Samstagsküche:"Ich bin noch hungrig"

Der schwedische Starkoch Magnus Nilsson hat für sein Buch "Nordic" Küchen von Helsinki bis Reikjavík besucht. Er spricht über den Reiz von Robbensuppe, Sexismus am Herd und das Ende des Hypes um die nordische Küche.

Interview von Verena Mayer

Die nordische Küche ist ja auch ein wenig die Retrobewegung der Kulinarik. Ein Haufen junge Leute, die zwischen Kopenhagen und Polarkreis vor allem eines tun: jagen und sammeln. Auf den Teller kommen dann Blätter und Flechten vom Baum, Getier aus dem Bach oder vom Wegesrand, Blut von der Gans und Herz vom Rentier, Hauptsache saisonal und aus der Region. Magnus Nilssons Restaurant "Fäviken" gilt in der internationalen Gastroszene schon länger als erste Anlaufstelle für alles, was im Norden frisch und irre ist. Eine alter Speicher im schwedischen Nirgendwo, wo Nilsson für maximal zwölf Leute kocht. Zuletzt ist er drei Jahre lang herumgereist und hat zwischen Grönland und Finnland alle Rezepte eingesammelt, die er finden konnte. Beim Gespräch in einem Hotel in Berlin-Mitte sagt der 32-Jährige über sein ziegelschweres Kompendium mit dem Titel "Nordic" (bei Phaidon), die Sammlung sei noch lange nicht vollständig. So fehlten noch die meisten Desserts.

SZ: Herr Nilsson, In Ihrem Kochbuch finden sich Dinge wie Blutpfannkuchen, Verrotteter Hai oder Eissturmvogeleier in Curry-Sahne-Sauce. Was soll das? Oder besser gefragt: Wer soll das kochen?

Magnus Nilsson: Jeder, der gerne isst. Die meisten Gerichte sind sehr normal, wir im Norden essen ja nicht täglich Elch. Generell ist die nordische Küche die am meisten missverstandene der Welt. Man kennt entweder die gehypten Restaurants wie das Noma oder die Fleischbällchen von Ikea. Da wollte ich den Norden einmal in seinen Nuancen darstellen. Wer italienisch oder französisch kochen will, der findet ja auch etwas über jede Feinheit, jede Region.

Italien oder Frankreich sind vergleichsweise klein, der Norden reicht von Grönland bis nach Karelien an der russischen Grenze. Ist es auch größenwahnsinnig, das alles in einen Topf zu werfen?

Sagen wir so: Das Nordische als nordisch zu beschreiben - da bin ich Pionier. Keiner, der im Norden lebt, würde sich schließlich nordisch nennen. Ich bin Schwede, ein Däne ist dänisch. Zudem wird die nordische Esskultur nicht von Restaurants getragen wie in Paris, Rom oder Madrid, sondern vor allem von Privatleuten. In Stockholm, Helsinki oder Kopenhagen aß man früher nur auswärts, wenn es etwas zum Feiern gab. Und als Essengehen Teil des Lebensstils wurde, haben sich im Norden eher Thai-Food und Pizza etabliert, nicht die eigene Küche. In Schweden müssen Sie schon jemanden kennen, wenn Sie essen wollen wie die Einheimischen.

Für Ihr Buch "Nordic" haben Sie in Norwegen Dorsch getrocknet, in isländischen Erdlöchern Brot mit Vulkanwärme gebacken oder auf den Färöer-Inseln Grindwale gejagt. Was war das Ungewöhnlichste?

Ich dachte oft: Wow, ist das irre. Wie sie etwa in Island die Eier von Wildenten konservieren. In großen Holzkisten mit Asche, wodurch das Ei in der Schale trocknet und eine Konsistenz bekommt wie die Tausendjährigen Eier aus China, gelatineartig und es riecht nach Schwefel. Daraus habe ich für mein eigenes Restaurant ein Gericht gemacht. Aber man muss aufpassen, keinem Exotismus aufzusitzen.

Was meinen Sie damit?

Das Buch ist ein Dokument, was die Leute essen, und für die Bewohner der Färöer ist es nun mal Alltag, Papageientaucher zu fangen, über Nacht in kaltes Wasser zu legen und danach zu schmoren. Ungewöhnlich fand ich eher, wie willkommen ich überall war. Man quatscht jemanden in Grönland an, und schon steht man in dessen Küche und bekommt gezeigt, wie Robbensuppe zubereitet wird. Oft von Männern übrigens, im Norden nehmen die Männer stärker als anderswo an der Küchenarbeit teil, selbst die älteren.

Haben Sie sonst Gemeinsamkeiten entdeckt?

Die Dänen und Schweden haben irgendwann die anderen Länder bekriegt oder besetzt, und das merkt man an der Küche. In allen Ländern, in denen die Dänen waren, wird etwa Schweinefleisch mit Kruste gemacht, aber in keinem, in dem die Schweden waren. Die Dänen haben ihre Brotkultur, die der deutschen ähnlich ist, bis nach Island gebracht, wo zuvor nie Roggen angebaut wurde. Den größten schwedischen Einfluss wiederum gibt es in Finnland, Stichwort: eingelegter Hering. Dort gehört einer schwedischen Minderheit das meiste Land, das ist eine Wunde. Im Osten Finnlands fühlte ich mich dann auch unverstanden. Weil keiner Englisch spricht und man als Schwede nicht sehr willkommen ist.

Jedes Restaurant, das etwas auf sich hält, kocht inzwischen mit Wurzeln und Blättern, Birkensaft gibt es im Drogeriemarkt, der Hype um die nordische Küche flacht ab. Wie lange geben Sie ihm noch?

Es wird so laufen wie in Spanien. Da rennen zwar keine Journalisten mehr hin, aber die starken Restaurants gibt es immer noch. Der Hype hat sicher irgendwann ein Ende, aber die nordische Küche wird populär bleiben und sich etablieren.

Kochen Sie privat eigentlich auch so?

Zu Hause kochen wir vor allem Gemüse, meine Frau isst kein Fleisch, durch sie wurde ich gewissermaßen zum Kollateral-Vegetarier. Wir haben einen riesigen Garten und sammeln Kräuter und Pilze.

Viele Köche haben heute einen Status wie Popstars oder Fußballer. Über Sie gibt es heute Serien auf Netflix. Wie geht man mit dem Rummel um?

Auf dem Land, wo ich mein Restaurant habe, leben insgesamt 300 Leute. Da schert sich keiner drum, das ist ein Leben wie in einem Astrid-Lindgren-Buch. Aber beim Reisen, wie jetzt gerade in Berlin, merke ich, dass mich die Leute auf der Straße anstarren, weil sie mich erkennen. In den USA hat man überhaupt eine ganz andere Vorstellung von Prominenz, da wird man schon im Flugzeug angequatscht. So könnte ich auf Dauer nicht leben.

Haben Sie Angst, einen Burn-out zu bekommen wie so viele Spitzenköche?

Mit den Spitzenrestaurants ist es so: Entweder man schaltet es auf Autopilot oder man schließt es. René Redzepi hat sein Noma jetzt 13 Jahre, und er ist damit durch. Aber anstatt es weiterlaufen zu lassen, was er bestimmt noch 15 Jahre sehr erfolgreich tun könnte, macht er es Ende des Jahres dicht. Ich selbst hoffe, ich habe eines Tages die Stärke aufzugeben, wenn ich nicht mehr innovativ bin. Aber derzeit bin noch hungrig, wie man so schön sagt.

Sie kochen in Ihrem Restaurant nur für zwölf Leute, weil Sie sagen: Mehr als ein Dutzend perfekte Jakobsmuscheln auf einmal gibt es nicht. Was kann nach einem solchen Perfektionismus noch kommen?

Nachhaltigkeit. Nicht nur bei den Zutaten oder der Produktion, sondern auch bei den Arbeitsbedingungen. Alle wissen, dass in den guten Restaurants viel zu lang gearbeitet wird, die 40-Stunden-Woche ist in unserer Branche eine Utopie. Ich habe unlängst einen Film über einen Sushi-Meister in Japan gesehen und dachte, so will ich nicht werden, wie dieser alte Mann, der sein Leben lang rund um die Uhr dasselbe macht. Das ist gerade eine Bewegung in den Spitzenrestaurants.

Auf die kulinarischen Pioniere folgen jetzt die sozialen?

Die meisten Leute fangen mit 20 an, in der Gastronomie zu arbeiten. Wenn sie nach zehn Jahren richtig gut sind, wollen sie Familie und haben das Gefühl, sie müssen sich entscheiden zwischen Privatleben und dem, was sie gut können. Da geht so viel Talent verloren! Unsere Sous-Chefs arbeiten daher zwei Wochen von acht bis siebzehn Uhr und dann zwei Wochen von fünf bis drei Uhr morgens. Das ist noch immer nicht sehr familienfreundlich, aber zumindest auf Zeit.

Ändern sich dadurch auch mal die rauen Sitten in den Restaurantküchen?

Für Außenstehende ist das natürlich immer ein krasser Ton, der da herrscht. Aber für Köche ist das normal, das kommt davon, dass man keine Zeit und keine zweite Chance hat. Alles muss sofort perfekt sein. Aber es gibt einen Unterschied zwischen schlimm und gemein. Zum Beispiel sind wir ein Restaurant, das keinen Sexismus duldet.

Wie bekämpft man Sexismus in einer männerdominierten Branche wie der Spitzengastronomie?

Das hat mit dem Management zu tun. Wenn man sich einen Diktator ins mittlere Management holt, muss man sich nicht wundern. Wobei das im High-End-Bereich meist kein Problem ist.

Weil es da eh keine Frauen gibt?

In der Spitzengastronomie ist es egal, woher man kommt, ob man Frau oder Mann ist. Aber unter hundert Bewerbungen, die ich bekomme, ist eine von einer Frau. In meiner Küche arbeiten jetzt zwei Frauen, also habe ich Frauen bei der Einstellung schon bevorzugt, was ich eigentlich unfair finde. Mich nervt es, das zu sagen, aber es ist ein Problem der Industrie.

Inwiefern?

Es heißt immer, Küche sei hart, aber das ist sie eigentlich nicht. Man muss heute keine Schweinehälften mehr schleppen, und mit Kindern geht es inzwischen auch. Und wenn ein Vater in der Küche bleiben kann, muss es einer Mutter auch möglich sein.

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