Milben der Spezies Tyrophagus casei sind etwa 0,5 Millimeter groß, haben acht Beine wie alle Spinnenarten, Kieferklauen und lange Haare auf dem gepanzerten Körper. Etwa 50 000 Käsemilben, wie sie auch genannt werden, krabbeln in einer Packung Würchwitzer Milbenkäse, was ihn für manche zu einer der ekligsten Käsesorten Deutschlands macht. Andere loben ihn dafür als eine der köstlichsten überhaupt. Ganz sicher ist er aber einer der teuersten Käsesorten.
Zwischen neun und 100 Euro (hängt vom Reifegrad ab) kosten 100 Gramm Käse, Milben inklusive. Unter dem Mikroskop sehen sie wie schwarze Zecken aus, in Wahrheit ist ihr Körper milchig-transparent, wie ein Wassertropfen mit Beinen. Während Vorratsschädlinge Lebensmittel ungenießbar machen, lassen die Käsemilben ihren Wirt erst reifen. Die genauen Vorgänge sind noch nicht ganz erforscht. Sicher ist aber, dass die Milben den Käse anknabbern, ihre Ausscheidungen in eine Mischung aus Ammoniak und Wasser zerfallen und mit dem Speichel der Tiere den Käse fermentieren und ihm sein spezielles Aroma geben.
Ein drei Meter großes Denkmal in Form einer Milbe ehrt Käse und Hersteller
Der pensionierte Chemie- und Biologielehrer Helmut Pöschel, 71, aus Würchwitz, einem Ortsteil der Stadt Zeitz in Sachsen-Anhalt, und Christian Schmelzer, 29, der aus dem Nachbarort Kayna stammt und in Berlin in Theologie promoviert, sind die Einzigen, die den Käse in Deutschland verkaufen dürfen. Ihr Geschäft, vor dem sich die meisten Menschen ekeln dürften, nehmen sie sehr ernst. Am Telefon nennt Schmelzer seinen Partner Milbenkäsepapst und spricht von Audienz. In Würchwitz steht ein drei Meter hohes Denkmal in Form einer Milbe. Im Milbenkäsemuseum, einem Raum in Pöschels Haus am Ortsrand, stellt er Plüschmilben aus, Schmuck aus geschliffenem Hartkäse und ein angeblich 200 Jahre altes Stück Käse in einem Glassarg.
In einem Erbpachtvertrag aus dem 16. Jahrhundert wird Milbenkäse zum ersten Mal erwähnt. Pöschel und Schmelzer schätzen, dass es ihn bereits seit 1000 Jahren im Dreiländereck Altenburger Land gibt, wo Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt aufeinandertreffen. "Luther kannte den bestimmt", sagt Schmelzer und lacht. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde in der Gegend nahezu auf jedem Hof Milbenkäse hergestellt. Das Ungeziefer duldete man, weil es zwar den Käse anfrisst, er dadurch aber nicht ungenießbar, sondern haltbar wird - trocken gelagert angeblich bis zu 50 Jahre. Dann verbot das Lebensmittelgesetz der DDR den Verkauf von Lebensmitteln bei Milbenbefall, und auch privat stellten immer weniger Menschen Milbenkäse her.
Pöschels Großmutter und Mutter machten Milbenkäse, seit er denken kann. Im Dialekt heißt er "Mellnkase" oder "Bummler", weil er so lange für die Reife braucht. Als er als Schüler herausfand, was "Melln" bedeutet, aß er zwei Wochen lang keinen Käse mehr. Länger hielt er es nicht ohne seinen Lieblingskäse aus und machte ihn später sogar zu seinem Hobby. Als die Käsemilben in Würchwitz und Umgebung schon fast ausgestorben waren, bewarb er sich 2005 mit Schmelzer für ein Förderprojekt für regionale Traditionen. Mit dem Startkapital für ihre Firmengründung erhielten sie eine Sondergenehmigung vom Veterinäramt für den Handel mit Milbenkäse.
Wegen seiner langen Tradition darf der Käse als regionale Spezialität verkauft werden. Heute bezeichnen sie sich als "größtes Unternehmen der Welt", mit "Hunderten Millionen Mitarbeitern". "Wir sind Milbionäre", sagt Pöschel. In seinem Haus reift in sieben Kisten Milbenkäse heran. Jede Kiste bewohnen 250 Millionen Tiere. "Der lebendigste Käse der Welt", sagt Schmelzer. Wenn man Käse mit Milben verkauft, sind Wortspiele wohl unvermeidlich.
Öffnet man eine der Kisten, sticht einem ein beißender und gleichzeitig erdiger Geruch nach Zitrusfrüchten und Ammoniak in die Nase. "Der Geruch kommt von den Ausscheidungen der Milben", sagt Helmut Pöschel, "und von dem Abwehrsekret, das die Milben bei Gefahr abgeben, etwa wenn man an der Kiste wackelt oder den Käse schneidet." Es enthält Neral, den Hauptbestandteil von Zitronenöl. Die Käsestücke in den Kisten liegen zwischen einer Masse, die von Weitem wie brauner Zucker aussieht und sich leicht bewegt. Aus der Nähe erkennt man einzelne Milben. Die Zucht hat Pöschel von seiner Mutter übernommen.
Für die Herstellung kaufen die Würchwitzer Käser Magerquark aus Kuh-, Ziegen- oder Schafsmilch und trocknen ihn, bis er krümelt, aber noch klebt. Danach wird geklitscht, wie das Formen der Milbenkäsestücke im Dialekt heißt. Die beiden stehen vor einer großen Schüssel und streuen Salz, Kümmel und getrocknete Holunderblüten hinein. Aus dem Quark formen sie daumengroße Rollen und kleine Birnen. Bevor sie in die Kisten kommen, trocknen die Stücke auf einem Brett weiter. Nicht zu lange, sonst können die Milben nicht vom Käse fressen. Nicht zu kurz, sonst bleiben sie kleben und sterben. "Den richtigen Zeitpunkt muss man im Gefühl haben", sagt Pöschel.