Schmuckdesign:Der Veredler

Aus ungewöhnlichen Materialien macht Thomas Gentille avantgardistische Schmuckstücke. Tragbar sind sie natürlich trotzdem.

Von Anne Goebel

Darf Schmuck irritierend sein, sogar anstrengend? Colette, die wunderbar scharfzüngige Pariser Schriftstellerin, riet dringend ab, in aller Ironie natürlich: Als Frau, lernt ihre Romanfigur Gigi, bitte niemals etwas Künstlerisches als Armband oder Kette anlegen, keine Raubkatzen, Käfer, Fabelwesen - nein, alles, was zählt, ist der reine, schwere, richtig teure Klunker.

So weit der ungezwungene Konsumrausch der Belle Époque, heute ist es komplizierter, sein Geld einigermaßen geschmackssicher zur Schau zu tragen - und für die ganz anspruchsvolle Klientel gibt es Stücke mit der schönen Bezeichnung Autorenschmuck. Das klingt erlesen, sogar eine Spur geschraubt und meint Unikate, die oft sperrig, mehr Kunst als Kommerz und fast so teuer wie Juwelen sind. Ein führender Vertreter von Autorenschmuck ist Thomas Gentille, die Neue Sammlung in München widmet dem Amerikaner ihre aktuelle Ausstellung. Und das Überraschende ist: Man trifft, zum Gespräch in der Rotunde des Museums an der Barerstraße, auf einen heiteren, leise ironischen älteren Herrn, sehr unprätentiös und kein bisschen anstrengend.

"Untitled. Thomas Gentille, American Jeweler" ist der Titel der Schau, sie versammelt mehr als 150 Schmuckstücke und Zeichnungen des Künstlers aus Anlass seines 80. Geburtstags im August - und ist damit die erste umfassende Ausstellung von Gentilles Lebenswerk. In schlanken Schaukästen liegen im Obergeschoss der Neuen Sammlung Objekte aus fünf Jahrzehnten: kantige Acrylglas-Armspangen, Ohrringe aus Bronze, eine gesprenkelte Brosche aus "Schichtholz, Glas, Harz", wie es in der Beschreibung heißt. Alltägliche Materialien sind die Markenzeichen des New Yorkers, er gilt als einer der ersten Schmuckkünstler, der schon seit den Sechzigerjahren unedle Werkstoffe einsetzt. Im Faltblatt für den Rundgang ist auch "Luft" als Zutat vermerkt, wenn in einer zierlichen Anstecknadel Hohlräume bleiben im Holz-Gittermuster.

Für eine junge Kollegin hat er die Eheringe gefertigt. Das Paar trägt sie mit Ehrfurcht

Man kann so etwas natürlich verstiegen finden, aber der Frage nach der Tragbarkeit begegnet Gentille mit sanftem Staunen. "Aber natürlich", sagt er in nuanciertem Ostküsten-Amerikanisch, "soll mein Schmuck getragen werden, sonst ist es ja kein Schmuck." Sondern nur "something about jewelry", etwas, das von Schmuck handelt - eine charmante Unterscheidung. Es geht also um die unmittelbare Beziehung zur Trägerin, der es gefällt, sich als Zeichen ihres besonderen Geschmacks nicht mit einem Accessoire von Delfina Delettrez oder einem der anderen international gehypten Juwelier-Talente zu schmücken, sondern mit Kunst von Thomas Gentille. Wobei man sich rechtzeitig auf das Sammeln verlegt haben sollte: Seine Werke befinden sich in den wichtigsten Museen wie dem Metropolitan Museum of Art, Aufträge nimmt er kaum an, es sei denn eine Arbeit unter Kollegen wie die schlichten Eheringe für eine junge Schmuckkünstlerin und ihren Mann. Wie schön es sei, Menschen in dieser Lebensphase zu begleiten, erzählt der 79-Jährige mit dem zurückgekämmten grauen Haar ohne jede Überheblichkeit - als sei nicht jeder Ring aus seiner Werkstatt quasi sofort ausstellungsreif. Das Paar trägt sie wahrscheinlich mit Ehrfurcht.

Schmuckdesign: Zu München hat Thomas Gentille eine enge Beziehung, seit er 2004 mit dem Bayerischen Staatspreis ausgezeichnet wurde.

Zu München hat Thomas Gentille eine enge Beziehung, seit er 2004 mit dem Bayerischen Staatspreis ausgezeichnet wurde.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wie gut eine Ausstellung über Autorenschmuck in unsere Zeit passt, dürfte für die Kuratorin Petra Hölscher eine Rolle gespielt haben, abgesehen vom Fokus auf die führenden Namen der Gestalter-Szene. Die Sehnsucht nach dem Unikat ist bei denen, die es sich leisten können, ungebrochen: Als Gegengewicht zur mühelosen Verfügbarkeit aller Waren soll der eigene Besitz erkennbar einmalig sein. Ein exklusiv eingesticktes Monogramm im Burberry-Schal, das personalisierte Lifestyle-Fahrrad - auch wenn Schmuckkunst von der Intention kein Luxusgut sein mag, die Trägerin beweist damit abseits vom Gewöhnlichen Individualität, deren Preis zu zahlen sie imstande ist.

Es sind also durchaus Prestigeobjekte, die da in München unter Glas präsentiert werden, und Gentille poliert im Vorübergehen mit dem losen Ende seines dunklen Hemds eine Vitrinenecke. Sorry, sagt er mit ironischem Lächeln, "kann's nicht lassen". Gerade seine Stücke haben ja diese Einmaligkeit und Wiedererkennbarkeit, sind Unikate, an denen der Kenner doch die charakteristische erstklassige Handschrift wertschätzt: Das Minimalistische, die klaren Formen, die selbst Sperrholz, Beize und, tja, Luft edel aussehen lassen.

All die Gebote von Karat, Opulenz und Gefälligkeit hat Gentille immer ignoriert

Aber natürlich ist es so, dass gerade der Zeitgeist ganz gut zu Gentille passt und nicht Thomas Gentille zum Zeitgeist. Als Künstler ist er immer seinen eigenen Weg gegangen, oft eher gegen die herrschenden Strömungen und gegen Widerstände. In der Familie des 1936 in Ohio geborenen Nachkommen italienischer Vorfahren gab es keine Künstler, zwar hätten ihn die Eltern nicht behindert ("Italien und Kunst, das sind eigentlich Synonyme"), aber viel helfen konnten sie dem Malerei-Studenten des Cleveland Institute of Art auch nicht. Und die Begeisterung für die Schmuck-Klasse kam dann gerade daher, dass es schwer zu werden versprach, dass man nicht nur schöpferisch, sondern auch Handwerker sein musste: Gentille ahmt die Geste nach, wie er das erste Mal ein Sägeblatt einspannte und mit dem Daumennagel prüfte, ob es sitzt. "Da wusste ich, dass ich Schmuckkünstler werden will. Beim Malen hat die Farbe einfach gemacht, was ich wollte. Hier spürte ich Widerstand. Das reizt mich, bis heute."

Auch ein wenig Widerspruch reizte ihn womöglich, obwohl der Herr mit der zweifarbigen Brille fast aristokratisch zurückhaltend wirkt. Aber auf die Frage, warum er sich schon früh für alternative "jewelry" begeisterte, die alle braven Dekorations-Gebote von Karat, Opulenz, Gefälligkeit ignorierte, antwortet er trocken: "Weil so viel von dem Schmuck, den ich sah, hässlich war." Hochkarätiges Gold verwendet Gentille nur für die sogenannte Broschierung seiner Stücke - auf der Rückseite. Für die Schauseite mischt er Sägemehl mit Industriefarbe, spannt Seidenfäden in gerilltes Ebenholz, arbeitet mit Kieseln und Intarsien aus Eierschalen. Kein Material scheint zu alltäglich, zu derb oder zu filigran zu sein, und eine Frau sieht mit dem Objekt, das daraus entsteht, elegant, interessant oder etwas exzentrisch aus. Was sie auf jeden Fall dabei hat: ein Stück schönere Welt.

"Vieles auf dieser Erde, gerade heutzutage, ist schrecklich", sagt Thomas Gentille. "Und darum geht es beim Betrachten eines Kunstwerks: einen Moment die reine Schönheit zu sehen. Mit einem Schmuckstück trägt man diesen Moment immer bei sich."

Untitled. Thomas Gentille. American Jeweler. Die Neue Sammlung, München, bis 5. Juni. www.die-neue-sammlung.de

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: