Kulturgeschichte der Schlafbrille:Bitte nicht stören

Kulturgeschichte der Schlafbrille: Die Welt soll bitte draußen bleiben: Audrey Hepburn 1961 als Holly Golightly in dem Film "Breakfast at Tiffany's".

Die Welt soll bitte draußen bleiben: Audrey Hepburn 1961 als Holly Golightly in dem Film "Breakfast at Tiffany's".

(Foto: Mary Evans/Imago images)

Sowohl Modelabels als auch Tech-Firmen interpretieren die Schlafbrille neu. Dabei schirmen die aktuellen Modelle nicht nur die Augen von der Außenwelt ab.

Von Kathrin Hollmer

Schlafen ist eine komplizierte Angelegenheit geworden. Ohne Melatonin-Spray auf der Zunge und Walgesängen auf dem Smartphone (mit Blaulichtfilter, versteht sich) gehen viele heute gar nicht mehr zu Bett. Aber auch das älteste Schlaf-Gadget der Welt, die Schlafbrille, wird gerade von Mode-Labels wie Tech-Unternehmen neu interpretiert.

Luxus-Anbieter wie Balenciaga und Gucci haben in der Vergangenheit edle Varianten des Accessoires präsentiert, zuletzt stellte Louis Vuitton - nicht gerade politically correct - eine Schlafbrille aus Nerz-Pelz und Seidensatin mit LV-Monogramm für gut 1000 Euro vor. Gleichzeitig experimentieren Start-ups mit smarten Augenmasken, die mit der Urschlafbrille nicht mehr viel gemein haben.

Kulturgeschichte der Schlafbrille: Mit geschlossenen Augen leider nicht zu sehen: Flauschige Schlafbrille mit Monogramm von Louis Vuitton

Mit geschlossenen Augen leider nicht zu sehen: Flauschige Schlafbrille mit Monogramm von Louis Vuitton

(Foto: Hersteller)

Das erste Patent für eine Schlafbrille meldeten die Kalifornier Elsie M. und Edward C. Hemphill im Jahr 1930 an. Ihre Erfindung war dank elastischer Schlaufen und einer Schnalle größenverstellbar, für Tragekomfort sorgten Polster um die Nase. Die Schlafmaske der Hemphills war schlicht und zweckmäßig, sie hatte nur eine Funktion: Instant-Dunkelheit herzustellen, den Tag zur Nacht zu machen, damit man auch tagsüber Schlaf findet oder die Augen vor grellem Licht schützt.

Das Zweckmäßige war bald passé. Bereits 1937 im Film "Stage Door" gingen Terry (gespielt von Katharine Hepburn) und Jean (Ginger Rogers) in ihrer Schauspielerinnen-WG in New York mit Schlafbrille zu Bett, um die Neon-Reklame vor dem Fenster auszublenden. Ihre Brillen aus Satin waren schon schicker, eine sogar mit geraffter Zierborte. Endgültig zum Mode-Accessoire wurde die Schlafmaske dank Audrey Hepburn: Als Holly Golightly in "Breakfast at Tiffany's" trug sie 1961 die wohl berühmteste Schlafbrille der Filmgeschichte. Ihren Schönheitsschlaf (der oft bis in den Nachmittag ging) hielt sie mit einer türkis-goldfarbenen Augenmaske mit aufgestickten Glitzer-Wimpern und -Augenbrauen sowie Fransen-Ohrstöpseln. Als die Türklingel ihren Kater und der wiederum sie unsanft weckte, schob sie sich die Brille lässig auf die Stirn und stolperte schlaftrunken durch die Wohnung.

Alltagsflucht to go

Holly Golightly hielt mit ihrer Schlafbrille nicht nur grelles Licht fern, sondern den ganzen Alltag. Sie war ja die Meisterin der Alltagsfluchten - entweder beim Schaufensterbesuch bei Tiffany's, im Abendkleid und mit Croissant und Kaffee in der Hand, oder eben mit der Schlafbrille, die die Welt um sie herum ausblendete.

Dank ihrer Filmfigur wurde die Schlafmaske ein Symbol für Eskapismus: Wellness zum Mitnehmen, ein Accessoire, das jederzeit Siesta ermöglicht und überall ein Urlaubsgefühl erzeugt. Fluggesellschaften verteilen sie bis heute auf Langstreckenflügen an die Passagiere, schlafende Gäste sind schließlich friedliche Gäste.

In der Mode taucht die Schlafbrille seit damals immer wieder auf, nicht nur als neckisches Accessoire für Nachtwäsche-Labels. Es gibt heute Modelle aus Seide, Samt oder Kaschmir, verziert mit Spitze oder eben im Holly-Golightly-Style, gefüllt mit getrockneten Lavendelblüten oder bedruckt mit Sprüchen. Das südkoreanische Label Andy & Debb schickte Models mit perforierten Schlafbrillen mit der Aufschrift "Fly me" auf der Stirn über den Laufsteg. Beim russischen Modeschöpfer Slava Zaitsev wirkten die schwarzen Schlafmasken wie Scheuklappen, beim Londoner Label KTZ erinnerten die Leder-Schlafbrillen an BDSM-Praktiken. Und Gigi Hadid trug bei der "Moschino x H&M"-Show 2018 in New York eine Augenmaske aus schwarzem Stepp-Leder mit goldfarbenen Moschino-Lettern auf der Stirn.

Der Schlafbrille, könnte man also denken, ist im Wesentlichen nichts mehr hinzuzufügen, doch bis heute treibt die Suche nach dem perfekten Modell Tüftler um. Manchmal geht es nur um Details. Die Firma Dr. Winkler aus dem oberbayerischen Ainring-Mitterfelden hat in den 70er-Jahren einen Nasenkeil erfunden, ein Stück Stoff, das die Passform der Schlafbrille verbessern und sie komplett lichtdicht machen soll. Der Stuttgarter Hals-Nasen-Ohren-Arzt Helmut Weidenmann hingegen hat eine Schlafbrille erfunden, die aussieht wie ein Mini-BH, mit Auswölbungen für die Augen, damit der Träger darunter die Lider bewegen kann und nicht mit den Wimpern an der Innenseite kratzt. Es wurden Schlafmasken speziell für Seitenschläfer entwickelt, die über die Schläfen reichen und nicht verrutschen sollen, und atmungsaktive Modelle, unter denen man auch im Sommer nicht schwitzen soll.

Kulturgeschichte der Schlafbrille: Jede Menge Zubehör für die perfekte Nacht: die "Mysleepmask".

Jede Menge Zubehör für die perfekte Nacht: die "Mysleepmask".

(Foto: Hersteller)

Die neue Generation Schlafbrillen ist multifunktional. In der Vox-Gründer-Show "Die Höhle der Löwen" wurde im vergangenen Jahr eine Schlafmaske vorgestellt, die komplett von äußeren Reizen abschirmt und nicht nur beim Einschlafen, sondern auch bei Migräne und anderen Kopfschmerzen helfen soll. Die "Mysleepmask" umfasst den ganzen Kopf, Schaumpolster halten die mitgelieferten Ohrstöpsel am Platz und im Stirn- und Nackenbereich sind Taschen für Kühl- oder Wärmekissen angebracht. Andere Modelle haben Platz für kühlende Gel-Pads, die gegen Augenringe oder geschwollene Augen helfen, oder Gewichte, deren Druck wie bei einer Gewichtsdecke beruhigend wirken soll. Und weil mit Bluetooth alles besser ist, wird natürlich auch die Schlafbrille seit ein paar Jahren smart.

In den USA wurde bereits vor vier Jahren die intelligente Augenmaske "Dreamlight Zen" vorgestellt, die mit orangefarbenem Licht und einer Stimme oder Naturgeräuschen aus dem Lautsprecher abends in eine Art Meditation führt und morgens wieder aufweckt. Die Maske sammelt außerdem Daten, zum Beispiel über die Herzfrequenz und die Bewegungen des Trägers in der Nacht. In der dazugehörigen App werden die Daten ausgewertet. Die futuristisch anmutende Brille kostet rund 280 Euro und soll vor einer anstehenden Reise auch den Jetlag wegprogrammieren können.

Kulturgeschichte der Schlafbrille: Hightech im Bett: Die "Dreamlight Zen" wertet Daten zur nächtlichen Herzfrequenz aus oder weckt den Träger mit einer Meditation.

Hightech im Bett: Die "Dreamlight Zen" wertet Daten zur nächtlichen Herzfrequenz aus oder weckt den Träger mit einer Meditation.

(Foto: Hersteller)

Inzwischen sind zahlreiche smarte Schlafbrillen auf dem Markt, die wahlweise ein "Spa Treatment" für die Augen (dank Augenmassage oder durchblutungsförderndem Infrarotlicht), absolute Nachtruhe (dank integrierten Bluetooth-Kopfhörern) oder Tiefenentspannung (dank NASA-Lichttechnologie, die einen virtuellen Sonnenuntergang abspielt) versprechen.

Und was sagt die Schlafforschung?

"Ein gesunder Schläfer braucht weder eine Schlafbrille noch Oropax", sagt Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité in Berlin. "Einem schlechten Schläfer kann eine Schlafbrille helfen, denn für sensible oder schlechte Schläfer ist Licht ein echter 'Schlafkiller'." Dunkelheit hilft beim Einschlafen, weil der Körper dann das Schlafhormon Melatonin ausschüttet. "In den Sommermonaten, wenn man die Wohnung nicht richtig abdunkeln kann, auf Reisen, bei Jetlag oder wenn man aufgrund von Schichtarbeit tagsüber schlafen möchte, macht eine Schlafbrille aus schlafmedizinischer Sicht durchaus Sinn", so Fietze.

Von zu viel technischem Schnickschnack hält der Schlafmediziner allerdings nichts. Zu kompliziert in der Bedienung soll die Augenmaske nicht sein, am wichtigsten sei, dass sie angenehm sitzt. "Einen sensiblen Schläfer stört alles, was kratzt, spannt oder verrutscht", sagt Fietze und warnt vor großen Hoffnungen: "Es ist wie bei Matratzen: Es gibt keine Schlafbrille, bei der wissenschaftlich nachgewiesen wurde, dass sie wirklich hilft." Am wichtigsten, da ist sich die Schlafforschung einig, ist, dass man vor dem Schlafengehen abschaltet. Der Inhalt von Arbeitsmails stört die Nachtruhe eher als das Blaulicht des Displays.

Auch die einfachste Schlafbrille hilft, Nachrichten über Corona-Fallzahlen, Klimakrise und Krieg zumindest kurzfristig auszublenden, und praktischerweise signalisiert sie auch dem Umfeld, dass man seine Ruhe haben will, wie ein "Bitte nicht stören"-Schild zum Mitnehmen. Ein Rückzug vom Alltag, das ist eine Abendroutine, die auch die Schlaf-Forschung befürwortet. Bluetooth und Augenmassage braucht es dafür nicht. Auch die Jury des Designwettbewerbs Red Dot Award begründete ihre Auszeichnung für die "Dreamlight Zen" nicht mit der technischen Finesse oder dem futuristischen Design, sondern damit, dass sie ihre Benutzer wirkungsvoll abschirmt und so einen Ort des Rückzugs schafft - egal, wo man sich befindet.

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