Brauen daheim:Es gärt im Land

Jenseits vom Standard-Pils: Sein eigenes Bier zu brauen ist heutzutage kaum schwieriger, als eine Suppe anzurühren. Ein Selbstversuch.

Von Tobias Matern

Nein, ich habe nichts gegen Industriebier. Ein tschechisches Pils, ein Düsseldorfer Altbier, auch mal ein Weizenbier aus der Massenproduktion - das ist nichts Verwerfliches. Es ist seltsam, dass so ein Satz heute schon fast wie ein Bekenntnis klingt, in Zeiten, in denen zwischen Schoko-Stout-Verteidigern und Augustiner-Apologeten ein Glaubenskrieg um das wahre Biererlebnis entbrannt ist.

Ich bin kein Fetischist, der sich nur noch in der Welt der handwerklich gebrauten, hübsch etikettierten Craft-Biere verstanden fühlt oder im Bier-Sommelier-Kurs unbedingt lernen muss, Mandarinen- von Mango-Nuancen zu unterscheiden. Und dennoch: Auch für mich, einen durchschnittlichen Biertrinker, ist etwas in Bewegung geraten.

Als mir ein Freund ein India Pale Ale (IPA) mit der Empfehlung in die Hand drückte, ich solle mal auf das "Bouquet" achten, musste ich erst lachen, dann riechen und schließlich schmecken. Und habe ganz schnell kapiert: Es gibt tatsächlich ein Erweckungserlebnis im Leben eines Biergenießers, das jenseits vom Standard-Pils-Dasein eine neue Welt eröffnet.

Das Resultat ist so vielseitig, dass ich angefangen habe, mein eigenes Bier zu brauen. Erstes Fazit nach ein paar Wochen in der Heimbrauerei: Es lohnt sich, auch beim Bier genau darauf zu achten, welche Zutaten verwendet werden, also welche Malzsorten, welche Hopfenpellets und welche Hefe in die Flasche kommen.

Mit Honig zu hantieren, wie ich es versucht habe, ist für den Anfänger zu ambitioniert, vor allem, wenn er zu viel erwischt. Der Schaum schießt dann nach wochenlanger Kellerreifung unkontrolliert aus der Flasche, und das bisschen Bier, das übrig bleibt, ist ungenießbar.

Aber jenseits von zu hohen Glyphosat-Werten und dem fast schon fanatisch anmutenden Streit, ob das in Deutschland verehrte Reinheitsgebot 500 Jahre nach einem herzoglichen Erlass nicht überholt, weil nur noch dem Massenschmack dienlich sei, gibt einem selbst gemachtes Bier ein simples, aber gutes Gefühl: Ich weiß, was drin ist.

Der moderne Konsument in Deutschland ist aufgeklärter, fordernder - und trinkt weniger Bier

Hubert Hanghofer, einer der Pioniere des Genres, hat schon 1999 sein Buch "Gutes Bier selbst brauen" auf den Markt gebracht. Aber erst in den letzten Jahren, erzählt er, sind die Verkaufszahlen deutlich nach oben gegangen: Der Trend zum Selbermachen ist auch beim Gerstensaft angekommen.

Der traditionelle Biertrinker habe früher keinen Bezug zur Herkunft des Produkts entwickelt, sagt Hanghofer. Das hat sich geändert, der moderne Konsument in Deutschland ist aufgeklärter, fordernder - und trinkt weniger Bier: Der durchschnittliche Verbrauch ist von gut 150 Litern im Jahr 1976 auf 106 Liter im Jahr 2014 gesunken.

Vielleicht habe der geringere Bierdurst einfach mit einem gestiegenen Gesundheitsbewusstsein zu tun, mutmaßt Hanghofer. Vielleicht aber auch mit dem gescheiterten Versuch großer Brauereien, dem Rückgang durch Senkung des Bitterstoffgehalts gegenzusteuern. In manchen Fällen unterscheide sich nun ein Pils gar nicht mehr groß von einem Hellen. "Wahre Bierliebhaber wollen Hopfen schmecken", ist sich Hanghofer sicher.

Das sei bei den meisten Craft-Bieren der Fall, daher verzeichnen sie auch Zuwächse. Hobby-Brauer wie ich hantieren nun also mit Amarillo, Cascade und Simcoe: Ist man erst einmal auf den Geschmack gekommen, bieten diese Hopfensorten ein riesiges Repertoire an Möglichkeiten.

Doch zunächst ist es ratsam, sich mit dem Brauen vertraut zu machen: Gut geeignet für den Anfänger sind die "Bierkits". Das sind fertige Extrakt-Pakete, die mit allen Zutaten ausgestattet sind. Vor allem Briten und Amerikaner brauen so fleißig zu Hause, das Angebot ist riesig: Erdbeerbiere, Schokoladenbiere, Pale Ales mit weniger oder mehr Hopfen, aber auch so vertraute Sorten wie ein Helles Münchner Art.

Ein halbes Dutzend Kits habe ich inzwischen ausprobiert, ein paar Stunden beträgt der Aufwand, nach zwei bis vier Wochen ist das Bier fertig gereift. Auch wenn das selbst gemachte Pils trüber ist als das aus dem Supermarkt, sich öfter die Hefe am Boden der Flasche absetzt, oder ein Imperial IPA eher wie ein Stout schmeckt - es kommt immer mindestens etwas heraus, das an Bier erinnert.

Was in den Kits ist, entspricht nicht immer dem Reinheitsgebot, aber darin liegt auch ein Reiz. "Wer so etwas wie Stout brauen möchte, stößt, wenn er streng nach dem Reinheitsgebot vorgehen möchte, schnell an seine Grenzen", sagt Hanghofer. Der Experte hält nicht viel von Panscherei, von Aromen oder Zucker im Bier, aber die wenigen Inhaltsstoffe, wie sie das Reinheitsgebot vorsehen, seien auch ein Killer für Kreative.

Bierbrauen ist kein teures Hobby. Das Grundzubehör für den Heimbrauer kostet etwa 50 Euro, dazu kommen noch die Kosten für ein Kit, die bei etwa 20 Euro liegen. Es braucht für den Anfang nur ein paar Utensilien aus der Alltagsküche, um mit einem Bierkit zu brauen: größere Kochtöpfe, einen Holzlöffel und leere Flaschen. Die müssen hygienisch rein sein. Die meisten Fehler der Heimbrauer lassen sich auf mangelnde Hygiene zurückführen. Das fertige Bier, von Bakterien befallen, schmeckt dann grauenhaft.

Fortgeschrittene Heimbrauer steigen auf das Maischeverfahren um, das einen Tag Arbeit verlangt. Statt fertiger Malzextrakte wird hier Malzschrot verwertet, um die sogenannte Bierwürze selbst zu produzieren. Für diese Verfahren ist das Zubehör anspruchsvoller: Ein Einkochautomat ersetzt die Kochtöpfe, um Temperaturen exakt halten zu können. Auch der Hopfen, der dem Bier seinen Charakter gibt, kommt nicht als Extrakt, sondern meist in gepresster Form.

Ein Freund und ich haben vor Kurzem zum ersten Mal ein IPA im Maische-Verfahren gebraut. Die Verkostung, nur eine Woche nach Beginn der Flaschenreifung, kommt viel zu früh, die klassische Ungeduld des Heimbrauers. Mein Gefühl: deutlich übertourt mit dem Hopfen, das ist zu wuchtig, schmeckt metallisch. Frust.

Doch nach ein paar Wochen Warten und Extra-Reifung: die Geschmacksexplosion. Die Frucht-Nuancen mischen sich, eine ausbalancierte Bitterkeit gelangt in die Kehle, die nicht abdriftet, sondern immer neue Formen annimmt. Und dabei nie süffig wirkt.

Erstaunlich, wie schnell man zum Foodie wird - vielleicht sollte ich mich doch für den Bier-Sommelier-Kurs anmelden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: