Süddeutsche Zeitung

Modelogos:Von hinten und von vorne

Gespiegelte Markennamen sind derzeit im Trend. Ist das eine Reaktion auf die eitle Selfie-Kultur oder steckt noch mehr dahinter?

Von Jan Kedves

Zu den Merkwürdigkeiten des Alltags gehört es, dass man sich im Spiegel immer nur falsch herum sieht, also dass rechts aussieht wie links und andersherum. Man betrachtet sich spiegelverkehrt. Obwohl doch alles immer noch genau an der richtigen Stelle ist. Es ist eben nur das Gehirn, das aufgrund einer psycho-kognitiven Schwäche die Richtigkeit der Spiegelung nicht sofort begreift. Es gibt einen schönen Fachbegriff für dieses Phänomen: Spiegelparadoxon.

Was hat das Spiegelparadoxon mit Mode zu tun? Aktuell ziemlich viel. Der neueste Trend sind nämlich gespiegelte Markenlogos, also Logos, die als Print, als Applikation oder Stickerei auf Shirts oder Pullovern schon so aussehen, als erblicke man sie im Spiegel. Wenn man so ein Teil anzieht, präsentiert man das Spiegelparadoxon sozusagen auf modische Art. Denn während dann die anderen Menschen das Logo spiegelverkehrt sehen (weil man es ja so auf der Brust trägt), sieht man selbst es richtig herum. Jedenfalls solange man in den Spiegel schaut.

Solche Shirts und Pullis gab und gibt es in den letzten Saisons von Stüssy, von Comme des Garçons, von Vetements, auch von anderen Marken. Man könnte denken, dass es einfach cool aussehen soll. Tut es ja auch. Weil es eben ziemlich cool wirkt, wenn eine Marke so locker mit ihrem eigenen Logo umgeht, dass sie es einfach mal von links auf rechts dreht. Fast eine Rebellion, das ehrwürdige Logo nach Jahrzehnten so zu veralbern. Aber ist damit schon alles gesagt?

Vielleicht nicht. Denn so ein "Mirror"-Shirt (so nennt das hippe New Yorker Label Telfar sein Modell) könnte auch als Kommentar auf die permanente Selbstbespiegelung interpretiert werden, wie sie heute auf Instagram und anderen Social-Media-Kanälen passiert. Alle machen mit ihrem Smartphone ständig Fotos von sich und ziehen dafür, natürlich, ihre besten neuen Sachen an. Spieglein, Spieglein in der Hand, wer hat das schickste Selfie im ganzen Land?

Den Spiegel aus Glas mit Aluminium- oder Silber-Beschichtung braucht es dafür nicht mehr, man hat ja den Screen. Allerdings funktioniert der anders, das Smartphone rechnet nämlich das Selfie beim Abspeichern immer schon richtig herum, was bedeutet, dass man sich in einem Selfie nie spiegelverkehrt sehen wird. Es sei denn eben, das Logo ist verkehrt herum! Die Mode hält hier also dem Like-Hunger in den sozialen Medien augenzwinkernd den Spiegel vor. Das wäre die eine Deutung.

Bei Gucci, Fendi, Chanel gab es noch nie ein Falschherum

Die andere wäre es zu sagen, dass sich die aktuelle Logo-Spielerei auch als Verneigung vor den alten Luxusmarken lesen lässt. Die haben ihre Logos ja schon vor Jahrzehnten, quasi in weiser Voraussicht der Selfie-Ära, so gestaltet, dass sie mit und ohne Spiegelung funktionieren. Zum Beispiel das Mitte der 1960er-Jahre von Karl Lagerfeld gestaltete Fendi-Logo mit den zwei punktgespiegelten Fs, auch "Zucca" genannt. Egal, wie herum man es spiegelt, man erkennt es immer. Den Kniff mit der Punktspiegelung hatte Lagerfeld sich bestimmt bei Chanel abgeschaut, wo er zu der Zeit zwar noch nicht arbeitete, aber die Strahlkraft der beiden ineinander verschlungenen Chanel-Cs, auch griffe genannt, bewunderte er sicher schon. Die Perfektion des Mode-Logos! Nicht zu vergessen: Gucci mit den zwei ineinander gedrehten Gs. Das linke ist richtig herum, das rechte gespiegelt. Daran ändert sich auch nichts, wenn man das Logo insgesamt noch einmal spiegelt. Falsch herum gibt es gar nicht. Genial.

Bei längeren Schriftzug-Logos, wie Stüssy oder Vetements, gibt es natürlich schon ein Falschherum. Aber wenn das Logo sogar in der Spiegelung noch sofort wiederzuerkennen ist, dann beweist das ja nur, wie tief es im Gedächtnis oder Unbewussten der Kundschaft verankert ist.

Als vorläufige Krönung des Trends ließe sich der "Selfie"-Strickpullover des Berliner Labels 032c sehen. In die Brustpartie dieses Wollpullis ist das Markenlogo spiegelverkehrt hineingestrickt, also: nicht nur gedruckt oder aufgenäht. Die Botschaft des Teils: Wir machen uns hier für ein Witzchen über das digitale Leben auch gerne mal ziemlich viel analoge Arbeit. Wobei sich derselbe Effekt ja auch erzielen ließe, wenn man einen Strickpulli, in den das Logo ganz normal hineingestrickt ist, einfach von innen auf außen drehen würde. Das wäre dann potenziell sogar ein Kommentar darauf, dass heute ja nicht nur Selfies ein Dauerthema sind, sondern auch das mit ihnen oft einhergehende oversharing. Damit ist das ständige, nicht selten auch nervige Teilen sämtlicher innerster privater Details mit der gesamten Welt gemeint. Was ist oversharing anderes als die permanente Selbstausstülpung ins Netz? Von innen auf außen gestülpte Pullis: Könnten sie, nach den gespiegelten Logos, schon der nächste Trend sein?

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