Schmuck:Da blüht uns was

Dem Pariser Juwelierhaus Boucheron ist es erstmals gelungen, aus echten Blüten Schmuck zu machen.

Von Anne Goebel

Es sind gerade blumige Zeiten in der Mode. Beyoncé erblüht in einem Turban aus Pfingstrosen und Schafgarbe auf dem Cover der amerikanischen Vogue. Streuwiesen auf Chiffonkleidern haben auch nicht mehr ganz mädchenhafte Trägerinnen luftig durch den Sommer gebracht. Die Vorschau auf den Herbst: Streuwiesen II, diesmal schwarz grundiert. Es ist also bestens das Feld bestellt für eine Meldung aus der Haute Joaillerie (ein unübertrefflich hochnäsiger Fachbegriff für echte Geschmeide): Der Firma Boucheron ist es erstmals in der Geschichte der Zunft gelungen, Schmuck aus echten Blütenblättern zu fertigen.

Das ist in mehrfacher Hinsicht eine erstaunliche Mitteilung. Wer dachte, die eigene Gänseblümchenkranz-Bastelei in der Kindheit habe wirklich gar nichts gemeinsam mit der hermetisch geschlossenen Welt der Juwelierskunst - Irrtum. Offenbar geht es dort spielerischer zu, als man sich das so vorstellt. Wobei natürlich auf höchstem Niveau gebastelt wird. Dazu kommt: Traditionshäuser wie Boucheron, 1858 gegründet und ansässig im ersten Pariser Arrondissement, tauchen nur selten in der täglichen Schwemmflut der Lifestyle-Nachrichten auf. Kunden geben für ein gelungenes Stück 25 000 Euro oder auch mal rasch das Zehnfache aus. Moden, Trends? Sind nur ein ferner Lärm, der an den gepanzerten Türen der Boutique an der Place Vendôme abprallt.

Tatsache ist aber: Auch ehrwürdige Juwelierhäuser brauchen dringend junge Kundschaft. Und da kommt ihnen die florale Opulenz in der Mode, derzeit jede Saison aufs Neue besiegelt von Guccis Großmeister Alessandro Michele, zupass. Und siehe da, die Verbindung zwischen Diamanten, Zeitgeist und den kaufkräftigen Millennials führt über blühende Pfade: Van Cleef & Arpels präsentier te gerade romantische Uhren, die an einen Bauerngarten erinnern sollen. Die aktuelle Tiffany-Kollektion variiert Kleeblätter. Am überzeugendsten gelingt der Zurück-zur-Natur-Aufputz aber bei Boucheron. Die neuen Ringe aus Anemone und Stiefmütterchen könnten glatt als Coachella-Accessoires durchgehen.

Vorausgesetzt, die Besucherin des Musikfestivals kann 100 000 Dollar aufwärts erübrigen für einen Hauch Flowerpower am Finger. Die "Nature Triomphante"-Serie hat, selbst gemessen am grundsätzlich hohen Preisniveau des Hauses, einen ganz speziellen Wert. Immerhin geht es um die "Verewigung des Flüchtigen", wie es im Pressetext heißt. Aus vergänglichen Blüten wird ein niemals welkendes Artefakt. Die Anemonen, Rosen, Stiefmütterchen und Hortensien bleiben gegen jedes Gesetz der Natur für immer frisch wie Tautropfen.

Dass dafür eine Art Geheimwissenschaft vonnöten ist, ließ Boucheron bei der Präsentation in Paris mit einer Inszenierung aus Laborgläsern, Pinzetten und Männern in weißen Kitteln geschickt anklingen. Gerade so, dass die Neugier des Fachpublikums erst recht angestachelt wurde. Im Prinzip wird jede Blüte gescannt, um ihren Aufbau zu dokumentieren. Sodann werden die zerlegten Einzelteile mit einer (streng gehüteten) Tinktur gegen Hitze und Feuchtigkeit präpariert, auf eine (unerklärlich dünne) Edelmetallschicht aufgebracht und zu einem stabilen, aber äußerlich zarten Gewächs montiert. Ach ja, einen Blütenstempel setzen die Pariser Alchemisten auch ein. Aus Saphir, Granat oder Diamantsplittern mit fünf oder neun Karat, je nach Modell. Voilà, fertig ist der Blumenschmuck. Konkrete Details wurden nicht preisgegeben. "Auch den Besuchern, die flüssig Französisch sprechen", so das US-Juwelenfachblatt JCK Magazine ehrfürchtig, "enthüllte sich das Geheimnis nicht zur Gänze."

Die Herstellungsweise von Kostbarkeiten wurde schon immer verschleiert, von den Rezepturen der mittelalterlichen Goldmacher bis zum Bauplan eines Fabergé-Eies. Und zwischen Natur und Schmuck besteht eine noch viel ältere Verbindung, frühe Talismane von Menschen waren Ketten aus Wurzeln oder Blüten. Aber man kann die aktuelle Faszination für Botanik auch als ganz eigenes Phänomen begreifen. All das Gewuchere und Geranke in der Mode, der überall sprießende Schmuck: Es ist, als wären wir vor lauter digitaler Übersättigung zunehmend fasziniert von etwas so Einfachem wie dem Kreislauf der Natur. Das ständige Erblühen, Verdorren, Erneuern - einfach so, ohne Ladegerät!

Tradition

Frédéric Boucheron, geboren 1830, entschied sich früh, nicht wie seine Vorfahren Tuchhändler zu werden, sondern Juwelier. 1858 eröffnete er die erste Boutique in den Arkaden des Palais Royal in Paris. Bei der Weltausstellung 1867 gewann er für seine Geschmeidekunst seine erste Goldmedaille und internationalen Ruhm. 1893 siedelte sich die Maison Boucheron an der Place Vendôme an, wo die gehobene Mittelklasse gerne flanierte. Das im ersten Arrondissement zwischen dem Jardin des Tuileries und der Oper liegende Karree wurde fortan zu einem Zentrum der Luxusjuweliere. In der Hausnummer 26, an der Ecke zur Rue de la Paix, ist die Boucheron-Boutique noch heute zu finden. Ihr Gründer ließ die Arkaden mit grünem Marmor auskleiden und seinen Namen in Goldbuchstaben eingravieren. Barone, Herzoge und Adlige ließen sich Colliers für ihre Liebsten anfertigen. Und für die, die unbeobachtet bleiben wollten, gab es eine Geheimtür. Als Frédéric Boucheron 1902 starb, blieb das Unternehmen bis 1994 in Familienhand. Heute, 160 Jahre nach der Gründung, gehört Boucheron zum französischen Luxusgüter-Konzern Kering und ist nicht nur an der Place Vendôme zu finden, sondern rund um den Globus - wo es sich die Menschen leisten können. Veronika Wulf

Daher schwimmen in den Fläschchen hipper Naturkosmetikfirmen gern echte Blätter oder Rosmarinzweige. Und die Werke zeitgenössischer Künstler von Daniël Ost bis Camille Henrot kreisen um Pflanzen und Vergänglichkeit. Aus der "Fremdbestäubung zwischen Kunst und Floristik", wie die Financial Times blumig formulierte, ist eine eigene Berufsgattung grüner Gestalter entstanden. Betätigungsfelder gibt es viele, etwa in Edelrestaurants mit der neuen Vorliebe für hängende Gärten und Dschungelinterieurs.

So sehr in der Smartphone-Welt die echte, knospende Natur den Nerv der Zeit zu treffen scheint (und mit allen Tricks konserviert werden soll): Das Spiel mit der Abstraktion gibt es auch. Vor allem unter jungen britischen Kreativen machen eine ganze Reihe Schmuckdesigner von sich reden, die romantische Motive von Rose bis Vergissmeinnicht verfremden. Rebecca Wilkes lässt für ihre preisgekrönten Colliers ganze Nylon-Blütenteppiche aus dem 3-D-Drucker, die dann in Pastelltönen bemalt werden. Donna Brennan überzieht ihren Blumenschmuck mit einer Schicht aus weißem Lack, was ihn wie versteinert wirken lässt. Verglichen mit dem Naturalismus der Maison Boucheron steckt in diesen Entwürfen eine spielerische Ironie. Es ist also für jeden Geschmack etwas zu haben. Und ein wenig günstiger ist er auch.

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