einen Monat frei nehmen und dann einen groben Überblick verschaffen oder aber eine Tugend trainieren: Selbstbeherrschung. Wer Zugang zu einem großen Weinkeller hat, probiert ja auch nicht mal eben alle Flaschen durch. Also nicht alles anreißen und nach eineinhalb Folgen liegen lassen, denn das verwässert das Sehvergnügen und führt zu einem Blähkopf, dem am Ende gar nichts mehr gefällt. Laut einer Netflix-Studie, die das Zappverhalten der Kunden auswertet, beginnt bei Deutschen im Durchschnitt zwischen der dritten und vierten Folge die Sogwirkung. So viel Zeit sollte man also jeder Produktion einräumen und zwar zu möglichst perfekten Bedingungen (bequeme Kleidung, keine Termine, riesiger Bildschirm, Rotwein). Hat sie einen immer noch nicht gepackt, kann sie zurück ins Regal. Dann aber bitte erst mal Kopf freimachen für was Neues, ein bisschen geistig durchlüften. Oder zum Neutralisieren ein paar Folgen "How I Met Your Mother" schauen. Auch wenn man es kann - das verlockende Durcheinandergucken von drei bis fünf Serien pro Abend bringt einen um den guten Rausch, und am nächsten Morgen hat man eher einen Serienkater als eine neue Lieblingssendung.

Verbotene Floskeln

• "Serien sind ja heute das bessere Kino."

• "Bei ,Mad Men' bin ich irgendwann ausgestiegen. Da passiert doch gar nix."

• "Da ist wirklich jede Staffel gleich gut."

• "Ich schau nicht ,Game Of Thrones', weil ich einfach nicht auf Fantasy stehe." bzw. "Obwohl ich eigentlich nicht auf Fantasy stehe, bin ich voll auf GoT!"

• "Das muss man im Original sehen."

• "Maggie Smith ist so toll."

• "Der Vorspann ist ja schon eine eigene Kunstform."

• "Die deutschen Sender kriegen das ja leider einfach nicht hin."

• "Das US-Netflix ist viel besser!"

• "Das will ich als Nächstes schauen."

Alles zu seiner Zeit

Auch wenn es gerade spannend ist: Nicht jeder Abend ist ein blutiger "Game of Thrones"-Abend, nicht jeden Samstagnachmittag erträgt man das Grinsen von Aziz Ansari in "Master Of None". Erfahrene Seriengucker haben für jede Stimmung die richtige Serie in der Hinterhand und halten es wie ein DJ mit seinem Plattenkoffer. Es gibt etwa gute Betthupferl-Serien ("Flaked", "Mozart In The Jungle", "Episodes", "Transparent"), solche, die von einem harten Tag ablenken ("Bosch", "Orange Is The New Black", "The Walking Dead", "The Inbetweeners") und welche, die einem wieder Vertrauen in die Welt geben ("Moone Boy", "The West Wing", "Master Of None"). Auswahl ist also genug, aber die Frage, was geschaut werden soll, verlangt einen mündigen Endverbraucher an der Fernbedienung. Bei Paaren dauert die Einigung deshalb auch gerne so lang wie viermal der Vorspann von "Flesh And Bone" und endet nicht selten mit einer typischen Kompromiss-Serie ("Bored to Death", "Suits").

Als Paar

Zusammen Serien zu schauen ist bei Feierwilligen und Singles verpönt, aber realer Beziehungsalltag. Es wirft einige Fragen auf.

Ist es okay, die gemeinsame Serie auch mal alleine weiterzugucken?

Nein, bei episch aufbauenden Serien ist das eine Gemeinheit. Bei Sitcoms ohne große Spannungsbögen ist es okay.

Darf man dem anderen eine Serie verbieten, weil sie einem selbst nicht gefällt?

Nein, aber er sollte sich dafür dann einen eigenen Ort und Zeit suchen. Diese Binnenbegeisterung ist wie andere einseitige Hobbys zu behandeln, nämlich mit beiderseitiger Rücksicht. Dasselbe gilt für Serien, deren Ausgang der eine bereits kennt und der andere noch nicht. Vorweg genommene Hinweise sind kein Kavaliersdelikt!

Übrigens: Wer mit DVDs schaut, kennt die Problematik der Menümusik, deren Endlosschleife zum Sexsoundtrack wird. Dagegen ist nichts zu sagen, aber die prägende Wirkung dieses Jingles sollte nicht unterschätzt werden. Manche Paare haben sich damit "Gilmore Girls" für immer verdorben.

Zu Ende schauen!

Es ist vertrackt. Die Lieblingsserie wird abgesetzt, das Ende nur noch acht Folgen entfernt. Nicht wenige beginnen in so einer Situation mit einer Verzögerungstaktik und teilen sich die verbliebenen Happen ein wie Polarforscher ihren Proviant. Am Ende versagen sie sich die letzten zwei Folgen ganz, um sich den Abschluss offenzuhalten. Verständlich, aber nicht wirklich klug. Kein Ende ist schließlich ergreifender als eines, das man mit der Epik der ganzen Serie im Rücken erreicht. Um diese Wucht bringt man sich und das Finale aber, wenn man es hinauszögert oder gar nicht ansieht. Der Tod gehört zum Leben, auch der Serientod!

Sortieren!

Mit der Zeit sammelt der ambitionierte Serienfreund einen Haufen loser Handlungsstränge an. Schließlich muss er warten, bis die nächste Staffel "Kimmy Schmidt" (von 15. April an!) oder "Downton Abbey" erscheinen, und manchmal verliert man eben auch mittendrin den Faden und hat ein halb fertiges Gemälde an der Wand. Das erfordert ein gewisses Maß an Logistik - wo hat man welchen Stand, wo geht es wann weiter? Für Bücher gab es Lesezeichen, die Streamingdienste bieten digitale Einmerker. Seiten wie Serienjunkies.de helfen, den Überblick zu behalten. Nur wer noch mit DVDs oder Ordnern am PC hantiert, muss sich vielleicht handschriftlich Notizen machen.

Bitte nicht!

• Schauen, wenn der Stream ruckelt oder der Download-Puffer nicht groß genug ist. Nichts ist unbequemer als die ständige Furcht vor dem eingefrorenen Bild.

• Beim gemeinsamen Schauen im Bett das Laptop nur in die Decke montieren. Führt nur dazu, dass beide verkrampft liegen und ständig aus statischen Gründen an der Decke rumgezupft wird. Feste Unterlage hilft!

• Mitten in der Staffel von OV auf deutsche Synchronisation umschalten.

• "Gilmore Girls" mit "Golden Girls" verwechseln.

• Den Sterne-Urteilen der anderen auf AmazonPrime oder Netflix glauben.

Nicht übertreiben

Binge-Watching, bei dem man eine Staffel am Stück schaut, mag manchmal die richtige Therapie sein. Normalerweise ist aber eigentlich spätestens nach drei Folgen von egalwas eine Sättigung erreicht. Man zwinge sich nach dieser Strecke zumindest mal ans offene Fenster. Oft schaut man nämlich nur aus akuter Sofaschwere immer weiter. Nicht vergessen: Man bezahlt seine Serienbildung mit Lebenszeit. Wie viel genau, rechnet die Seite tiii.me aus. Wer etwa "Californication" durchgeschaut hat, hat damit exakt sechs Tage, zehn Stunden und 42 Minuten vor dem Bildschirm verfeuert. Würde Hank Moody nie machen.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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