Süddeutsche Zeitung

Schaukel im Trend:Einfach hängen lassen

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Ob im Garten, im Büro oder der Bar: Schaukeln für Erwachsene sind ein Riesenthema dieses Sommers. Das sanfte Schwingen soll sogar gesund sein.

Von Claudia Fromme

Wenn man das Hotel Lulu Guldsmeden in Berlin bucht, kann es passieren, dass auf dem Bett eine Schaukel liegt, die man an zwei Haken an der Decke einklinken kann, um lustig wie ein Kind durchs Zimmer zu schwingen. Auf dass Gefühle von Geborgenheit wach werden und die Gäste sich an den Duft des Apfelbaumes erinnern, unter dem sie früher womöglich ganze Sommer verschaukelten. Die Besitzer des Hotels sind Dänen, Hyggeligkeit ist also kein Zufall.

Schaukeln für Erwachsene sind großes Gefühlsinterieur und ein Riesenthema dieses Sommers. Entsprechend groß ist auch die Auswahl. Puristen reicht eine schlichte Planke mit bunten Seilen von Lillagunga. Aber weil Distinktion Erwachsenen wichtiger ist als Kindern, hat der Hersteller auch das Modell "Grand" im Programm, bei dem man sich Material und Farbe für Brett und Seile individuell zusammenstellen kann. Wer will, bekommt seinen Namen ins Holz gebrannt. Empfohlen wird die Schaukel für den Garten, das Büro oder auch die Bar.

In Zeiten, in denen die Grenze zwischen Drinnen und Draußen schwindet und Gärten wie Wohnzimmer möbliert sind, verwundert es nicht, dass fast alle Designschaukeln im Haus wie in der Natur genutzt werden können. Fehlt ein Baum, gibt es ein passendes Gestell. Dazu liefern die Designer viel Philosophie. Wohl auch, weil die meisten Erwachsenen sich niemals ohne einen theoretischen Überbau (also ohne Rechtfertigung) auf ein Kinderspielzeug setzen würden. Häufig ist die Rede von einem Design für Menschen, die "jung im Herzen" geblieben sind. Auch die Vokabeln "Natur", "organische Form" und "amorph" gehören fast schon zum Standard.

Die Sitzlandschaft kostet knapp 10 000 Euro. Immerhin soll sanftes Schaukeln gesund sein

Bei den Schwingmöbeln des südafrikanischen Studio Stirling stehen Blätter, Äste und Wolken Pate, und so schaukelt man bei dem Modell "Leaf" auf einem hochpolierten Aluminiumblatt. Wer es bequemer will, hängt sich das knubbelige Schaukelkissen "Bouli" der Firma Noti auf. Für mehr Erdung werden die Seile gekappt und konische Holzbeine oder Stahlfüße darunter geschraubt. Doch wer will schon Erdung? Schließlich beschreibt die Forschungsliteratur die positive Wirkung des Schaukelns. Bekannt ist, dass sanftes Schwingen wohltuend ist für das Gleichgewicht im Innenohr - und für das der Seele. Der Muskeltonus verbessert sich, Stress wird abgebaut, Analytiker erinnern an die erste Wiege, den Mutterleib. Forscher der amerikanischen Universität Rochester beobachteten in einem Pflegeheim, dass regelmäßiges leichtes Schaukeln sogar Schmerzen lindert.

Das Feld der Schaukeln für Erwachsene ist weit, mal geht es um Bretter für 200 Euro, mal hängt eine ganze Sitzlandschaft für gut 10 000 Euro am Baum. Im Segment dazwischen finden sich Hängesesselklassiker wie "Nautica" von Expormim für 2250 Euro, der mit seinem groben Rattangeflecht wirkt wie eine riesige Blumenampel.

Aufwändigere Konstruktionen zitieren oft den Designer Eero Aarnio, der in den Sechzigern den "Bubble Chair" entwarf, eine hängende Sitzhalbkugel für den Wohnorbit. Deutlich davon inspiriert ist etwa Studio Sterling mit dem Hängesitz "Bubble" aus geometrischen Stahlstreben, gern in Rosa, Lila oder Blattgrün. Noch minimalistischer geht die polnische Designerin Iwona Kosicka mit ihrem Entwurf "Swing" ans Werk, der als schlichter Holzreifen mit erweiterter Sitzfläche am Baum organisch anmutet und im Raum luftiger ist als jeder Sessel mit Beinen. Wer sich in so einen Reifen setzt, darf sich extrem nachhaltig fühlen.

Der französische Designer Daniel Pouzet lässt sich ebenfalls von der Natur leiten. Die kokonartigen Hängenester der afrikanischen Webervögel nimmt er in seiner Linie "Nestrest" für Dedon auf. Die Menschenschaukel besteht aus allwettertauglichem Plastikrattan, im oben spitz zulaufenden Nest sind Kissen ausgebreitet. Wer sich diese Mikroarchitektur in den Garten hängen möchte, zahlt an die 10 000 Euro.

Pouzet hat diverse Kokons designt, die heimeligen Schutz bieten bei gleichzeitig freier Sicht durch die luftig geflochtene Struktur. Als Vereinzelungsmöbel sind sie aber nicht gedacht. Pouzet schwebt vor, dass sein Miniraum, den Nestern der Webervögel gleich, in einer Kolonie angeordnet ist. Schaukeln stifte Gemeinsinn, erklärt er, und der scheint im durchgestylten Garten recht teuer geworden zu sein.

Auch Künstler sind längst vom Gemeinsinn des Schaukelns beseelt. In der Tate Modern in London standen gerade zwei Dutzend Dreierschaukeln der Künstlergruppe Superflex, in denen man nur gemeinsam richtig Schwung bekam. Die Stadt Boston lud schon mit beleuchteten Ringen der Architekten Höweler und Yoon zum öffentlichen Stressabbau ein. Und das Karlsruher Kollektiv mit dem schönen Namen Butternutten AG hat Stahlringe in U-Form erfunden, die als Installation an einer Endhaltestelle der Tram standen. Die Leute wollten gar nicht mehr aufhören, zu schaukeln.

Wer gar schwingend am Tisch sitzen möchte, wählt den "Swing Table" von Duffy London, der aussieht wie ein Himmelbettgestell, an dem eine Tischplatte, acht Sitze und eine Lampe an Drahtseilen baumeln. Designer Christopher Duffy sieht die Besonderheit der Konstruktion darin, dass sie "einen Raum in einem Raum" darstellt, in dem alles fließt. Wie man Suppe in dem Ensemble essen soll, sagt er natürlich nicht. Aber um praktische Aspekte geht es hier zuallerletzt.

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Quelle:
SZ vom 04.08.2018
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