Balkonnutzer-Typologie:Wer darf was und wenn ja, wie lange?

Balkone in der Abendsonne

Balkone in Hamburg

(Foto: dpa)

Auf deutschen Balkonen tummeln sich feierwütige Studenten, exzessive Gärtner, Sichtschutzkonstrukteure und Freiluftliebhaber. Dürfen die das?

Von Tanja Mokosch

Die Geranien gehen ein, die Tomate lässt die Blätter hängen und die Plastiksitzgarnitur sieht kaum einladend aus? In der Serie "Balkonzeit" zeigen wir Ihnen, wie Sie Ihre Oase an der frischen Luft richtig nutzen und mit einfachen Tricks zu etwas Besonderem machen - mit Fischteich, Chill-Ecke oder Gemüsebeet.

Die Tür auf und nur ein Schritt. Barfuß oder in Socken, ganz Korrekte vielleicht noch in Hausschuhen, und dann: Land- oder Stadtluft, Ruhe oder Straßenbahnlärm, Sonne oder Schatten, aber in jedem Fall ein Stückchen Draußen. Nur ein kleines Stück, umrandet von bauchnabelhohen Geländern und in Richtung Himmel begrenzt, durch das Draußen des Nachbarn von obendrüber.

Der Balkon ist das Freigehege des Großstädters, ein an die Wohnung angebauter Auslauf, der auf magische Weise das Nichtstun legitimiert. Hier bin ich draußen, hier darf ich sein. Und stundenlang Frühstücken. Oder lesen. Oder entspannen. Das kennt der Stadtbewohner sonst nicht und deswegen kann er in dieser Komfort-Zone schon einmal über die Stränge schlagen.

Aber: Auch wenn es sich so anfühlt, auf dem Balkon ist nicht alles erlaubt. Der Bewohner muss auf diejenigen Rücksicht nehmen, an die er in Momenten der Ruhe am allerwenigsten denken mag: Nachbarn und Vermieter. Worauf Balkonnutzer achten müssen, um sich bei aller Freiheit keinen Ärger einzuhandeln, weiß Gregor Schliepe, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Eine Typologie.

Der Partystudent

Er betritt den Balkon in Boxershorts und ausgelatschten Sneakern, denn barfuß traut sich hier nur ein Fakir drauf. Scherben, Asche, Kippen, Kronkorken und ein bisschen Bier bedecken die vier Quadratmeter grauen Betons. In einer Ecke stehen zwei Bierkisten, die als Sitzgelegenheiten dienen sollen oder zumindest mit dieser Begründung seit etwa zwei Jahren auf dem Balkon verharren, ohne dass jemand sich dazu verpflichtet fühlt, sie wegzubringen. Inzwischen sind sie voll mit Flaschen, Dosen und leeren, aufgeweichten Grillkohlesäcken. In einer anderen Ecke steht ein runder Grill auf drei Beinen. Die Kohle von gestern Abend liegt noch darin, der Partystudent schnappt sich ein kaltes Würstchen vom Rost - zum Frühstück. Er beißt davon ab, streckt sich, guckt sich noch einmal um und marschiert zurück in sein Zimmer.

Darauf müssen Partystudenten auf dem Balkon achten

Grillen: "Das Grillen auf dem Balkon kann - zumindest für den Holzkohlegrill - im Mietvertrag wirksam generell untersagt sein", sagt Gregor Schliepe. Sollte das der Fall sein, urteilten die Gerichte dennoch mit der Tendenz, dass Grillen nicht grundsätzlich verboten werden könne. "Zwischen drei und sechs Mal pro Saison soll erlaubt sein. Auch darüber, ob Holzkohle erlaubt ist, besteht keine Einigkeit." Den Geruch von Würstchen und Fleisch müssten die Nachbarn, weil er mit üblichem Küchengeruch vergleichbar sei, dulden. Bei Holzkohlequalm und Grillanzündergeruch sieht das anders aus: "Wer sich diese Konfrontation ersparen möchte, steigt auf einen Elektrogrill um", sagt Anwalt Schliepe.

Feiern: Für Partys gelten die gleichen Regeln wie in der Wohnung, sagt Schliepe: "Ab 22 Uhr ist Nachtruhe, der Geräuschpegel sollte auf Zimmerlautstäke absinken. Da dem Balkon die schützenden Wände fehlen, und deshalb auch Gespräche in 'Zimmerlautstärke' noch vom Nachbarn gut wahrgenommen werden können, sollte der Balkon nach 22 Uhr nicht mehr oder jedenfalls nur noch still - zum Beispiel für eine vereinzelte Zigarette - genutzt werden."

Rauchen: "Das Rauchen verliert ja - beflügelt durch die Nichtraucherschutzgesetze - langsam an gesellschaftlicher Akzeptanz", sagt Schliepe. Trotzdem könne es auf dem Balkon bislang nicht verboten werden. "Kippen oder Zigarettenasche haben aber auf dem darunter liegenden Balkon nichts zu suchen", so der Anwalt.

Gärtnern und Sichtschutzbauen

Der Hobbygärtner

Der Hobbygärtner kann seinen Balkon nur noch auf Zehenspitzen betreten, weil zwischen Blumentöpfen, -Kästen und Beeten kaum noch Platz ist. Die Kräuter am seitlichen Geländer gießt er vom Küchenfenster aus und bei den Tomaten schlägt er sich regelmäßig den Kopf an der Blumenampel aus Ton und voll pink blühender Petunien. Die baumelt auf Stirnhöhe von der Decke. Vor Kurzem hat der Hobbygärtner in einer Special-Interest-Zeitschrift von "Vertical Gardening" gelesen. Damit kann man kleine Gemüseplantagen an die Wand schrauben - dem einzigen Ort auf seinem Balkon, wo noch nichts wächst, außer dem obligatorischen Efeu. Das muss er bald mal ausprobieren.

Darauf müssen Hobbygärtner auf dem Balkon achten

Löcher bohren: "Blumenkästen dürfen auf dem Balkon - auch an der Außenseite der Brüstung - aufgestellt und befestigt werden. Der Vermieter kann aber verlangen, dass diese ausreichend gesichert sind, also auch bei Sturm nicht vom Geländer fallen", sagt Schliepe. Dafür dürfe der Mieter Löcher in die Wände bohren, es sei denn, an der betreffenden Stelle befindet sich eine Wärmedämmung. Das muss der Mieter vorher abklären. "Löcher in Boden oder Decke sind in der Regel tabu, da hierdurch die Abdichtung beschädigt werden könnte."

Blumenranken: Bei Blumenranken ist Vorsicht geboten, wenn sie den Putz beschädigen. "Gegen ein kleines Rankgitter wird der Vermieter aber nichts unternehmen können, wenn die Pflanze regelmäßig zurückgeschnitten wird", sagt Schliepe.

Der Schüchterne

Der schüchterne Balkonnutzer lässt im Winter um vier Uhr nachmittags die Rollläden runter, weil er sich sonst beobachtet fühlt, wenn er das Licht anmacht. Wenn er an Wohnungen im Erdgeschoss vorbeiläuft und neugierig durchs Fenster glotzt, sagt er: "Also, das könnte ich nicht, so wohnen" An sein Balkongeländer hat er gleich nach dem Einzug mit Kabelbinder eine Bambusmatte angebracht. So sehen die Nachbarn ihn nicht, wenn er auf dem Liegestuhl in "Fifty Shades of Grey" schmökert. Seit das Haus gegenüber saniert wurde, ist er aber durch höher liegende Balkone nicht mehr vor Blicken geschützt. Deshalb überlegt er, sich eine Markise zuzulegen. Bis dahin hängt er mit Wäscheklammern Tücher ans Katzennetz. Die reißt der übermutige Stubentiger aber regelmäßig wieder herunter. Seine Häschen sind da pflegeleichter, vor allem im Sommer, wenn ihr Käfig auf dem Balkon stehen kann.

Darauf müssen Schüchterne auf dem Balkon achten

Sichtschutz: "Ein 'unauffälliger Sichtschutz', zu dem die genannten Bambusmatten gehören dürften, ist erlaubt. Der Mieter darf aber nicht den gesamten Balkon 'zuhängen'", sagt Rechtsanwalt Schliepe. "Schwieriger wird es beim Thema Markise. Auch hier gibt es kein generelles Verbot, aber eine Markise überschreitet viel schneller die Schwelle zur Auffälligkeit und ändert den optischen Gesamteindruck des Hauses. Außerdem kommt es darauf an, wie aufwändig sich der Anbau gestaltet." Eine bauliche Veränderung der Mietsache müsse der Vermieter nicht dulden. Wenn es sich um eine vermietete Eigentumswohnung handelt, wird die Sache noch komplizierter, weil dann strengere Regeln gelten. Schliepe rät zum Sonnenschirm.

Kleintiere: Kleintiere dürfen in der Wohnung und auch auf dem Balkon nicht verboten werden, sagt Schliepe. "Die Grenze ist dort zu ziehen, wo die Nachbarn - sei es durch Geräusche oder durch Gerüche - belästigt werden." Ein unauffällig angebrachtes Katzennetz werde der Vermieter in der Regel nicht verbieten.

Schränke und romantische Dates mit offenem Ende

Der Pragmatiker

Für den Pragmatiker ist der Balkon keine Ruheoase, kein Gemüsebeet und keine Party-Location, sondern schlicht: Platz. In ihrer ganz eigenen Sprache nennen sie den auch gerne "Stauraum". Auf den wenigen Quadratmetern steht ein mindestens zwei Meter tiefer Schrank und wenn der dann ein bisschen ins Fenster hinein ragt, ist das eben so. Neben dem Schrank hat der Pragmatiker einen mehrstufigen Wäscheständer aufgestellt, dessen einzelne Ebenen sich wiederum auf das dreifache der ursprünglichen Fläche ausklappen lassen - wie praktisch! Unter dem Wäscheständer steht ein Schuhregal - für die miefenden Laufschuhe. Davon hat der Pragmatiker schon mal mehrere Paare. Joggen ist einfach so ein effektiver und gleichzeitig unkomplizierter Sport.

Darauf müssen Pragmatiker auf dem Balkon achten

Der Pragmatiker hat wenig zu befürchten, erklärt Gregor Schliepe: "Ein Streitfall, in dem sich Nachbarn über stinkende Schuhe auf dem Balkon beschwert hätten, ist mir bisher nicht bekannt."

Möbel: Grundsätzlich könne ein Mieter auf einem Balkon auch Möbel abstellen, und zwar nicht ausschließlich Tisch oder Stühle, sondern eben auch einen Schrank. "Im Einzelfall wird der Vermieter nur dann etwas dagegen machen können, wenn dieser Schrank so groß und auffällig ist, dass sich damit die optische Erscheinung des Hauses erheblich ändert", sagt Schliepe.

Wäschetrocknen: Auch Wäschetrocknen dürfte kein Problem darstellen, solange Socken, Unterwäsche, Jeans und T-Shirts dabei nicht über die Balkonbrüstung hinausragen. "Dann ist das Wäschetrocknen sogar dann auf dem Balkon erlaubt, wenn der Mietvertrag ein Wäschetrocknen 'in der Wohnung' ausdrücklich untersagt."

Der Romantiker

Ein Tisch und zwei Stühle, beides aus verschnörkeltem Gusseisen, ein Meer aus Windlichtern, alles dekoriert für ein exquisites Abendessen. So sieht der Romantiker seinen Balkon am liebsten. Blumen kennt er nur in Vasen und sein Gemüse holt er täglich frisch vom Wochenmarkt. Da genießt er bei einem Latte Macchiato am italienischen Stand noch ein Stündchen die nette Atmosphäre, bevor er nach Hause geht und ein Gericht aus seinem neuen Kochbuch zaubert - "Tausend und ein Mal indisches Curry". Wenn der erwartete Gast um Punkt sieben an der Tür klingelt, steht der Romantiker frisch geduscht zum Öffnen bereit. Die Schürze hat er sich aber trotzdem noch einmal übergeworfen, um dann sagen zu können: "Mein Gott, wie sehe ich denn aus? Komm rein, komm rein. Ein Glas Wein?"

Darauf müssen Romantiker auf dem Balkon achten

Essensgeruch: Der Romantiker ist ohnehin ein ruhiger Zeitgenosse. Aufpassen muss er höchstens, wenn das Curry einmal zu streng riecht. Normale Essengerüche müssen von den Nachbarn zwar hingenommen werden, sagt Schliepe, "eine Ausnahme könnte aber bestehen, wenn die Gerüche aufgrund der Besonderheit der zubereiteten Speisen besonders intensiv und aufdringlich sind."

Sex: Und noch eine Sache darf der Romantiker nicht vergessen, sagt Anwalt Gregor Schliepe: "Mieter haben auf ihre Nachbarn Rücksicht zu nehmen und dürfen sie nicht über das allgemein übliche, 'sozialadäquate' Maß hinaus belästigen." Sex vor Publikum werde allgemein nicht als sozial adäquat angesehen. Der allzu freizügige Mieter riskiere also, wenn die Nachbarn beim Geschlechtsakt zusehen oder allzu deutlich zuhören könnten und sich dadurch belästigt fühlen, eine Abmahnung oder sogar eine Kündigung.

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