Kosmetik:Geist einschalten als Schönheitstrend

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Ein zumindest dem Namen nach gedankenvolles Waschstück. (Foto: mindfulsoap)

Was muss eine Seife können, um als "mindful" zu gelten? Und was erwartet einen bei einer achtsamen Maniküre? Über einen seltsamen Trend in der Kosmetik.

Von Tania Messner

Wer möchte und wer zufällig in Berlin, Hamburg oder München lebt, kann seit neuestem über das Onlinebuchungs-Portal Treatwell eine sogenannte "Mindful Mani" buchen. Das bedeutet, man ahnt es, mag es aber nicht gleich glauben: eine achtsame Maniküre. Dabei soll nicht etwa die Kosmetikerin besonders achtsam sein und beispielsweise das Nagelhäutchen sanft mit einem Rosenholzstäbchen zurückschieben, was allein schon ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil wäre, da eben dieses Häutchen meist gar nicht liebvoll, sondern eher mit unterdrückter Wut zurückgekratzt, gerammt oder brutal mit einer Nagelschere amputiert wird. Es geht aber nicht um die Kosmetikerin. Nein, achtsam soll bei dieser Maniküre der Kunde sein - und zwar sich selbst gegenüber.

Wenn man den neuesten Trend, den Influencer und Beautymagazine propagieren, ernst nimmt, soll Schönheitspflege jetzt ganz grundsätzlich achtsam sein. Es reicht längst nicht mehr, sich zum entspannen eine Duftkerze anzuzünden oder ein Schaumbad einzulassen. Stattdessen soll man sich über die neuen Schönheitsprodukte, Cremes, Aromatherapie-Öle, Kristalle oder Bio-Shampoos mit sich selbst verbinden, der Seele, dem Chi, wie man es halt nennen mag. Und am besten noch etwas für die Umwelt, den Weltfrieden und das Karma tun. Genaueres wird nicht genannt, am Ende muss man es spüren, die Fährte führt also doch wieder zum Ich.

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Damit reihen sich die Beauty-Produkte ein in den absoluten Großtrend der Zeit, der in Magazinen wie Flow und Happinez propagiert wird, aber auch in der Ernährung, beim Yoga, in den Schulen und Universitäten, überall. Man findet unter dem Hashtag #selfcare fast 22 Millionen Instagram-Postings.

Achtsam, so das zeitgemäße Produktversprechen, sollen sowohl die Zulieferer der Inhaltsstoffe sein, wie auch die Herstellung der Kosmetikprodukte an sich, die Transportlogistik und das Packaging, am besten sowieso alles, bis hin zur Halbwertszeit der gedankenvollen, Seifen, Zahnpastas und Augencremes. Und weil man den gesamten Zyklus eines Produktes am besten dann bewerten kann, wenn man es selber herstellt, findet man unter dem Hashtag #mindfulbeauty auch mehr als 32 000 Follower, die ihre persönlichen Rezepte für die Herstellung achtsamer Shampoos und Körper-Öle teilen. Die User beschreiben, wie man sie am besten anwendet, samt passenden Massagetechniken, Atemübungen, Meditationen.

Die achtsame Seife erinnert einen daran, sich auch mal zu spüren und so weiter

Von dem Trend der achtsamen Kosmetik profitieren ansonsten besonders Naturkosmetikfirmen und Hersteller von ätherischen Ölen. In Großbritannien etwa nahm der Verkauf von beruhigenden, lavendelhaltigen Kosmetikprodukten von Januar bis April verglichen mit dem Vorjahr um 552 Prozent zu. Der absolute Renner? Pflege, die nach Weihrauch duftet. Ein Inhaltsstoff, älter noch als Weihnachten, der im Hausgebrauch seit Jahrhunderten zur Linderung von Stress und bei Panikgefühlen genutzt wird, wurde doppelt so häufig verkauft wie im Vorjahr. Laut June Jensen, Markenanalystin bei "NPD UK Beauty", erklären sich das dadurch, "dass 2019 ein herausforderndes, unsicheres Jahr für viele Menschen war. Kunden kehren dann zu natürlichen, altbekannten Inhaltsstoffen und Produkten zurück, die einen tröstenden, nährenden und versorgenden Effekt auf die Haut und den Körper haben."

Dabei schadet es nicht, das Alleinstellungsmerkmal gleich im Namen zu tragen. So stellt die Firma Mindful Soap & Co. irgendwie bewusste Seifen her. Die Waschstücke enthalten natürliche Inhaltsstoffe, insbesondere ätherische Öle, die die Sinne mit Zitrusnoten und Pfefferminze anregen sollen. Andere beruhigen mit Lavendel, Baldrian, Bergamotte und Zedernholz oder stimulieren das Immunsystem mit Orange, Oregano, und Zimt. Am Ende aber ist es wohl vor allem wichtig, sich die Awareness - so der englische Originalbegriff - stets ins Bewusstsein zu rufen. Eine "Mindful Soap" reinigt nur die Hände, nicht automatisch den Geist - aber sie kann einen daran erinnern, ihn beim Waschen einzuschalten. Im Augenblick zu sein, sich zu spüren, und so weiter und so fort.

Wer sich nun bei der "Mindful Mani" hypnotisierende Klangschalenklänge, ätherische Öle, asiatische Massagekniffe oder heiße Wickel erwartet, wird enttäuscht. Denn bei der Maniküre mit dem Achtsamkeitsprädikat werden einem lediglich Kopfhörer über die Ohren gestülpt und man darf in Ruhe Musik hören oder einer Meditationsübung lauschen. Könnte man bei jeder normalen Maniküre auch? Stimmt. Doch für 25 Euro wird einem in den 30 Minuten ausdrücklich die Erlaubnis dazu erteilt, sich den sozialen Konventionen im Salon zu verweigern. Man darf schweigen, ohne die Gefühle der Kosmetikerin zu verletzen - und das ist vielleicht auch schon was wert.

© SZ vom 07.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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