Samstagsküche:"Sellerie hat mein Leben verändert"

Lesezeit: 7 Min.

Der Schweizer Daniel Humm über das Kochen an der Weltspitze, Täuschung als gastronomisches Erfolgsrezept und den Fast-Food-Ekel seiner Kinder.

Interview von Sacha Batthyany

SZ: Herr Humm, über Ihren Aufstieg zum "besten Koch der Welt" gibt es drei Anekdoten, die zu gut klingen, um wahr zu sein. Sie handeln von Täuschung, Tod und einer Pizza.

Daniel Humm: Täuschung und Tod? Schießen Sie los.

Vor gut acht Jahren meldete sich der berühmte Gastrokritiker Frank Bruni in ihrem Restaurant an, das damals nicht gut besucht war. Also luden Sie 50 Freunde ein, die eine fantastische Stimmung inszenierten. Bruni gab Ihnen vier Sterne in der New York Times . Der Ritterschlag. Seither sind Sie ausgebucht.

Stimmt.

Ihr Erfolg beruht also auf Schwindel?

Die Qualität des Essens musste ja trotzdem stimmen. Aber wer will einem Restaurant schon Höchstnoten verteilen, das halb leer ist? Bruni kam mitten in der Rezession, da trifft es neue Lokale ohne Stammpublikum am härtesten. Schwindel? Ich weiß nicht. Um Erfolg zu haben, tut man eben, was man kann.

Als Sie im "Gasthaus zum Gupf" in der Schweiz kochten, wollten Sie mal morgens auf den Markt in Zürich fahren. Sie kamen von der Straße ab und hatten einen schweren Unfall. Sie nahmen sich ein anderes Auto, fuhren aber nicht in die Klinik, sondern zum Markt - für frische Kräuter, die Sie ins Lokal brachten . Erst danach ließen Sie sich behandeln.

Stimmt nicht ganz. Ich kaufte Salate.

Sie wären fast gestorben wegen - Salat?

Ich war erst neulich wieder da oben, im Restaurant Gupf, und sah auch den Baum, der mir das Leben gerettet hat. Es war ein verschneiter Morgen, mein Wagen kam ins Rutschen, doch der Baum hat mich aufgehalten. Ich habe erst auf der Rückfahrt darüber nachgedacht, wie viel Glück ich hatte.

Drittens: In Ihrem Restaurant "Eleven Madison Park" hat einer Ihrer Kellner gehört, wie ein Gast zu seiner Frau sagte, am liebsten hätte er jetzt ein Stück Pizza. Worauf Sie ihm, zwischen zwei Gängen, auf Karton eine Pizza servierten.

Korrekt. Es gehört zum Konzept, dass wir alles tun, um Gäste glücklich zu machen.

Heißt das: Sie würden für Ihren Erfolg sterben, aber Sie täten es mit Humor?

Ich mag es, wenn alles leichtfüßig wirkt. Man darf einem Gericht oder der Bedienung nicht ansehen, wie viel Aufwand dahintersteckt. An meinen Gerichten wirken Dutzende Köche mit, oft gibt es monatelange Vorarbeit dafür. Doch wenn der Gast das Endprodukt auf dem Teller sieht, soll er davon nichts spüren. Es soll wirken, als wäre das Essen vom Himmel gefallen.

Ihr Restaurant ist im April von der "50 Best"- Liste zum besten der Welt gekürt worden. Wie fühlt sich das an?

Ich denke da sicher nicht täglich dran. Mir ist wichtig, bei dem ganzen Trubel auf dem Boden zu bleiben.

Eine Schweizer Tugend.

Mag sein. Seien wir ehrlich: Es stellt sich die Frage, ob es so etwas wie das beste Restaurant der Welt überhaupt geben kann.

Machen solche Listen keinen Sinn?

Man muss sie richtig lesen. Denn eigentlich ist es doch wie in der Kunst oder Architektur: Vieles ist Geschmackssache und dazu eine Trendfrage. Dennoch halte ich die Listen für sinnvoll, weil sie Ziele definieren. Sie haben uns besser gemacht. Ich wollte schon meine Ausbildung mit der besten Prüfung beenden, was mir gelang. Ich bin früher oft Radrennen gefahren, da wollte ich auch stets gewinnen. Als ich merkte, dass andere schneller sind, trotz Training, ließ ich es bleiben. Man braucht Ziele.

Wie war die Küche Ihrer Kindheit?

Wir lebten auf dem Land, in Schinznach-Dorf, außerhalb von Zürich. Meine Mutter hat zweimal am Tag gekocht und ihre Produkte auf dem Markt eingekauft. Wenn es mal Fleisch gab, dann wurde alles verwendet. So kaufte sie etwa am Donnerstag ein Huhn, am Freitag gab es vielleicht die Lebern mit Salat, am Sonntag das gebratene Huhn aus dem Ofen, am Montag dann eine Suppe mit den Resten. Als Kind habe ich nie verstanden, warum ich stundenlang Walnüsse knacken und zerkleinern musste, wenn meine Mutter Kuchen backen wollte. Warum wir nicht, wie andere Familien, eine Fertigmischung kauften. Heute bin ich froh um die Arbeit in der Küche meiner Mutter. Es war die beste Schule.

(Foto: Getty Images/Getty Images Entertainment/Getty)

Es ist ein langer Weg von Schinznach bis zum Central Park. Was ist der Preis?

Ich habe drei Kinder, zwei sind noch klein, meine älteste Tochter ist auf der Hotelfachschule in der Schweiz. Ich kann die jüngeren am Morgen nie zur Schule fahren, weil ich immer in der Küche stehe. Das ist jammerschade, aber dafür habe ich andere Dinge, die ich ihnen bieten kann. Ich hoffe, ich bin für sie eine Art Inspiration. Ich lebe meinen Traum, arbeite mit Leidenschaft. Und ich mache jeden Morgen Frühstück!

Was gibt es denn?

Normales wie Eier, Brot, Konfitüre, Käse. Frühstück ist mein liebstes Essen - ein Moment, den ich sehr schätze. Ich nehme mir dafür viel Zeit, bis zu 45 Minuten. Danach wird alles hektisch, und es wird schwierig, sich nur für fünf Minuten hinzusetzen.

Welche Fast-Food-Kette bevorzugen Ihre Kinder?

Meine Kinder rühren Hamburger und all das Zeugs zum Glück nicht an. Ihr Leibgericht ist Spaghetti mit Tomatensoße. Es scheint, als hätte ich etwas gut gemacht. Bei uns gibt es keine Extrawürste. Meine Kinder essen, was auf den Tisch kommt, es sei denn, es ist sehr scharf. Wenn sie etwas nicht mögen, dann haben sie halt Hunger.

Viele Topköche haben Burn-outs, manche Drogenprobleme. Man sagt, Köche würden sich ums Wohl der anderen kümmern und sich selbst dabei vergessen.

Da ist was dran. Unser Gewerbe muss alles möglich machen: Hochzeiten, Bankette, Sonderwünsche - wir sind im Ja-Business. Gastgeber, die immerzu lächeln. Aber wir müssen lernen, auch Angebote abzulehnen, was nicht leicht ist. Dazu kommt, dass ich in New York lebe, hier sind Künstler, Musiker und Designer versammelt, alle wollen gemeinsame Projekte, die alle spannend klingen. Ich muss mich beschränken.

Hat Sie Ihr Erfolg verändert?

Mich kann man für gute Ideen noch immer schnell begeistern. Aber ich bin verschlossener als früher, weil alle, die in mein Leben treten, etwas von mir wollen. So bin ich ein wenig zum Einzelgänger mutiert. Ich habe nur wenige Freunde.

Ihr Vater war gegen Ihre Entscheidung, Koch zu werden, oder?

Ich bin in einer einfachen Familie aufgewachsen, doch mein Vater hat sich hochgearbeitet, hatte Erfolg als Architekt. Beide Eltern hatten hohe Erwartungen an mich, gerade mein Vater war über meine Berufswahl nicht glücklich. Ich wollte ihm beweisen, dass ich es schaffe. Mit 15 zog ich zu Hause aus. Manchmal wäre es schön gewesen, mehr Unterstützung zu erhalten.

Kochen Sie für Ihre Eltern?

Ab und zu. Aber am liebsten mag ich es, wenn meine Mutter für mich kocht.

Wird sie da nicht nervös?

Ach was, sie ist meine Mutter! Bei Einladungen bin ich ein einfacher Gast und froh, wenn ich nicht kochen muss.

Ihr Bruder ist auch Koch - in einem Restaurant in der Schweiz. Wird nicht ganz einfach sein für ihn in Ihrem Schatten.

Nein, das ist es sicher nicht.

Was ist Ihr wichtigstes Gericht?

Knollensellerie in der Schweinsblase mit Trüffel, es hat mein Leben verändert.

Wie das?

Inspiriert hat mich ein Werk des Italieners Lucio Fontana im Guggenheim-Museum. Als ich das Gericht vor zwei Jahren kreierte, hatte ich zum ersten Mal im Leben das Gefühl, meinen Stil, meine Sprache gefunden zu haben. Eine Genugtuung! Auf diesem Gericht soll in Zukunft alles aufbauen. Ich habe dem Sellerie viel zu verdanken.

Das müssen Sie erklären.

Auf Basis dieses Gerichtes haben wir die vier Grundpfeiler unserer Küche definiert. Das Irre ist: Ich koche seit 25 Jahren, aber es fühlt sich so an, als stünde ich erst am Anfang. Nun gibt es kein Gericht mehr bei uns, das nicht auf den vier Säulen beruht.

Und die wären?

Erstens muss es köstlich schmecken. Da gibt es nichts zu überlegen, entweder es schmeckt oder eben nicht. Die zweite Säule: Es muss schön sein, im Sinne von mühelos und perfekt. Wobei Perfektion nicht messbar sein darf, man muss sie fühlen. Als drittes kommt die Kreativität. Jedes Gericht braucht eine Überraschung, irgendetwas Neues, sonst kommt eine Küche nicht weiter. Und zu guter Letzt: Die Gerichte müssen eine Geschichte erzählen.

(Foto: N/A)

Zum Beispiel?

Vielleicht stammen die Zutaten alle vom selben Bauernhof? Oder es handelt sich um Kindheitserinnerungen. Die vier Komponenten stehen übrigens in Konkurrenz zueinander. Die Kreativität steht dem Geschmack oft im Weg - manchmal sieht etwas sehr schön aus, ist aber fad.

Soll das heißen, Sie haben erst an der Weltspitze zu sich selbst gefunden?

So ist es. Davor war ich immer auf der Suche. Oft ging ich bei früheren Gerichten in die richtige Richtung, aber ich konnte die Dinge noch nicht klar formulieren. Als ich begann, kreativ zu kochen, damals im "Gasthaus zum Gupf", da ist alles intuitiv passiert. Ich kochte, ohne nachzudenken. Diese ersten Schritte sind etwas sehr Natürliches und Persönliches. Es ist vielleicht die purste Form der Kreativität, noch ganz unberührt von späteren Eindrücken und dem ganzen Wissen. Heute studiere ich mit meinem Team in New York alle meine Gerichte von damals. Wir wollen verstehen, was ich damals tat. Wir wollen zurück in dieses Gefühl der reinen Kreativität.

Klingt wie Psychoanalyse am Herd.

Kann man so sagen. Meine Freundin ist Künstlerin, sie denkt ziemlich ähnlich. Womit ich nicht sagen möchte, dass Kochen Kunst bedeutet. Aber diese Suche nach einer eigenen Ausdrucksweise, da gibt es schon Gemeinsamkeiten. Der Künstler Paul McCarthy sagte mir, mein Selleriegericht sei wie ein Gemälde von Robert Ryman. Ein Künstler, den ich verehre. Sehr minimalistisch, gleichzeitig intensiv. Das hat mich wirklich gefreut.

Wie entsteht bei Ihnen ein Gericht?

Ich habe ein Kreativteam, das sich nur um neue Gerichte kümmert. Jeden Morgen treffe ich mich mit diesen Köchen und wir diskutieren, probieren, entwerfen und verwerfen. Wir dokumentieren jeden Schritt. Alles wird fotografiert und wandert ins Archiv. Es kann ja sein, dass wir bei einem Gericht nicht weiterkommen und zwei Jahre später eine Lösung dafür finden.

Sie sind verrückt.

Wer in der Gastronomie stehen bleibt, kann einpacken. Wir haben noch so viel vor! Wir sind ja mittlerweile ein Team von fast 600 Menschen; aus allen möglichen Bereichen. Unser Eleven Madison Park wird gerade renoviert. Wir eröffnen ein zweites "Nomad-Hotel" in Los Angeles. In New York gibt es jetzt das "Made Nice", unser preisgünstiges Lokal. Und ich will Kinderbücher übers Essen schreiben.

Essen ist, mehr denn je, zum Lifestyle geworden: M enschen stellen Fotos ihrer Speisen ins Netz . Gourmettouristen reisen um die Welt, um einmal Moosflechten in Nordschweden zu essen. Köche wie Sie wurden zu globalen Superstars.

Tatsächlich. Als ich noch in der Ausbildung war, hat sich niemand für uns interessiert. Mich freut es natürlich, dass sich Menschen mit dem Essen auseinandersetzen, aber manchmal wird es selbst mir zu viel. Sie sind bei Jimmy Fallon in der "Tonight Show" aufgetreten und haben Vorträge in Harvard gehalten. Wie wohl ist Ihnen außerhalb der Küche?

Es mag locker und lustig aussehen, aber ich bereite mich stundenlang vor. Meine Vorträge an der Harvard-Universität waren ein berufliches Highlight. Ich bin mit 14 von der Schule ab. Jetzt spreche ich in einer der berühmtesten Unis der Welt.

Haben Sie darunter gelitten, die Schule nicht beendet zu haben?

Nein. Das war eine meiner besten Entscheidungen.

Was halten Sie eigentlich von Menschen, denen Essen egal ist?

Kann ich nicht verstehen. Das wäre so, als wenn jemand sagte, er interessiere sich nicht für Natur.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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