Senior Models:Verschämtes Verwelken? Nein - zweite Blüte

Senior Models: Die Schriftstellerin Joan Didion mit einer sehr großen Sonnenbrille von Céline.

Die Schriftstellerin Joan Didion mit einer sehr großen Sonnenbrille von Céline.

(Foto: Céline)

Werbung mit "Senior Models" hat in der Schönheitsindustrie einen festen Platz. Ein Triumph, eine Revolution? Schön wär's.

Von Anne Goebel

Das Entscheidende in Bruce Webers Werbeclip "Better than ever" für das amerikanische Luxuskaufhaus Barneys passiert in Sekunde 39. Eine Blondine, umringt von Männern in ultraknappen Badehosen, hebt tänzerisch den Arm, es verrutscht der Träger ihres Hippiekleids - laszive Poolszene, ein unzählige Male reproduzierter Standard der Modefotografie. Doch dann beginnt etwas in dem makellosen Arrangement der Körper zu hängen.

Christie Brinkley, die Frau inmitten der Jungs, ist 62 Jahre alt, die nicht mehr ganz straffe Haut hinten an ihrem Oberarm gerät also ins Schwingen, für einen kurzen Augenblick. Dann wieder Totale auf Brinkleys ansonsten sehr elastische Erscheinung. Aber das genügte, um vor einem guten Jahr einen Sturm der Begeisterung noch weiter anzufachen: Endlich kommen die reifen Schönen zu ihrem Recht, die Diktatur der Jugend ist am Ende, Zeitenwende in der Mode!

94-Jährige Stilikone steuert durch einen Auto-Spot

2015 wird rückblickend als Triumph der "Senior Models" gefeiert, weil plötzlich überall nicht mehr ganz blutjunge Frauen mit nicht ganz so sehniger Figur auftauchten. Wenn man sich aktuelle Magazine und Kampagnen ansieht, scheint sich der Trend fortzusetzen. In der Swimsuit-Ausgabe der Zeitschrift Sport's Illustrated prangt eine Bikinidame mit schlohweißem Haar, und die 94-Jährige New Yorker Innenarchitektin und Stilikone Iris Apfel steuert mit Lederhandschuhen durch einen Auto-Spot. Da kann die zukunftsfrohe Frage doch nur heißen: Wer will diese Revolution noch stoppen?

Zweite Möglichkeit, man stellt die Gegenfrage. Passiert denn eine Revolution?

Zweifellos sind in den vergangenen Monaten mehr mittelalte oder gleich ganz alte Frauen im Bilderteppich der Fast-Fashion- und Luxusindustrie aufgetaucht als jemals zuvor. Das ewige Mädchen Winona Ryder, auch schon weit über vierzig, modelt für Marc Jacobs, Joni Mitchell erledigt den Job mit Schlapphut für Saint Laurent. Hysterische Begeisterung erntete die amerikanische Literatin Joan Didion auf einem formal unspektakulären Foto, das sie in ihrem Apartment mit einer Sonnenbrille von Céline zeigt.

Didion musste dafür natürlich nicht achtzig werden, sie konnte diese Pose schon mit fünfundzwanzig. Aber ist es nicht fabelhaft, wie gut eine viel zu große Sonnenbrille aussieht, wenn sie mit kühler Nonchalance getragen wird? Sogar die sogenannten Marken-Botschafterinnen in dem nun gänzlich oberflächlichen Beautysektor verändern sich, siehe Sharon Stone, Jahrgang 1958. Sie hält ihr Gesicht für ein Hautserum hin.

In der Kosmetikbranche wäre das folgende Szenario heute tatsächlich nicht mehr vorstellbar: Da wirbt ein Filmstar jahrelang für ein französisches Parfüm und wird eines Tages ausgemustert mit der Begründung, sie sei "zu alt" für den Job. 1996 ist das gewesen, Isabella Rossellini war damals schön, charismatisch und 44 Jahre alt. Es gab ein paar indignierte Presseberichte, etwas Geraune in der Branche - alles in allem ein Klacks gegen den Sturm, der heute losbräche, inklusive mittelgroßer Feminismusdebatte im Feuilleton und heroischer Hinrichtung der schuldigen Firma durch Artikel von Arianna Huffington.

Insofern: Ja, die Zeiten haben sich geändert. Alter hat nichts mehr von verschämtem Verwelken, es ist eine aparte zweite Blüte, manchmal sogar sexy. Wie schön. Und kein Marketingstratege lässt dieses Potenzial mehr ungenutzt. Deshalb ist Isabella Rossellini ja auch neulich als Werbegesicht zu Lancôme zurückgekehrt.

Jung und schlank bleibt Schönheitsideal

Senior Models: Mit der Schriftstellerin Joan Didion wirbt das Label Céline für eine sehr große Sonnenbrille.

Mit der Schriftstellerin Joan Didion wirbt das Label Céline für eine sehr große Sonnenbrille.

(Foto: Céline)

Nur darf man nicht so naiv sein zu glauben, dass die Mode samt beigeordneter Beautysparte der heiligen Dreifaltigkeit abgeschworen hat, die da lautet: "Im Namen der Jugend, der Schönheit und der Dünnheit". Diese Maxime bleibt für das Personal nämlich bestehen, für die Models, die angeheuerten Celebrities und ihr Gefolge, also uns. Modemagazine und Fashion Shows werden weiterhin fast ausschließlich von Frauen bevölkert, die nach einer unumstößlichen Formel superschlank, weiß und um die 20 sind.

Wenn nun, als Minderheit, auch Ältere in den erlesenen Kreis vorstoßen - wohlgemerkt: Ältere, die schön oder jedenfalls irgendwie sophisticated altern -, dann bedeutet das eine Erweiterung des Repertoires, aber noch lange keine Verkehrung der Regeln.

So enttäuschend es klingen mag: Die Mode, die sich selbst in gewohnheitsmäßiger Unbescheidenheit als innovativ, unkonventionell und wagemutig wahrnimmt, entfaltet diese Kraft nur noch selten. Revolution? Klar doch, sofern man es umstürzlerisch findet, wenn eine gut geölte Zeitmaschine nach dem Sixties-Revival auf das neue Hippie umstellt. Retro ohne Ende.

Gesichter mit Geschichte

Der Nostalgiefaktor ist beim Phänomen der neuen Alten nicht zu unterschätzen. Gesichter mit Geschichte stehen für eine diffuse Sehnsucht nach früher, als die Welt noch einfacher funktionierte. Oder für eine konkrete Epoche: Wenn Giorgio Armani in seiner aktuellen Frühjahr/Sommer-Kampagne die Models Eva Herzigová, Nadja Auermann, Yasmin Le Bon und Stella Tennant auf einem Foto vereint, dann ist das auch ein Wiedersehen mit guten alten Bekannten, den Heldinnen der Achtziger- und Neunzigerjahre.

(Bei dem Vierer-Foto ist der Vergleich mit Peter Lindberghs legendärem Vogue-Gruppencover von 1990 durchaus beabsichtigt.) Ihr Anblick erzeugt Wohlgefühl: Was für eine glamouröse, gleichzeitig beruhigend übersichtliche Ära das damals war, als eine Handvoll klar unterscheidbarer Supermodels die Szene dominierte!

Heute absolviert eine Armada körper- und gesichtsgenormter Mannequins Schauen und Shootings rund um den Globus nach immer irrwitzigeren Zeitplänen, die Umsätze müssen schließlich stimmen. Kein Wunder, dass nicht nur der wackere Armani nach vertrauten Gesichtern greift wie nach Ankern in unruhiger See - ein bisschen Storytelling und der Rückgriff auf die eigenen Mythen sind immer eine sichere Bank.

Alt beginnt bei 40

Balmain setzt ebenfalls auf die bewährten Schönheiten Claudia (Schiffer), Cindy (Crawford) und Naomi (Campbell), vereint in einem Arrangement aus Netzstoff und Fransen. Und bei den Pariser Schauen im März beklatschte die Branche Auftritte von Veteraninnen wie Stella Tennant oder Amber Valletta wehmütig.

Das Absurde dabei ist: Alt beginnt nach dem Rechensystem der Mode bei über vierzig. Die Ex-Supermodels, zwischen 42 und 51, gehören demnach zur nach oben offenen Kategorie "alterslos schön". Und das, obwohl jede von ihnen so tadellos in Form ist, dass die durchschnittliche Mittdreißigerin im Faszien-Training für die Bikinisaison verzweifeln müsste. Im Kosmetikbereich hat das, was Normalmenschen als Zeichen fortschreitender Jahre jeden Morgen im Spiegel betrachten, sowieso nichts zu suchen. Sharon Stone mag 58 sein, darf aber keinesfalls so aussehen. Auf den Werbefotos für Dior ist ihr Alter eine ferne Ahnung, ein angesilbertes Blond, ein wissendes Lächeln. Mehr Lebensspuren möchte die potenzielle Käuferin lieber nicht sehen.

Der Hype um die Alten - eine Scheinaufregung

Joni Mitchell posiert für das Saint Laurent Music Project

Die kanadische Sängerin Joni Mitchell posiert für Saint Laurent.

(Foto: Action Press)

Insofern ist der Hype um die reifen Models in weiten Teilen eine Scheinaufregung, weil die meisten von ihnen sehr frisch aussehen, ob mit Bildbearbeitung oder ohne. Und die klugen Modekolumnistinnen des Guardian mögen zwar einen coolen Umbruch verkünden ("The fashion industry is over its obsession with youth", die Mode habe ihren Jugendwahn überwunden), die Blogger den Charme schriller alter Damen entdecken, die aussehen wie eine Mischung aus Disneys Cruella de Vil und Nancy Reagan. Aber da macht man sich mit großer Geste selbst etwas vor. Wahr ist: Prominent platzierte Texte, große Fotos gehören weiterhin den jungen Gesichtern, den staksenden Bambi-Beinen.

Tatsächlich werden immer kindlichere Mädchen ohne jeden Skrupel auf die Laufstege und vor die Kameras geschickt. Die Israelin Sofia Mechetner debütierte mit 14 für Chanel - großes Entzücken. Auch die 15-jährige Willow Smith, Tochter von Schauspieler Will Smith, erhielt nach ersten Jobs für Marc Jacobs Einlass in Lagerfelds Reich - wie putzig.

Und Cindy Crawford brachte Tochter und Lookalike Kaia Gerber schon für eine Karriere in Stellung, als die gerade das zarte Alter von 13 erreicht hatte. Jünger geht es nicht mehr. Wenn dann eine Marke die Regeln knabenhafter Schönheit vorübergehend bricht, für ein Shooting, einen Werbeclip mit Nineties-Ikonen oder weißen Charakterköpfen, kann sie auf eines fest bauen: Aufmerksamkeit.

Profitieren von den exotischen Alten

Das hat als einer der Ersten Jean Paul Gaultier praktiziert, dessen Völkchen auf dem Runway - manche dick, andere sichtbar gealtert oder transsexuell - man schon vor Jahren ruhig als Ermunterung zum Anderssein begreifen durfte. Aber dass ihm das einprägsame Bilder einbringt, hat der Pariser Designer eben auch immer gewusst.

Für Label ohne großen Namen kann ein Senior Model als Überraschungseffekt das entscheidende Quantum mehr an Instagram-Posts bringen: Der Inder Manish Arora zum Beispiel hatte vor zwei Monaten in Paris die 61-jährige Fotografin Ellen von Unwerth auf dem Laufsteg. Und wenn ein Label einen sehr, sehr großen Namen wie Céline hat, sollte die mit viel Geld ausgetüftelte Werbekampagne wenigstens jede zweite Saison ein echter Knaller sein. Joan Didion, damals 80 Jahre alt, Literaturikone, papierzarte Haut hinter eulenhaften Brillengläsern, war ein Knaller.

In Läden und Onlineshops werden modeinteressierte ältere Kundinnen leider auch weiterhin mit einem beschränkten Angebot auskommen müssen. Dass sich daran etwas ändert, nur weil die lässigen Senioren gerade gut in der Werbung funktionieren, ist unwahrscheinlich. Ehe sich ganze Kollektionen an mögliche Wehwehchen und fülligere Körper anpassen, wird sich das Altern den Regeln der Mode anpassen müssen. Jedenfalls, wenn es offiziell gut aussehen will.

Die euphorischen und gleichzeitig doch etwas verzagten Kommentare zum gut erhaltenen Sport's Illustrated-Model Nicola Griffin waren da schon mal ein Vorgeschmack: "Hoffentlich sind wir mit 60 genauso sexy", piepste bang eine deutsche Frauenzeitschrift. Griffin selbst bezeichnet sich als "white hot hair", was nicht zufällig wie eine Kampfansage klingt. Von wegen neue Freiheit (keine Frau muss mehr unbedingt jung aussehen), es rollt neuer Druck heran (auch im Alter sollte jede Frau etwas hermachen).

Alles wie gehabt also, die Mode bleibt ein System, dessen Faszination aus dem Gefühl der Unerreichbarkeit gespeist wird. Simone de Beauvoir schrieb in "Das andere Geschlecht" schon 1949: "Gutes Essen verdirbt die Figur, Wein trübt den Teint, zu viel Lächeln verursacht Falten, Sonne schädigt die Haut, die Liebe macht Ringe unter den Augen." Das Ideal der Schönheitsindustrie und das Leben, sie passen eben nicht zusammen. In keinem Alter.

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