Küchentrend Fermentation:Heimat im Glas

Das Einlegen und Einsalzen ist eine uralte Technik, für die sich die moderne Küche lange kaum interessierte. Seit Sterneköche die Fermentation kultivieren, gärt der Trend überall.

Von Titus Arnu

Dschingis Khan war auf jeden Fall ein Vorreiter. Der mongolische Eroberer preschte mit seinem Reiterheer im 13. Jahrhundert von Asien nach Westen und bremste erst in Osteuropa ab. Als Reiseproviant hatten die Krieger "suan cai" in den Satteltaschen, sauer eingelegten Kohl. Das Rezept hatten die Mongolen bei ihrem Überfall auf China erbeutet. Als die Vorräte der Eroberer zur Neige gingen, ersetzten sie den Chinakohl durch seinen europäischen Verwandten, den Weißkohl. Damit wurde Dschingis Khan der Legende nach auch zum kulinarischen Vorreiter: Er brachte das Sauerkraut zu den späteren "Krauts".

Einsalzen, einstampfen, abwarten: Das Fermentieren ist eine uralte Kulturtechnik der Menschheit, die vor den Mongolen und den Chinesen schon die Römer, Griechen und Ägypter verwendeten. Ganz früher, lange vor der Erfindung des Thermomix, des Induktionsherdes mit Ceranfeld und sogar des Feuers, soll es bereits Leute gegeben haben, die ein gutes Essen zaubern konnten, einfach so. Sie brauchten dazu keine vollautomatische Garmaschine, die per Wlan Rezepte lädt und den Menschen nur noch zum Einfüllen von Zutaten benutzt. Sie benötigten nur einen Kohlkopf, eine Portion Obst oder einen Fisch - und etwas Zeit.

Das Prinzip heißt "kontrollierter Verfall". Wenn man Nahrungsmittel im Warmen stehen lässt, beginnt eine Transformation. Bakterien, Schimmelpilze und Hefen können dafür sorgen, dass die Nahrung verdirbt, sie können sie aber auch unter bestimmten Umständen haltbar machen, ihren Geschmack und die Inhaltsstoffe veredeln. Beim Sauerkraut arbeiten Milchsäurebakterien an der Zersetzung des Gemüses, ein Prozess mit positivem Effekt. Das vergorene Kraut lebt, schmeckt feiner als im Rohzustand und ist äußerst gesund. Milchsäurebakterien schützen die nützlichen Darmbakterien und hemmen das Wachstum von Krankheitserregern. 200 Gramm Sauerkraut decken 40 Prozent des Vitamin-C-Tagesbedarfs eines Erwachsenen.

Selbstgemachtes Sauerkraut mit Lorbeer

"Kontrollierter Verfall": Der eigentliche Gedanke beim Fermentieren war, Lebensmittel haltbar zu machen. Heute spielt das keine Rolle mehr, dafür kann jeder sein Kraut süß, sauer, mild oder scharf einlegen.

(Foto: stock food)

Die archaische Konservierungstechnik ist weiter verbreitet, als es einem im Alltag bewusst ist. Schätzungen zufolge sind bis zu einem Drittel aller Lebensmittel, die auf der Welt gegessen werden, fermentiert. Unsere Kühlschränke und Vorratsräume sind voller fermentierter Produkte: Käse, Essig, Kefir, Sauerteigbrot und Salami gäbe es nicht ohne Fermentation, Kakao wird aus fermentierten Bohnen, Tee aus fermentierten Blättern hergestellt. Bakterien verwandeln Milch in Joghurt und Traubensaft in Wein. In Korea ist der sauer-scharf eingelegte Kimchi eine Nationalspeise. Japaner verzehren Soja meist in fermentierter Form, etwa als Miso. Es gibt keine Kultur, die ihr Essen nicht vergärt - von unserem Joghurt bis zum berüchtigten Hákarl, dem vergorenen isländischen Hai. Und was wäre Sauerkraut ohne Bier, das durch die Vergärung von Getreide entsteht?

"Fermentation, c'est la vie sans l'air", schrieb der französische Wissenschaftler Louis Pasteur, "Fermentation ist Leben ohne Luft". Aus heutiger Sicht ist das nicht hundertprozentig korrekt, denn bei der Fermentation ist Sauerstoff beteiligt, bei der Gärung nicht. In der industriellen Lebensmittelproduktion ist das Fermentieren ein hochkomplexer technischer Vorgang, der in Bioreaktoren vonstattengeht und von Computern gesteuert wird. Aber der Witz ist ja gerade, dass es im Prinzip so einfach ist und auch für den Hausgebrauch funktioniert. Als Gegentrend zum bequemen Thermomix, zur komplizierten Molekularküche und zum banalen Fertiggericht ist das Fermentieren deshalb gerade wieder populär geworden. Es blubbert, gärt und brodelt in Küchen und Kellern. Hobbyköche hobeln emsig Kohl und setzen eigenes Sauerkraut in Gärtöpfen an, legen selbst gezogenes Gemüse wie Gurken, Rüben und Rettich ein, trocknen Pilze und hängen selbstgemachte Salami zum Reifen im Schuppen auf.

Der Food-Aktivist Sandor Katz, Autor des Buches "Wild Fermentation" begeistert schon seit Jahren in den USA die sonst so hygienebesessenen Konsumenten für gute Bakterien, Pilze und Hefen. "Fermentos" nennen sich die Anhänger dieser alten Methoden. Sie benutzen "wilde" Bakterien, die auch auf der Haut und in der Luft vorkommen. Die deutsche Biologin Barbara Hosfeld propagiert in ihrem Blog wildefermente.de das Einlegen von Gemüse in Salzlake, stellt Rezepte für Honigwein und saures Fenchelkraut vor.

Das Einlegen und Einsalzen wird auch in der Spitzengastronomie immer beliebter. Die Stars der neuen nordischen Küche haben das Fermentieren von Gemüse und Pilzen kultiviert, sie setzen auch auf traditionelle skandinavische Techniken wie Beizen, Räuchern und Pökeln. René Redzepi vom "Noma" in Kopenhagen verwendet unter anderem einen Sud aus fermentierten Grashüpfern, der so ähnlich schmecken soll wie Miso. Magnus Nilsson im "Fäviken Magasinet" in Jämtland würzt seine Gerichte mit eingelegten Pflanzen. Auch Tim Raues asiatisch inspirierte Küche kommt nicht aus ohne fermentierte Sojabohnen in den verschiedensten Variationen.

Für Ivo Ebert, Geschäftsführer des Berliner Sternerestaurants "Einsunternull", ist das Einmachen und Fermentieren von Lebensmitteln ein bewusster Schritt zurück zu den Wurzeln der Kochkultur. "Uns interessiert: Wie haben unsere Großeltern das gemacht? Und wie kann man den Geschmack experimentell verändern, wenn man Gemüse selber konserviert?" Sein Küchenchef Andreas Rieger hat eine Methode entwickelt, das Saisonprodukt Spargel ganzjährig verfügbar zu machen, und zwar in knackig-frischer Form. Der Spargel stammt aus Mecklenburg-Vorpommern, wo er ohne Folie gezogen wird, die Stangen haben im Rohzustand einen kräftigen, bitteren Geschmack. Rieger legt den Spargel roh in Salzlake ein, danach wird er 14 Tage lang bei Raumtemperatur fermentiert. Dann kommt er in den kühlen Keller, damit wird die Gärung gestoppt. Der Vorrat reicht mindestens ein Jahr lang.

Der fermentierte Spargel schmeckt leicht bitter und gleichzeitig säuerlich erfrischend. "Das Fermentieren bringt ein hohes Maß an geschmacklicher Vielschichtigkeit", schwärmt Ivo Ebert. Bei fermentierten Karotten und anderen Rübensorten bleibt das Süßliche erhalten, dazu kommt die Säure. Interessant für Küchenchef Andreas Rieger ist auch die Konsistenz von fermentiertem Gemüse: Die Karotten bleiben knackig, sie haben auch nach Monaten im Glas noch eine kräftige Farbe.

Fenchelkraut

Zutaten: 1 kg Fenchel, 2 Schalotten, 1 Knoblauchzehe, 1 EL Algenmischung (Meeressalat), 15 g unraffiniertes Meersalz, 1 Chili

Zubereitung: Algen in Wasser einweichen. Fenchel, Schalotten und Knoblauch putzen. Alles Gemüse mit dem Gemüsehobel fein hobeln. Wer es scharf mag, kann eine kleine Chili hineinbröseln. Salz und Algen hinzufügen und alles so lange durchkneten, bis sich genügend Flüssigkeit gebildet hat. Das Fenchelkraut in ein sauberes Bügelglas schichten. Das Kraut muss komplett mit der Lake bedeckt sein. Mit einem Gewicht beschweren. Das Glas verschließen und für sechs Wochen dunkel lagern. Die ersten Tage etwas wärmer (20 bis 22°C) halten, danach etwas kühler (16 bis 18 °C).

Fermentieren ist manchmal ähnlich spannend und unvorhersehbar wie ein Chemie-Experiment. Andreas Rieger backt im "Einsunternull" täglich Brot, und aus Neugier stellte er mal ein Glas mit schwarzem Knoblauch mit in den Ofen. Das wiederholte er sehr oft, 90 Tage lang, bis der Knoblauch seine ursprüngliche Konsistenz komplett verloren hatte. Es kam eine Paste dabei heraus, die einen ganz eigenen Geschmack hat, sie erinnert an Lakritze, Sojasoße und Aceto Balsamico.

Der ursprüngliche Gedanke beim Fermentieren war, Lebensmittel ohne Kochen genießbar und lange haltbar zu machen. Das spielt heutzutage eigentlich keine große Rolle mehr. In der Saure-Gurken-Zeit gibt es längst viel mehr als saure Gurken: Flugmangos, Äpfel aus Chile, Salat aus Südspanien und Sprossen aus Thailand. Wozu sollte man sich also noch die Mühe machen, eigenes Gemüse einzulegen? "Eben genau deshalb", sagt Ivo Ebert, "weil es das eigene ist." Viele Konsumenten essen und kochen immer bewusster, und dem selbst geernteten oder im Bioladen gekauften Gemüse trauen viele eher als der Büchse. Der Akzent verschiebt sich von der Technik zur Natur. Zudem kann man den Geschmack nach seinen Wünschen beeinflussen - Fenchel etwa kann würzig, mild oder scharf eingelegt werden (siehe Rezept oben).

Bevor die Gärgase im Steintopf blubbern, gärt bei vielen Hobby-Chemikern allerdings die Angst. Was, wenn etwas schiefgeht? Kann das Zeug schimmeln oder gar explodieren? Biologin Barbara Hosfeld nimmt Anfängern in ihrem Blog die Ängste. Wenn man das Grundprinzip befolge, könne beim Fermentieren eigentlich nicht viel schiefgehen. Das klein geschnittene Gemüse wird Schicht für Schicht mit ausreichend Salz in ein Gefäß gestopft. Salz und Druck entziehen dem Gemüse die Flüssigkeit. Es entsteht eine Lake. In diesem sauren Milieu können sich Krankheitserreger nicht vermehren, stattdessen übernehmen Milchsäurebakterien die Regie.

Zwischendurch hält Food-Bloggerin Barbara Hosfeld die Fermentos darüber auf dem Laufenden, wie es ihrem roten Kichererbsen-Miso geht, das sie vor mehr als einem Jahr angesetzt hat. Letzter Stand: Die Pampe "hat eine schöne Farbe entwickelt, riecht verlockend gut und schmeckt würzig lecker. Ich kann die nächsten zwölf Monate kaum abwarten, so sehr freue ich mich schon auf das endgültige Ergebnis nach zwei Jahren Fermentationszeit." Es bleibt spannend.

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