Mütter rauf auf den Laufsteg! Zeigt nicht mehr die Superdünnen, Superjungen auf den Catwalks dieser Welt, sondern die normalen Frauen - etwas älter, etwas kurviger vielleicht, aber dafür mit Erfahrung und Ausstrahlung! So oder so ähnlich fordern es jedenfalls nicht nur Feministinnen seit Jahren. Die Wahrheit allerdings ist: Mütter stöckeln längst schon über die Laufstege. Nur man erkennt sie nicht. Genauer: Gäbe es nicht hier und da eine "Sexy Mum Model"-Schlagzeile - man würde von modelnden Müttern gar nichts mitbekommen, denn sie sind von kinderlosen Models kaum zu unterscheiden.
Dabei präsentieren viele Modelmütter ihre Postbabybäuche schon Wochen nach der Geburt, und das nicht von korsagenartigem Brokat verdeckt. Sondern splitterfasernackt. Beim Unterwäsche-Label Victoria's Secret stolziert mittlerweile sogar eine ganze Mütterparade über den Laufsteg. Bei der Show in Shanghai am vergangenen Montag lief das südafrikanische Model Candice Swanepoel zum ersten Mal nach der Babypause, Sohn Anacã kam vor einem Jahr zur Welt. Was noch nichts ist gegen Adriana Lima, die 2012 nur zwei Monate nach der Geburt von Tochter Sienna ihren Körper wieder in Reizwäsche präsentierte. Das Vorbild aller modelnden Mütter ist natürlich Heidi Klum, ihr viertes Kind war gerade mal sechs Wochen alt , als sie 2009 über den Laufsteg trabte - wenn auch als Moderatorin und ein wenig verhüllter als sonst.
"Yummy Mummy", "Momshell" oder "MILF": Längst gibt es Vokabeln für attraktive Mütter
Nun heißen die Victoria's-Secret-Models nicht umsonst "Angels". Irdische Mütter nahmen die Baby-Body-Debüts eher ungläubig zur Kenntnis, jedenfalls bis vor ein paar Jahren. Inzwischen nämlich glauben immer mehr, da mithalten zu müssen. Längst gibt es neue Vokabeln für attraktive Mütter. In den USA spricht man von der "Yummy Mummy", der leckeren Mutti, oder von der "Momshell" - der Mutter, die zur "Bombshell" wird, zur Sexbombe. Und in Deutschland ist die MILF, die "Mother I'd Like To Fuck", aus der Porno- in die Alltagssprache gewandert.
Die sexy Mütter auf den Laufstegen übten auf Frauen "einen wahnsinnigen Druck aus", sagt die Psychologin Ada Borkenhagen, die sich am Universitätsklinikum Magdeburg mit dem Thema Körperkult beschäftigt. "Ein schlanker Körper wird zunehmend sozial gefordert." Nur: Der Wille und das Bindegewebe sind oft zu schwach, als dass die Alltagsfrau nach der Geburt so einfach Sex-Appeal versprühen könnte. Daher nehmen Mütter immer öfter einschneidende Maßnahmen in Kauf: Sie lassen beim Plastischen Chirurgen ein "Mummy Makeover" machen. So heißt der Trend, der von den USA langsam aber sicher nach Europa überschwappt. Eine Art Rundumerneuerung für Frauen, die Kinder zur Welt gebracht haben, denen man das aber bitte nicht ansehen soll.
Gerade hat die Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC) mitgeteilt, dass die Zahl entsprechender Eingriffe zuletzt deutlich gestiegen sei. Zwar werde das Mummy Makeover nicht als Gesamtpaket erfasst, aber das, was dazugehört, wird offenbar vermehrt nachgefragt. So führten die Chirurgen der VDÄPC 2016 mehr als doppelt so viele Bruststraffungen durch wie im Vorjahr.
"Frauen wollen heute auch nach der Geburt noch weiblich, attraktiv und sportlich aussehen", folgert Dennis von Heimburg, Präsident des VDÄPC. Der Chirurg sieht sich als Kämpfer gegen die "Ungerechtigkeit der Natur", wie er es ausdrückt. "Männer haben auch Kinder, aber ohne die körperlichen Folgen. Unsere Eingriffe stellen Frauen wieder auf den Status, den sie vor der Schwangerschaft hatten, das ist nur fair."
Es ist ja nicht zu leugnen: Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit verändern den Körper. Das Gewebe wird weicher, das muss es auch, damit das Kind Platz zum Wachsen hat und es am Ende auf die Welt schafft. Bauchmuskeln driften auseinander, überdehntes Bindegewebe reißt und lässt Schwangerschaftsstreifen zurück. Die Brust schwillt an und wird dann vom Baby oft so ausgesaugt, dass nur noch wenig Drüse mit viel zu viel Haut zurückbleibt. "Das sind alles Vorgänge, die völlig normal sind", sagt Riccardo Giunta, Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen. "Es gibt hier keine medizinische Notwendigkeit für eine Operation. Aber wenn man das möchte, kann man es plastisch-chirurgisch gut adressieren."
Und eine stattliche Zahl von Frauen möchte das unbedingt. Allzu oft wünschen sich selbst moderne, emanzipierte, in Geschlechterfragen und "#MeToo"-Debatten streitbar auftretende Frauen einen Chirurgen und sein Skalpell an ihrer Seite. Eigentlich wollen sie sich nicht mehr auf den Körper reduzieren lassen, doch zugleich gelingt es den Wenigsten, sich so anzunehmen und schön zu finden, wie die Natur - und ihre Schwangerschaften - sie geformt haben. Ein Dilemma, das immer häufiger beim Chirurgen endet.
Dort wird überschüssige Haut von den Brüsten entfernt und bei Bedarf mit Hilfe von Implantaten mehr Volumen erzeugt. Brustwarzen werden entgegen der Schwerkraft nach oben versetzt. Die Bauchdecke wird oberhalb der Schamhaare sowie rund um den Nabel eingeschnitten und straff gezogen; nebenher wird außer wabbelnder Haut auch gleich noch Fett entfernt. Beliebtes Ziel: eine "Champagne Groove", also jene Einkerbung zwischen den Bauchmuskeln, die sich bei durchtrainierten Bäuchen vom Nabel bis zum Venushügel erstreckt. Oft werden auch die Bauchmuskeln skulptiert, die bei vielen Müttern so mitgenommen sind, dass der Bauch trotz Sport und Diät niemals wieder richtig flach wird. "Durch Straffung der muskulären Bauchwand können die Muskeln einander angenähert werden", sagt Giunta. "Das ist dann wie ein inneres Korsett."
Einige Frauen laufen direkt aus dem Wochenbett in die Schönheitsklinik
Ein besseres Körpergefühl und damit mehr Selbstvertrauen: Das lassen sich Frauen schon mal 20 000 Euro kosten. Dabei nehmen sie durchaus Risiken durch die Eingriffe in Kauf - Infektionen etwa, Probleme mit der Wundheilung und oft auch die Erkenntnis, dass der Traumkörper leider doch ein Traum bleiben wird. Narben bleiben sowieso. "Seien Sie sich bewusst, dass manchmal mehrere Stufen notwendig sind, um den gewünschten Effekt zu erzielen", schreibt die Wiener Schönheitsklinik Radetzky Villa auf ihrer Homepage. "Ein Mummy Makeover ist eine Kombination von Behandlungen, die nicht zu leichtfertig genommen werden sollten."
Im besten Fall allerdings würden nach der Operation die Erinnerungen an den alten Körper wieder wach, beteuern die Chirurgen. "Wenn man Brust und Bauch strafft und den Nabel rekonstruiert, sieht das im Bikini wieder top aus", sagt Dennis von Heimburg, "manche Dinge kann man sogar besser machen als ursprünglich." Auch die Psychologin Ada Borkenhagen kommt zu einem versöhnlichen Urteil: "Wenn es keine Komplikationen gibt und der Eingriff handwerklich gut gemacht ist, sind die Menschen in der Regel zufriedener als vorher."
Während deutschen Frauen dazu meist eine Kombination aus Bauch- und Bruststraffung genügt, gehört international schon viel mehr zur Mütter-Generalüberholung. Da wird via "Brazilian Butt Lift" auch der Po angehoben und vergrößert, der Scheidengang verengt, Schamlippen werden wahlweise wieder aufgebaut oder verkleinert. Vor allem von Operationen an der Scheide hält Dennis von Heimburg wenig: "Das ist gefährlich, man operiert da sehr nah an Muskeln und Darm. Außerdem glaube ich, dass ein geweiteter Vaginalgang nach der Geburt üblicherweise kein Problem ist."
Noch etwas sehen hiesige Chirurgen kritisch: Mitunter wird in den USA manches noch während einer Kaiserschnitt-Geburt wieder zurecht genäht, oder Frauen laufen direkt aus dem Wochenbett in die Schönheitsklinik. "Man sollte auf jeden Fall die Rückbildungsphase vollständig abwarten", sagt Riccardo Giunta. Erst, wenn der Körper wieder ein stabiles Gewicht und die Frau die Möglichkeiten der Rückbildungsgymnastik ausgeschöpft habe, sei ein Eingriff überhaupt sinnvoll. Das sei - je nach Stilldauer - in der Regel nach einem Jahr der Fall. Außerdem rät Riccardo Giunta von Operationen ab, solange die Familienplanung noch nicht abgeschlossen ist. Sonst ist der nächste Eingriff programmiert.
Manches ist an der wundersam schnellen Rückkehr auf den Laufsteg gar nicht so magisch
Es hängt vor allem von der Veranlagung ab, was Schwangerschaft, Geburt und Stillen mit einem Frauenkörper anstellen. Wer von Natur aus ein strafferes Bindegewebe hat, bleibt nun mal leichter in Form, so ungerecht das ist. "Die Stabilität der Haut hängt mit dem Bindegewebe zusammen", sagt Riccardo Giunta, "kräftige Haut kann eine Überdehnung besser kompensieren." Zudem können zielstrebige Frauen mit Sport und Ernährung viel erreichen. Zwar ist eine Diät während Schwangerschaft und Stillzeit tabu, aber auf das Gewicht kann man auch achten, ohne zu hungern. "Wenn eine Frau sportlich ist und eine gute Figur hat, hat sie die nach der Geburt meistens auch", sagt Andrea Hagen-Herpay vom Deutschen Hebammenverband. Das liegt schon an der Gewichtszunahme in der Schwangerschaft. Ein Plus von 20 Kilogramm hinterlässt logischerweise mehr Spuren, als wenn sieben Kilo kommen und gehen. Hilfreich sind auch hier die Gene: "Ich habe Glück, ich wurde mit einem ziemlich schnellen Stoffwechsel geboren", sagte Candice Swanepoel der Zeitschrift The Cut, als ihr Sohn neun Monate alt war. "Ich bin das Mädchen, das ein gesundes Gericht mit ein paar Pommes dazu bestellt." Sie sei erstaunt gewesen, wie schnell ihr Körper wieder in Form war. (Noch lässiger, als nach der Geburt toll auszusehen, ist es eben, wenn man sich nicht mal Mühe dafür geben musste.)
Nun sind Frauen, die ihr Geld mit ihrem Aussehen verdienen, ohnehin zur ausgeprägten Selbstkasteiung bereit. Viele planen schon spezielle Schwangerschafts-Work-outs und Diäten, bevor sie überhaupt schwanger sind. Manches ist an der Turbo-Rückkehr auf den Laufsteg auch gar nicht so magisch: Viele Models stillen nicht, um ihre Brüste zu schonen. Oder sie sind "too posh to push" - zu schick zum Pressen: Dann lassen sie das Kind schon Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin per Kaiserschnitt holen. So bleibt der Bauch deutlich kleiner, denn Ungeborene legen gerade in den letzten Wochen noch ordentlich zu. Beide Trends haben es bereits in die Welt von Frauen geschafft, die bei Modeschauen allenfalls im Publikum sitzen. Und das, obwohl sie für die Gesundheit der Kinder negative Folgen haben können, denn Stillen und eine natürliche Geburt kräftigen nachweislich das Immunsystem. Ärzte raten deshalb vom "Kaiserschnitt auf Wunsch" ab.
Vor diesem Hintergrund blicken manche Mütter dann doch wieder versöhnt auf ihren Körper. "Ich betreue Frauen jetzt seit 30 Jahren rund um die Geburt", sagt Andrea Hagen-Herpay, die Hebamme. "Manche sind vom Schönheitsideal getrieben, aber viele sind erheblich entspannter als früher." Sie kosten es aus, in der Schwangerschaft und der Stillzeit ohne schlechtes Gewissen futtern zu dürfen, weil die Figur eben gerade zweitrangig ist. Und danach genießen sie es, eine "GNM" zu sein, eine ganz normale Mutter.