Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Schön doof":Quinoa im Shampoo: Spinnt ihr?

Die Leute in den reichen Ländern sind gerade auf dem Quinoa-Trip. Zum Haareraufen, findet unsere Autorin.

Von Christina Berndt

In Bolivien essen sie jetzt Pommes. Viel mehr als früher. Das liegt daran, dass die Leute in den reichen Ländern gerade auf dem Quinoa-Trip sind. Irgendwer hat ihnen erzählt, die gelben Körnchen aus den Anden seien viel gesünder als die Getreidearten, die seit Jahrtausenden in Europa angebaut werden.

Seither ist Quinoa so teuer geworden, dass sich die armen Bauern in Bolivien ihre eigene Ernte kaum mehr leisten mögen. Sie verkaufen jetzt fast alles, was sie der Natur in 4000 Metern Höhe abtrotzen, damit es im Ökoladen für fünf Euro pro Pfund satte Gewinne erzielt. Und deshalb frittieren sie jetzt Kartoffeln.

Quinoa kann für Kleinkinder sogar gefährlich werden

Dabei ist Quinoa für den Erst-Welt-Körper vollkommen verzichtbar, wenn man einmal ohne die pseudoreligiöse Verklärung darüber nachdenkt, mit der Ernährung derzeit behandelt wird. Zwar ist sein Proteingehalt hoch, und es enthält auch jede Menge Kalzium, Magnesium, Kalium, Vitamin E und sogar alle essenziellen Aminosäuren auf einmal! Aber wichtig ist das nur, wenn man sonst nicht viel zu beißen kriegt. Außerdem sind manche Sorten noch glutenfrei, was die Anbetung hierzulande erheblich befördern dürfte, da sich ja heute jeder Zweite einbildet, er vertrage kein Gluten oder Gluten sei etwas Schlimmes. Dabei rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung sogar davon ab, Quinoa an Kleinkinder zu verfüttern, weil Bitterstoffe aus der Schale, sogenannte Saponine, die Blutzellen schädigen und die Darmwand durchlässiger machen können.

Ja, richtig: Die Welternährungsorganisation empfiehlt die Körnchen aus den Anden. Aber für Regionen, in denen Hunger herrscht! In solchen Gegenden dürften sie nun kaum noch ankommen, seit die Reichen den Armen das Essen wegessen. Und als wäre das nicht schlimm genug, schmieren sich Wohlstandsmenschen jetzt auch noch Quinoa in die Haare. Zunehmend findet sich das Essen der Inka in Körperpflegeprodukten wieder. Diesmal wird nicht mit irgendeinem Mehrwert dafür geworben, was auch schwierig wäre, da Quinoa als Beauty-Produkt nicht mal vermeintliche Vorzüge zu bieten hat. Der blanke Name reicht inzwischen als Kaufanreiz.

Auch die Bauern nutzen Quinoa zum Haarewaschen. Aber nicht das Nahrungsmittel, sondern das Waschwasser. Die ausgewaschenen Giftstoffe aus der Schale wirken nämlich gegen Insekten und zugleich wie Seife. Genauer gesagt: Die Bauern nutzten Quinoa zum Haarewaschen. Als sie noch genug hatten. Mit dem Fett der Pommes dürfte das schwieriger sein.

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Quelle:
SZ vom 29.04.2017/jana
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