Gemüse:Spargel: alles kerzengerade Langeweile?

Stangenware

Frischer weißer und grüner Spargel aus Brandenburg.

(Foto: dpa)

Jedes Jahr gibt es mehr Spargel - oft genormte Turbostangen, die unter Folie gedeihen. Doch die Kritik an der Massenware wächst.

Von Oliver Zelt

Der Chef des Sternelokals "Einsunternull" ist auf Einkaufstour. Und dafür fährt Ivo Ebert nicht mal so eben um die Ecke. Weit außerhalb Berlins zieht die Landschaft des märkischen Sandes an ihm vorbei, knorrige Kiefern, hubbelige Wiesen. Spitzenköche lassen sich gern beliefern, selten machen sie sich selbst auf den Weg. Es muss also schon etwas Besonderes sein, was hier auf dem Land auf Ebert wartet. Es geht um Spargel.

Das klingt wie ein Witz angesichts der Berge von Qualitätsware, unter denen sich derzeit die Marktstände biegen. Doch der Koch will Spargel, der ohne Folien wächst. Und der ist tatsächlich eine Rarität.

In Havelsee bauen Paul Schulze und seine Tochter Kirstin auf zwölf Hektar nur alte Sorten an, Helios oder Eros. Die wachsen in Erdhügeln ohne Abdeckung weniger gerade. Wenn die Spitzen die Erde durchbrechen und Licht bekommen, verfärben sie sich violett, grün oder blau. Die Demeter-Bauern freut die Farbe, sie wissen, dass die Stangen nicht nur süß schmecken, sondern dazu leicht bitter und wunderbar nussig. Die Schulzes verzichten für dieses Aroma sogar auf die Hälfte des Ertrags. "Ja, Spargel kann auch herb und bitter sein", erklärt Ebert begeistert. "Wir haben verlernt, das als bereichernd zu empfinden, wir sind leider versüßt und versalzen." Der Berliner Koch weiß: "Was Zeit bekommt zum Wachsen, das schmeckt auch besser."

Ebert hat sich "das Auto vollgedonnert". In Kisten liegen perfekte weiße Stangen neben krummen mit grün-violetten Köpfen. Am liebsten hätte der Koch noch "diesen genialen Kuhspargel, verknorkst und verwachsen" und so dünn, "dass man ihn mit Schale essen kann, unglaublich intensiv", schwärmt er. Mit weißen, blauen, grünen und braunen Köpfen. Aber Schulze verfüttert die Stangen an seine Kühe. "Das ist halt die Macke solcher Leute." Ivo Ebert meint das mit Respekt. Er mag, dass Schulze keine Kompromisse kennt. Folie? Niemals. "Darunter wird der Boden nicht richtig durchlüftet", sagt der Spargelbauer.

Die Fahrt nach Havelsee ist nur der Auftakt aller Mühe. In der Küche des Einsunternull macht sich die Crew bald ans Schälen. Danach braucht es "Glas, Gummi und Geduld", erklärt Ebert. Die Stangen steckt er in Weckgläser, dazu kommen Wasser und Salz. Eine schlichte Mischung. Das Gemüse fermentiert eine Woche bei Zimmertemperatur, dann wandern die Gläser in den kühlen Keller. Auch um den Gärprozess zu stoppen. Damit das volle spargelige Aroma erhalten bleibt. All die süßen und bitteren Töne soll man noch schmecken können, wenn die Saison lange beendet ist.

Die belgische Spargelsaison hat dieses Jahr im Januar begonnen

Aber lohnt der Aufwand? Drei Stunden Fahrt für Spargel, der so kultiviert wird wie früher? Ist das dem Wetter ausgesetzte Gemüse wirklich besser als Stangen, die unter Folie wachsen? Ja haben die Plastikbahnen sogar den wahren Geschmack auf dem Gewissen, wie Puristen behaupten?

Nicht nur Köche, sondern auch immer mehr Gourmets sind begeistert, wenn auf ihren Tellern heute ein Mix aus geraden und krummen, violetten und grünen Spitzen liegt. Genussvoll dozieren sie dann, dass jede Stange eine andere Nuance habe.

Peter-Jürgen Paschold, der jahrelang das Fachgebiet Gemüsebau an der Forschungsanstalt im baden-württembergischen Geisingen leitete, ist da ganz anderer Meinung: Die Folie reduziere nicht das Spargelaroma, erklärt Paschold. Er sieht nur Vorteile. Der Spargel reife gleichmäßig, die Planen speicherten Feuchtigkeit und beugten so einer vorzeitigen Verholzung vor: "Das verbessert sogar den Geschmack."

Unbestritten ist, dass sich durch die Folienvielfalt die Ernte steuern lässt. Ist es für das edle Gemüse zu kalt zum Wachsen, wie gerade in der Osterwoche, dann zieht schwarzes Plastik Wärme an. Scheint die Sonne zu heiß, weist weiße Folie die Strahlung zurück. Gewiefte Anbauer verlängern mit doppelstöckigen Folienkonstruktionen die Saison, die jedes Jahr am 24. Juni endet, damit sich die Pflanze erholt.

So wurde die Spargelzeit stetig ausgeweitet. Jubelten Gärtner und Gourmets vor 20 Jahren noch, wenn sie die ersten lauen Maitage mit einem Spargelessen feiern konnten, öffnen viele Höfe ihre Läden heute zwei Monate früher. In diesem Jahr begann die Ernte in Niedersachsen bereits in der ersten Märzwoche. Möglich machen das Bodenheizungen. Rohre leiten Restwärme aus Biogasanlagen, Tagebauwasser oder Hackschnitzelöfen unter die Erde. Ganz Gewitzte lassen den Spargel gar in Gewächshäusern treiben. In Belgien konnte ein Spargelbauer so schon am 30. Januar die ersten beiden Stiegen präsentieren.

Viele Bauern sehen einen weiteren Vorteil: Dunkle Folien garantieren schneeweiße Köpfe, die den meisten Käufern wichtiger sind als eine Spargelwürze, die aus mehr besteht als dem Salz im Kochwasser. Bereits zarte Violett-Töne in den Spitzen gelten als Makel. Je farbiger, desto preiswerter sind die Stangen. Die Karriere des formvollendeten weißen Spargels begann in den Siebzigern. Damals fanden Züchter, man brauche neue Sorten, die mehr Ertrag liefern und länger haltbar sind. Es war der Grundstein für zwei Spargellager: Was die einen für appetitlich und praktisch halten, finden andere zu fade und zu gerade. Derzeit wächst die Zahl der Aroma-Jünger.

"Wenn ich den auf den Teller lege, muss ich viel erklären"

Bei der "Südwestdeutschen Saatzucht", einer Firma mit mehr als hundertjähriger Spargelzuchterfahrung, monierte man bereits vor Jahren, dass der Massenanbau zu einem schlichten, wässrigeren Geschmack führt. "Das Blut der alten Sorten" wollen die Experten aus dem baden-württembergischen Rastatt daher nun vermehrt in die Neuen einkreuzen. Historische Spargelsorten wachsen nur noch auf wenigen Äckern. In Brandenburg sind es oft "Huchels Alpha", die der Märker August Huchel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts züchtete. In Süddeutschland gibt es den "Schwetzinger Meisterschuss", den die "Südwestdeutsche Saatzucht" auf den Markt brachte. Tatsächlich ist es kein Ackerlatein, dass bei solchen Sorten fast jede Stange ein klein bisschen anders schmeckt. Bei manchem Gourmet lösen schon Namen alter Sorten wie "Ruhm von Braunschweig" und "Mary Washington" Begeisterung aus.

Sternekoch Dirk Maus etwa schwört auf den "Schwetzinger Meisterschuss" von Bauer Klaus Böll in Essenheim bei Mainz. "Ein Traum", sagt Maus, "mit mehr Volumen auf der Zunge und am Gaumen; der Kopf schmeckt schon mehr nach Gemüse." Für seine Überzeugung nimmt der Chef des "Sandhofs" in Heidesheim am Rhein in Kauf, dass der "Meisterschuss" langsamer wächst, also erst auf den Markt kommt, wenn einige den Spargel schon über haben. Auch "wird dieser Spargel beim Kochen leicht grünlich. Wenn ich den auf den Teller lege, muss ich viel erklären."

Deutscher Spargel war einst Luxusware

Die Leute seien geprägt von "Güteklasse 1, kerzengerade, schneeweiß", klagt Maus. Für sein Lokal kauft er daher reinweiße Stangen beim Hof um die Ecke zu. Ein Kompromiss für seine Gäste. Missioniert wird in Raten. Maus serviert das königliche Gemüse mit Kalbsfilet oder Schnitzel. Aber auch als Spargelsalat mit Erdbeeren und lila Kartoffeln. Außerdem schlägt der Koch vor, mal "zwei verschiedene Spargelsorten, in zwei verschiedenen Töpfen zu kochen, um dann den Unterschied zu schmecken". Aber wer macht das schon?

War deutscher Spargel einst rare Luxusware, so liegt er heute selbst bei Discountern massenweise im Regal. Im vergangenen Jahr wuchs Spargel auf 27 000 Hektar, das ist fast ein Viertel der gesamten deutschen Freilandfläche im Gemüseanbau. 95 Prozent aller Spargelbeete sind mit Folien bedeckt. Sie machen schwere, lehmige Böden feucht, warm und locker. Und so wächst Spargel mittlerweile auch dort, wo noch vor Kurzem kein erfahrener Bauer auf die Idee gekommen wäre, auch nur eine einzige Pflanze in den Boden zu setzen.

Auch die Rehms aus Linden nördlich von München haben es mit Folie versucht. Ein Fünftel des Ackers hatten sie für eine Saison abgedeckt, nach der Ernte gab es ein Testessen im Familienkreis. "Uns hat Folienspargel nicht geschmeckt", erinnert sich Josef Rehm, "eigentlich schmeckte nur der Kopf." Das mit der Folie lässt er nun. Lieber setzt der Spargelbauer aus der Nähe von Schrobenhausen auf Außergewöhnliches. Rehm bietet eine weiße Spargelsorte an, die grün auswächst und deren Köpfe aufspringen. "Etwas für Liebhaber. Er schmeckt ein wenig nach Broccoli."

Wer solche Sorten nach alter Tradition einlegt, genießt dank Milchsäure-Gärung das ganze Jahr über Spargelsaison. Wenn Ivo Ebert vom Berliner Einsunternull die Gläser der Ernte von 2016 öffnet, ist er begeistert. Der Spargel ist immer noch "knackig, bissig und überhaupt nicht weich".

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