Seniorinnen als Models:Alter vor Schönheit

Seniorinnen als Models: Jacky O'Shaughnessy wirbt für American Apparel.

Jacky O'Shaughnessy wirbt für American Apparel.

(Foto: american apparel)

In der Modewelt sind wir es gewohnt, die Verlogenheit der Bilder hinzunehmen. Der Trend zu älteren Frauen wirkt erfrischend ehrlich. Doch auch sie werden instrumentalisiert, um uns zu manipulieren. Und sehen nicht zwangsläufig gut dabei aus.

Von Eva Meschede

Diese Reise geht in die schöne Klischeewelt der Werbung. In dieser Welt sitzen Familien in süßlicher Idylle, freuen sich über augenscheinlich köstliche Würste oder saftige Fertigkuchen; Bäuerinnen rühren schüsselweise frische Erdbeeren in Joghurt; Autos fliegen von magischer Navigation gesteuert durch Städte. Wir wissen, die Wurst und der Kuchen sehen schon im Supermarkt nicht so aus, wie das Foto uns weismachen will, vom guten Geschmack ganz zu schweigen. Wir haben auch gehört, dass Erdbeerjoghurt Spuren von Erdbeeren enthalten kann, im günstigen Fall. Und wenn es sich tatsächlich mal so anfühlt, als würde man mit dem Auto abheben, ist der Strafzettel nicht weit.

Wir sind es gewohnt, die Verlogenheit der Bilder hinzunehmen. Wenn wir doch darauf hereinfallen, etwa weil wir mal wieder hungrig in den Supermarkt spazieren und plötzlich wie bewusstlos diese Wurst in den Einkaufskorb packen, dann haben wir es vorher gewusst, dass sie uns nicht schmecken wird.

Heute sind deutlich ältere Models keine Ausnahme mehr.

Aber es gibt die Ausnahmen, da möchte man einfach nicht glauben, dass man auch diesmal für dumm verkauft werden soll. Dass die Tricks, um Aufmerksamkeit zu buhlen, vielleicht nur subtiler sind. So ist der erste Impuls beim Blick auf die aktuelle Onlinekampagne des US-Textilriesen American Apparel: Wow, na endlich! Jacky O'Shaughnessy präsentiert die neue Wäsche-Kollektion des Labels. Sie ist schön, sie hat Charisma. Volle Lippen, dicke lange Haare, ein apartes Gesicht.

Das Model ist 62 Jahre alt und sieht auf den Fotos keinen Tag jünger aus, ihre Wallemähne ist grau, die Falten sind sichtbar. "Sexy hat kein Verfallsdatum", hat jemand dazu getextet. Wenn das mal keine positive Nachricht ist. Die Reaktionen sind berechenbar: Mutig, authentisch, richtig! Ein erfrischendes Statement gegen Jugendwahn! Jetzt endlich wird anerkannt: Jede Frau kann schön sein, sogar die alten. Der britische Guardian sieht Zeichen für einen kulturellen Wandel: "Models zwischen 60 und 80 Jahren mischen das Mode-Business auf."

Tatsächlich gab es noch nie so viele Ältere im Geschäft mit der Schönheit. Galt früher einmal die 40 als oberste Grenze, ist heute ein deutlich höheres Alter keine Ausnahme mehr. Aktuell ist die 70-jährige Cathérine Deneuve als Repräsentantin für die Edel-Taschen von Louis Vuitton unterwegs, Marc Jacobs holte die 64-jährige Jessica Lange für seine Kosmetiklinie, Charlotte Rampling wird im Herbst mit 69 das Gesicht der Beautymarke Nars, die 76-jährige Jane Fonda wirbt für L'Oréal, ebenso Andie MacDowell. Die ist zwar erst zarte 56, aber schon mehr als 25 Jahre beim Kosmetikkonzern unter Vertrag - da behaupte noch einer, dass sich gutes Aussehen nur befristet versilbern ließe.

Zweitkarriere in der zweiten Lebenshälfte

Auch Jacky O'Shaughnessy stützt den Trend mit einer passenden Geschichte. Sie habe schon mit 13 Jahren versucht, Model zu werden, doch die Agenturleute schickten sie nach Hause: Sie möge sich erst mal die Nase richten lassen und ein paar Pfund abnehmen. O'Shaughnessy wurde lieber Schauspielerin. Um dann mit fast 60 von einem Modelscout in einem Restaurant in Greenwich Village entdeckt zu werden. Noch nie standen die Chancen besser, in der zweiten Lebenshälfte Model zu werden, behaupten auch etliche Chefinnen von Best-Ager-Agenturen, die Älteren würden nicht mehr nur für Treppenlifte und Gebissreiniger gebucht. Sie dürften immer öfter auch richtige Mode vorführen.

Der Grund für den Oldie-Boom in der Jugendecke ist, dass schlaue Kreative, bestätigt von superschlauen Marktforschern, Überraschendes entdeckt haben: Frauen lassen sich leichter zum Shoppen verführen, wenn die Werbeprotagonistinnen ungefähr ihr eigenes Alter reflektieren. Ein Teenagergesicht auf dem Faltencreme-Topf wirkt nicht sehr überzeugend auf 60-Jährige. Gleichzeitig ist auch kaum zu erwarten, dass junge Frauen für eine Anti-Aging-Creme einen Hunderter locker machen oder für eine It-Bag womöglich sogar einen Tausender.

Das Geld für solchen Luxus haben die sogenannten Golden Ager, und weil es davon in der alternden Gesellschaft immer mehr gibt, werden sie nun als Kunden der Zukunft umworben. Sogar die seit Jahrzehnten werberelevante Zielgruppe ist in der Diskussion: Waren bisher nur Menschen zwischen 14 und 49 Jahren für die Verteiler der Anzeigenbudgets interessant, fragen die sich jetzt, ob Leute jenseits der 50 tatsächlich nur das kaufen, was sie immer schon gekauft haben, oder ob sie womöglich auch offen für Neues sind und damit beeinflussbar durch Anzeigen. "Konsum ist entscheidender als Alter", finden immer mehr Leute in der Branche.

Glattgebügelt, gelasert, gebotoxt. Warum auch nicht?

Der Content, wie so schön jeder Inhalt heißt, wird gerade angepasst. Im Hochglanz von Fashion und Beauty sehen wir jetzt die vielen wunderschönen Schauspielerinnen im Rentenalter wieder. Natürlich gibt es da auch was zu nörgeln: Die sind doch bearbeitet mit dem vollen Programm der Photoshop-Kunst, mit Weichzeichner glattgebügelt, gelasert, gebotoxt. Warum auch nicht? Man sieht ja auch nie die Aromastoffe, die nach Erdbeeren schmecken und deshalb in den Joghurt gestreut werden. Und können Autos wirklich fliegen?

Man kann es aber natürlich auch so sehen, dass erwachsene Frauen, die bisher vor allem von dürrer Jugend unter Druck gesetzt wurden, nun auch noch mit der strahlenden Schönheit der Vorzeige-Alten konkurrieren müssen. Einige Kritikerinnen befürchten, dass junge Hungerhaken einfach durch alte ersetzt werden.

Schlank und begehrenswert bis ans Lebensende

Kampagnen-Star Jacky O'Shaughnessy gießt ebenfalls Öl in diesen Brandherd: Sie sei natürlich nicht einfach von selbst so schön geblieben, sagt sie, sie habe immer an sich gearbeitet. Die Götter Obst, Gemüse und Sport haben es ihr möglich gemacht. Und natürlich niemals rauchen und trinken! Super, wer hätte das gedacht.

Umkehrschluss: Wer mit Anfang 60 scheiße aussieht, ist selbst schuld. Weil er nicht ausreichend Beeren und Karotten gegessen, nicht genug Pilates gemacht, womöglich Zigaretten und Alkohol in sein Leben gelassen hat. Wenn im Schönheitsgeschäft jetzt die Altersgrenze fällt, müssen Frauen dann bis ans Lebensende versuchen, schlank, einigermaßen straff, sexy und begehrenswert zu sein? Die Option, eine runde, gemütliche Oma zu werden, wäre damit vom Tisch. Wollen wir das?

Findet man die Frau in der Spitzenunterwäsche nur einfach mutig - oder wirklich attraktiv?

Wer jetzt die Begeisterungsstürme und Bravo-Rufe für Jacky O'Shaughnessy in den Blogs und sozialen Medien verfolgt, den beschleichen irgendwann Zweifel, ob das eigentlich die ganze Wahrheit ist. Der Gedanke, der irgendwann in einem auftaucht (ob man nun will oder nicht), ist nämlich der: Findet man die ältere Frau in der Spitzenunterwäsche nur einfach mutig - oder wirklich schön?

O'Shaughnessy hat in einer Zeitung darauf geantwortet: "In einer Morgenshow wurde gesagt, dass es geschmacklos sei, eine Frau in meinem Alter in dieser Position zu sehen. Das war die ungezügelte Altersdiskriminierung." Und das war die politisch korrekte Replik darauf. Subtext: Wer dieses Bild nicht ästhetisch findet, gehört zu den unemanzipierten Spießern, den diskriminierenden Gestrigen, die älteren Frauen das Sexysein verbieten, ihnen die Miniröcke, die High Heels und die Bikinis wegnehmen wollen. Aber darum geht es hier eigentlich gar nicht.

Schauen wir uns das Foto noch einmal an. Die American-Apparel-Kampagne hat mit allen anderen Werbefeldzügen gemein, dass sie strategisch inszeniert wurde. Auf solchen Fotos wird nichts dem Zufall überlassen, ein größeres Team hat daran stundenlang gearbeitet. Und da kann man schon mal die Frage stellen, warum eine schöne Frau eigentlich so unvorteilhaft präsentiert werden muss. Es reicht offenbar nicht, dass der 60-jährige Busen in einen engen Bandeau-BH gequetscht worden ist. Es muss auch noch eine Brustwarze durch die Spitze blitzen.

Man ahnt regelrecht den Reflex des Fotoassistenten, der ein wenig Licht vom schlappen Bauch nehmen will, und die Unruhe der Make-up-Artistin, die gern etwas Körper-Puder über die blauen Adern an den Beinen legen würde. Sie alle durften das diesmal nicht. Im Bemühen, das Model alt aussehen zu lassen, wurde an der Grenze zur Würdelosigkeit kalkuliert. Jacky O'Shaughnessy ist instrumentalisiert worden für eine Kampagne, an die sich Leute unbedingt erinnern sollen.

Wohl kaum möchte der Konzern seine Dessous auf diese Weise an die goldene Zielgruppe bringen, die kaufen die pastellige Teenie-Wäsche ohnehin nicht. Es geht um Provokation und ein cooles Image, und der Trend, mit Älteren zu werben, passt da gut ins Konzept.

"Sexy hat kein Verfallsdatum"? Auf diesem Foto eindeutig doch. Dann lieber junge Hochglanzbeautys oder Photoshop. Das ist ehrlicher.

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